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Carl Flesch Akademie Baden-Baden: Kirill Troussov (links) mit Amanda Noor Vatn, am Klavier: Peter Wittenberg. Foto: Tyron Montgomery

Carl Flesch Akademie Baden-Baden: Kirill Troussov (links) mit Amanda Noor Vatn, am Klavier: Peter Wittenberg. Foto: Tyron Montgomery

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Geige unterrichten im Spagat

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Kirill Troussov im Gespräch über Violinpädagogik im Zeichen von Carl Flesch
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Der Geiger und Violinpädagoge Kirill Troussov ist neben seiner Konzert- und Unterrichtstätigkeit als künstlerischer Leiter der Carl Flesch Akademie in Baden-Baden und des ungarischen Carl Flesch Wettbewerbs aktiv. Juan Martin Koch hat mit ihm über diese Projekte und das Erbe Carl Fleschs gesprochen.

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neue musikzeitung: Wie haben Sie Ihren ersten Violinunterricht erlebt?

Kirill Troussov: Meine Mutter war Klavierprofessorin und Direktorin. Meine ältere Schwester spielte Klavier und somit hatte ich von Anfang an eine Verbindung zur Musik. Als ich einmal Vladimir Spivakov und Viktor Tretjakov im Fernsehen sah, bemerkte meine Mutter innerhalb  weniger Sekunden meine Begeisterung. Am nächsten Tag brachte sie mir eine Geige mit… Ich hatte dann das Glück, zu einer Lehrerin zu kommen, die eine Schülerin von David Oistrach gewesen war. Diesen ersten Unterricht mit dieser Struktur bekommen zu haben, prägt mich bis heute.

nmz: Wie alt waren Sie da genau und haben Sie das als anstrengend in Erinnerung?

Troussov: Da war ich vier und habe keine konkrete Erinnerung daran. Aber ich weiß, dass das nicht ganz einfach war, weil das gleich auf einem sehr professionellen Niveau anfing. Bei YouTube gibt es eine Aufnahme, wo ich als Fünfjähriger zusammen mit meiner Schwester mein erstes öffentliches Konzert spiele. Wenn ich mir das jetzt so vorstelle und auch nach dem, was mir meine Mutter erzählt hat, dann war das schon ein ziemlicher Aufwand. Aber es war eben auch eine große Freude, nach einem Jahr auf der Bühne zu stehen und schon zu wissen, dass man etwas kann.

nmz: Hatten Sie bei späteren Lehrern dann manchmal das Problem, sich umorientieren zu müssen?

Troussov: Es ist ja so, dass man das Geige spielen in zwei Bereiche teilen muss: Da ist auf der einen Seite der technische Aspekt, das Handwerk, auf der anderen Seite der musikalische, in dem man sich ein Leben lang weiterbildet. Der technische Aspekt ist bei den guten Schulen oft gleich. Das heißt, wenn man entsprechenden Unterricht bekommt, dann gleichen sich viele Sachen. Deswegen ist es eher die musikalische Vorstellung und die Art, wie man etwas erarbeitet, was sich von Lehrer zu Lehrer unterscheidet. Wenn jemand mit sehr guten technischen Grundlagen zu mir kommt, dann werde ich diese nicht aus eigener Willkür verändern wollen.

nmz: Wann sind Sie das erste Mal mit dem Namen Carl Flesch in Berührung gekommen?

Troussov: Mit sieben oder acht Jahren, im Zusammenhang mit seinem berühmten Skalensystem. Carl Flesch gehört definitiv zu den Urgesteinen der Geigenpädagogik.

nmz: Was von seiner Systematik ist aus Ihrer Sicht heute noch gültig?

Troussov: Sehr, sehr vieles! Er war ja einer der ersten, der das Musikalische vom Technischen getrennt hat. Er hat wahnsinnig akribisch beschrieben, wie man etwas macht. Er hat nicht nur gesagt: so ist es, weil ich es sage, sondern er hat auch viele Sachen hinterfragt und erklärt. Dadurch ist seine Schule bis heute eine der maßgebenden, was die Technik angeht.

nmz: Gibt es auch Dinge, die überholt sind, wo sich etwas weiterentwickelt hat?

Trossuov: Geändert hat sich unser Wissen über die Aufführungspraxis, über die der Musik Bachs zum Beispiel. Aber in Sachen Technik sind viele der Grundprinzipien Fleschs gar nicht änderbar, weil es einfach Physik ist: Der richtige Winkel mit der richtigen Geschwindigkeit mit der richtigen Bogenführung erzeugt einen guten Klang. Die musikalische Vorstellung ist dann etwas anderes…

nmz: Wie üben Sie eigentlich? Gibt es viel Wiederkehrendes oder hängt es stark davon ab, worauf Sie sich gerade vorbereiten?

Troussov: Das ist ein längeres Thema, aber ich versuche es sehr kurz zu fassen: In jungen Jahren habe ich sehr, sehr viel geübt. Doch je älter ich wurde und je mehr mein Beruf dann auch mit Organisation zu tun hatte, wurde mir auch klar, dass man jetzt auf seine eigenen Kosten übt, auf Kosten seiner eigenen Freizeit. Dann entsteht das Bedürfnis, konsequent und effizient zu arbeiten und man merkt: Was man früher in sieben, acht Stunden schaffte, kann man auch in zwei bis drei schaffen. Nicht wenn man jünger ist, da muss man die Mechanik aufbauen, aber ab 15 aufwärts. Das hat in meinem Leben viel bewirkt und so unterrichte ich auch. Auf Logik und Effizienz zu üben bedeutet ja auch, mehr Möglichkeiten zu haben sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, nicht zuletzt mit neuem Repertoire.

nmz: Sie haben über die Trennung von technischen und musikalischen Aspekten gesprochen. In Ihren Mas­terclasses, von denen man einige im Internet sehen kann, hatte ich aber den Eindruck, dass beides immer eng miteinander verknüpft war: Ein technischer Hinweis diente immer einem musikalischen Ziel…

Troussov: Ein Meisterkurs und der geregelte Unterricht sind zwei Paar Schuhe. Wenn ich einen Meisterkurs gebe und ich sehe einen Studenten nur vier Mal, dann muss ich auch sicherstellen, dass dieser das in der kurzen Zeit auch verarbeiten kann. Außerdem gibt es in Meisterkursen oft auch  Publikum, rein mechanischer Unterricht wäre da nicht so spannend. Ich versuche immer so viele wichtige Dinge wie möglich abschließend zu erklären, damit diese auch sofort zum Einsatz kommen können.

nmz: Im regulären Unterricht wird dann auch mal Technisches isoliert?

Troussov: Ja, während es in einem Meisterkurs vor allem darum geht, sich musikalisch weiterzubilden und die dafür nötigen technischen Hilfsmittel zu lernen. Es ist immer ein Spagat, den man da als Lehrer gehen muss.

nmz: Inwiefern fließt all das in Ihre Arbeit bei der Carl Flesch Akademie ein, deren künstlerischer Leiter Sie sind?

Troussov: Die Akademie war ein wichtiger Teil in Carl Fleschs Leben, sie hat eine unglaubliche Tradition und ist in der Stadt Baden-Baden mit seiner großen kulturellen Geschichte fest verankert. Zu ihren Besonderheiten gehört, dass alle Teilnehmer mit der Philharmonie Baden-Baden spielen können. Wenn man weiß, wie schwierig es ist, in jungen Jahren so eine Möglichkeit zu haben, kann man ermessen, was das bedeutet. Eine Neuerung unter meiner Leitung ist, dass diese Konzerte nun mit bis zu acht hochqualitativen Kameras mitgeschnitten werden. Das heißt, die Teilnehmer bekommen für ihre Gebühr von 700 Euro nicht nur die Gelegenheit, ein öffentliches Konzert mit Orchester in einer Aboreihe vor 600 Leuten zu spielen, sondern darüber hinaus einen professionellen Mitschnitt, den sie dann für ihre Bewerbungen bei Agenturen oder bei Festivals nutzen können. All das zusätzlich zu einer außergewöhnlichen Truppe weltbekannter Professoren und zu einem Kammermusikkurs.

nmz: Ist das in der Szene bekannt, entwickeln sich die Anmeldungen entsprechend?

Troussov: Ja, wir konnten die Zahlen in diesem Jahr verdreifachen. Man kann das unter anderem mit Hilfe der sozialen Medien heute viel besser in die Welt tragen. Auch die Außenwirkung erhöht sich: In den USA erschien ein Artikel, in dem wir mit dem Marl­boro und dem Ravinia Festival ver­glichen wurden!

nmz: Auch beim Carl Flesch Wettbewerb in Ungarn sind Sie aktiv. Was haben Sie dort vor?

Troussov: Ja, ich bin Vizepräsident und künstlerischer Leiter des Carl Flesch International Violin Competition. Es freut mich sehr, auch auf diese Weise dazu beitragen zu können, dass Flesch in seiner Bedeutung für das Violinspiel wahrgenommen wird. Eine der ersten Änderungen, die ich gerne einbringen möchte, ist eine Verkürzung des bisherigen fünfjährigen Rhythmus auf zwei bis drei Jahre. Im Oktober haben wir im Rahmen eines Galakonzerts unter anderem mit Preisträgern der letzten beiden Wettbewerbe das neue Konzept vorgestellt.

nmz: Noch einmal zurück in die His­torie: Es war im 20. Jahrhundert noch lange Zeit die Rede von nationalen Schulen des Geigenspiels: von der russischen, der deutschen, der französischen… Gibt es so etwas heute noch, spielen diese Vorstellungen noch eine Rolle?

Troussov: Früher gab es das, weil wir auch nicht diese mediale Verbindung hatten. Heute spielt das keine große Rolle mehr, weil wir eine globale Welt geworden sind und ich hoffe, wir bleiben das auch. Denn ich glaube, wir können alle voneinander lernen, sei es in der Musik, sei es in der Kultur. Musik ist eine übergreifende Kunst. ¢

  • Die nächste Carl Flesch Akademie findet vom 6. bis 13. Juli 2024 in Baden-Baden statt. Es unterrichten Boris Kuschnir (Violine), Kirill Troussov (Violine), Máté Szücs (Viola), Kian Soltani (Violoncello) und Janne Saksala (Kontrabass). https://carl.flesch.academy

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