Hauptbild
Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung in verschiedenen Alterskohorten auf Basis der Ergebnisse des Mikrozensus 2022 im Vergleich zum Anteil der eigenen Teilnehmer*innengruppe in den jeweiligen Alterskohorten.

Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung in verschiedenen Alterskohorten auf Basis der Ergebnisse des Mikrozensus 2022 im Vergleich zum Anteil der eigenen Teilnehmer*innengruppe in den jeweiligen Alterskohorten. 

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Hat die EMP ein „weibliches“ Problem?

Untertitel
Eine Umfrage unter Lehrkräften an VdM-Musikschulen zur Arbeitszufriedenheit zeigt Gründe für den Fachkräftemangel auf
Vorspann / Teaser

Über 90 Prozent aller EMP-Lehrkräfte an VdM-Musikschulen sind weiblich. Dieser Umstand könnte mitverantwortlich für den dort herrschenden Fachkräftemangel im Elementarbereich sein. Eine bundesweite Studie zur Arbeitssituation und Arbeitszufriedenheit von EMP-Lehrkräften an öffentlichen Musikschulen gibt erste Aufschlüsse darüber, inwieweit Spezifika des Berufsprofils von EMP-Lehrkräften hierbei eine Rolle spielen.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Dass sich öffentliche Musikschulen schon seit Jahren schwer damit tun, genügend Fachpersonal für den Elementarbereich zu gewinnen, ist durchaus bekannt. Neu sind jedoch Zahlen, die aus einer repräsentativen Umfrage mit 498 EMP-Lehrkräften hervorgehen (siehe Anmerkung am Ende des Textes): Das Durchschnittsalter der Befragten betrug in der Umfrage um die 47 Jahre; nur etwa 15 Prozent der Lehrkräfte waren unter 33 Jahre alt. Im Vergleich zur Altersverteilung der allgemeinen erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland (siehe Grafik) ist somit davon auszugehen, dass der Abwärtstrend an jüngerem Personal im EMP-Bereich nicht allein auf die demographische Entwicklung zurückzuführen ist.

Bild
Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung in verschiedenen Alterskohorten auf Basis der Ergebnisse des Mikrozensus 2022 im Vergleich zum Anteil der eigenen Teilnehmer*innengruppe in den jeweiligen Alterskohorten.

Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung in verschiedenen Alterskohorten auf Basis der Ergebnisse des Mikrozensus 2022 im Vergleich zum Anteil der eigenen Teilnehmer*innengruppe in den jeweiligen Alterskohorten. 

Text

Unter der vorliegenden Prämisse stellt sich die Frage, warum nachrückende Generationen scheinbar immer weniger Interesse daran haben, den Beruf der EMP-Lehrkraft an einer öffentlichen Musikschule zu ergreifen. Immerhin waren im Sommersemester 2023 412 Studierende mit dem Hauptfach EMP an einer deutschen Musikhochschule oder Universität eingeschrieben. Rechnet man diejenigen Studierenden hinzu, die EMP als Zusatzfach belegen, so sind es 429 Personen. Gleichzeitig schlossen rund 90 bis 100 Studierende in derselben Zeitspanne ihr Studium ab. Sicherlich, es könnten und sollten angesichts des marktwirtschaftlichen Bedarfs mehr sein. Mit Blick auf die vorherigen Jahrgänge müsste man aber bei ähnlich hohen Zahlen meinen, dass ein relativ hoher Anteil der Stellen an öffentlichen Musikschulen mit ausgebildetem Fachpersonal besetzt werden könnte.

Derzeit liegt keine aussagekräftige Statistik vor, aus der sich erschließen lässt, was EMP-Absolvent*innen nach ihrer Ausbildung machen und in welchen Anteilen sie den beruflichen Weg der Musikschule einschlagen. Noch weniger weiß man über diejenigen Studienabgänger*innen, die sich einige Zeit an einer Musikschule (im EMP-Bereich) ausprobieren, jene Tätigkeit dann aber wieder aufgeben oder drastisch reduzieren. Um das derzeitige Fachkräftemangelproblem im EMP-Bereich anzugehen, wäre es also durchaus ratsam, dieses überhaupt erstmal in Zahlen zu erfassen. Erste Anhaltspunkte, die mitunter erklären könnten, warum sich potenzielle Nachwuchslehr­kräfte für oder gegen den Beruf der EMP-Lehrkraft an einer öffentlichen Musikschule entscheiden, liefert hingegen die bereits erwähnte Online-Umfrage.

Niedriges Gehalt – hohe Arbeitszufriedenheit

Vorerst muss festgehalten werden: Rund 70 Prozent der befragten Lehrkräfte gaben in der Studie an, eher bis ausschließlich zufrieden mit ihrer Musikschularbeit zu sein. Mit ihrer beruflichen Anerkennung waren die meis­ten Lehrkräfte ebenso zufrieden. 

Bei der Verwendung von standardisierten Fragebögen, wie auch demjenigen, der für die vorliegende Umfrage eingesetzt wurde, müssen solch hohe Zufriedenheitswerte mit gewisser Vorsicht interpretiert werden. Aus der Arbeitspsychologie geht hervor, dass es kaum eine erforschte Berufsgruppe gibt, die mittels ähnlicher Messverfahren niedrige Zufriedenheitswerte bei den jeweiligen TeilnehmerInnen feststellt. Ergo: Die allermeisten Menschen geben in ähnlich konzipierten Umfragen zur Arbeitszufriedenheit an, eher zufrieden mit ihrer Arbeit zu sein, – ganz ungeachtet des jeweiligen Berufes und der entsprechenden Arbeitsbedingungen.

Dennoch ist anzunehmen, dass das hohe Zufriedenheitsempfinden der Lehrkräfte auf eine sehr reale Einflussvariable zurückzuführen ist. Das Gefühl, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die einen gesellschaftlichen Mehrwert hat, scheint bei EMP-Lehrkräften an VdM-Musikschulen besonders stark ausgeprägt zu sein. Und wer hätte es gedacht: Sinnhaftigkeitserleben wirkt sich, so die Forschung, in besonderem Maße auf unsere Arbeitszufriedenheit aus. Je nach Studie mehr noch, als dies unser Gehalt vermag.

In der Konsequenz reiht sich das Tätigkeitsprofil von EMP-Lehrkräften an öffentlichen Musikschulen in diverse sozial ausgerichtete Berufe ein, in denen Arbeitszufriedenheit und Sinnhaftigkeitserleben stark ineinandergreifen. Man denke hier an den Kranken- und Pflegebereich, an Sozial- und NGO-Arbeit und letztendlich auch an das Erziehungs- und Bildungswesen, in welches die elementarpädagogische Lehrtätigkeit an einer Musikschule eingeordnet werden kann. Neben dem hohen Berufsethos, das jene Berufsfelder vereint, springen noch zwei weitere Gemeinsamkeiten ins Auge: Alle der aufgelisteten Berufsgruppen sind absolute Frauendomänen. Hinzu kommt, dass so gut wie alle der genannten Branchen von einem besonders eklatanten Fachkräftemangel betroffen sind. 

Studien belegen, dass sogenannte genderstereotype Berufe, also Beru­fe, in denen ein Geschlecht überproportional vertreten ist, besonders häufig Engpassberufe darstellen. Mit einem Frauenanteil, der in etwa dem von Erzieher*innen an Kindertagesstätten entspricht, scheint der EMP an öffentlichen Musikschulen genau dieser Umstand zum Verhängnis zu werden. Ein trauriger Nebeneffekt der beschriebenen Problematik ist nämlich auch: je weiblicher der Beruf, umso schlechter in der Tendenz die Bezahlung. Und je schlechter der Verdienst, umso schwieriger erweist es sich, den Beruf für Männer attraktiv zu machen, die statistisch gesehen mehr noch als Frauen auf eine angemessene Entlohnung bei ihrer Berufswahl achten. Dabei läge ein wesentlicher Schlüssel zur Fachkräftemangelbekämpfung in jenen Berufen genau darin, sich vermehrt die Arbeitskraft von männlichen Berufsanwärtern zu Nutze zu machen. Ein Teufelskreis also?

Eigentlich nicht, würde man meinen. Denn die entsprechende Lösung ist so naheliegend. Angemessene Gehälter würden den Beruf für alle attraktiver machen, Männer und Frauen gleichermaßen. Die meisten EMP-Lehrkräfte werden, vorausgesetzt ihnen wird überhaupt das Privileg einer Festanstellung zuteil, nach der tariflichen Eingruppierung 9b vergütet, also dem untersten Ende derjenigen Besoldungsstufe, die für eine Fachkraft mit einem Fachhochschulabschluss oder einem Bachelor vorgesehen ist. Hätten die meis­ten EMP-Lehrkräfte, die an öffentlichen Musikschulen unterrichten, „nur“ eine dreijährige Ausbildung oder einen dreijährigen Bachelor vorzuweisen, so wäre eine solche Eingruppierung zwar nicht gut, genau genommen aber auch nicht falsch.

Tatsächlich besaßen die Teilnehmer*­innen der Umfrage durchschnittliche 1,54 künstlerische oder künstlerisch-pädagogische Studienabschlüsse, die sie an einer Musikhochschule oder Universität erworben hatten. Mehr als 47 Prozent jener Lehrkräfte hatten zudem noch einen weiteren Abschluss in einem anderen Fach oder eine entsprechende Unterrichtslizenz, die in den meisten Fällen auch einen direkten Mehrwert für den Musikschulunterricht erahnen ließ (Ergotheraphie, Musik auf Lehramt, Tanzpädagogik etc.). Rechnet man noch die Tatsache hinzu, dass ein grundständiges künstlerisch-pädagogisches (EMP-)Studium auf vier und nicht drei Studienjahre angelegt ist, so lässt sich attestieren: Die tarifliche Eingruppierung in 9b ist nicht nur schlecht, sie ist in den meis­ten Fällen wirklich falsch. 

Dass es sich hier um ein eindeutiges Missverhältnis zwischen Qualifikation und Entlohnung handelt, scheint zunehmend auch genügsame EMP-Lehrkräfte zu frustrieren. Zirka 39 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen gaben in Bezug auf ihre elementarpädagogischen Tätigkeiten an einer oder mehreren Musikschulen an, unzufrieden beziehungsweise eher unzufrieden mit ihrem Gehalt zu sein (am häufigsten wurde „teils-teils“ angegeben). Hinsichtlich aller anderen Tätigkeiten, die sie an einer oder mehreren öffentlichen Musikschulen ausüben (vornehmlich instrumentaler Einzelunterricht), zeigten sich die Lehrkräfte mit ihrem Gehalt deutlich zufriedener. Hier waren es nur 21 Prozent der Studienteilnehmer*innen, die die Antwortmöglichkeit „eher unzufrieden“ oder „unzufrieden“ anklickten. 

Unstrittig bleibt, dass elementarpädagogische Tätigkeiten mit deutlich mehr Aufwand und Stress als herkömmlicher Einzelunterricht einhergehen. Daher sollte es kaum verwundern, dass sich viele EMP-Lehrkräfte die Frage zu stellen scheinen: Warum wird diesem Mehraufwand zumindest aus finanzieller Sicht kaum Rechnung getragen, wenn ich dank meiner Mehrfachqualifikation auch etwas anderes machen könnte?

Mehraufwand und Mental Load

Bleiben wir aber doch bei dem Stichwort Mehraufwand. Ein Begriff, der sich in den letzten Jahren zunehmend in feministischen Diskursen eingebürgert hat und die vielen kleinen Dinge beschreibt, die bedacht und erledigt werden müssen, um irgendwie durch den Alltag zu kommen, ist sogenannter Mental Load. Frauen würden seit jeher den Großteil solcher unsichtbaren mentalen Arbeit leisten – privat, aber auch im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit. „Hat denn jemand schon die Pausenbrote für die Kinder geschmiert?“ oder „Der Drucker hat bald keinen Toner mehr. Ich sag schon mal der Sekretärin Bescheid“, wären typische Beispiele, die in ihrer Summe unter Mental Load verzeichnet werden können. Sollte an dieser Stelle noch nicht ersichtlich sein, worauf die vorliegende Ausführung hinaus soll, lasse ich Sie gerne an einigen Gedanken teilhaben, die sich während einer MFE-Stunde mit zehn bis zwölf fünfjährigen Kindern abspielen – im Kopf der Lehrkraft und in Bezug auf 15 Sekunden einer Unterrichtsstunde: 

Wo sind die Klanghölzer? – Warum fehlen hier drei Klanghölzer?! (Die hatte ich doch letzte Woche hier hingelegt!) – Also noch mal nachzählen ... – Warum ist Lisa so lange auf Toilette? Dann nehmen wir halt Rasseln. Wo ist der Schrankschlüssel? Schrank war ja vorhin abgeschlossen. Tobi, renn nicht weg, du musst hierbleiben! Warum weint Nele jetzt wieder? Mist, hab ich schon alle Kinder auf der Liste abgehakt? Egal, aufs Wesentliche konzentrieren! Nur wo bleibt Lisa? Die Mama von Mia ist doch mitgegangen ... soll ich doch noch mal nachschauen? 

Wer EMP-Formate mit jüngeren Kindern unterrichtet, muss mit genau dieser Art von Belastung umgehen können. Und akzeptieren, dass jene Leis­tung nicht unbedingt mit gesteigerter Anerkennung einhergeht. Ob Frauen schlicht eine bessere genetische Veranlagung haben, um jene Form von Dauerstress auszuhalten oder ob es vornehmlich soziologische Gründe sind: Fakt ist, dass fast nur Frauen EMP-Formate an oder über öffentliche/n Musikschulen unterrichten. Mit Blick auf den derzeitigen Fachkräftemangel stellt sich jedoch zunehmend die Frage: Wie lange noch? Wie viel „Weiblichkeit“ kann sich die EMP im wirtschaftlichen Sinne erlauben, wenn geschlechtliche Gleichstellung immer noch nicht im freien Arbeitsmarkt verankert ist?

Es sind nicht nur die Gehälter

Dass der derzeitige Fachkräftemangel an VdM-Musikschulen aus gesamtgesellschaftlicher beziehungsweise sozio-ökonomischer Betrachtung auch eine geschlechterparitätische Frage ist, sollte spätestens an dieser Stelle deutlich geworden sein. Gleichzeitig gehen aus der Online-Umfrage Problematiken hervor, die sich nicht allein durch eine genderkritische Auseinandersetzung beleuchten lassen. Beispielsweise stellte sich heraus, dass sich die meis­ten Lehrkräfte vor allem durch das häufige Pendeln zwischen unterschiedlichen Unterrichtsorten belastet fühlen. An zweiter Stelle nannten sie die hohe stimmliche Belastung, gefolgt vom Umgang mit schwierigen Kindern.

Tatsächlich lag der Durchschnittswert der von den Studienteilnehmer*in­nen angegebenen wöchentlichen Anzahl an Unterrichtsorten bei fünf. Vor dem Hintergrund, dass die Lehrkräfte durchschnittlich „nur“ 18 Wochenstunden an einer oder mehreren öffentlichen Musikschulen unterrichten (was etwas weniger als einer 2/3-Stelle entspricht), scheint der Unmut über die vielen Ortswechsel durchaus berechtigt. Hinzu kommt, dass vielen Lehrkräften die Anfahrtszeiten zu den jeweiligen Unterrichtsorten nur teilweise oder gar nicht vergütet werden. Zu hoffen bleibt, dass zusätzliche Entlas­tungsmaßnahmen für die betroffenen Lehrkräfte geschaffen werden. Entweder durch eine bessere Vergütung, mehr Regiezeit, Anrechnung der Fahrtwege und oder durch andere strukturelle Veränderungen. 

Um ein rapides Abwandern von EMP-Lehrkräften in andere (musikpädagogische) Bereiche zu verhindern, müssen Verantwortungsträger schnell handeln. Denn der derzeitige Status quo sieht nicht gerade rosig aus: 42 Prozent der Lehrkräfte gaben in der Umfrage an, in letzter Zeit schon einmal darüber nachgedacht zu haben, mindestens eine ihrer derzeitigen Musikschulstellen aufzugeben. Das sind erschreckend viele. 

Ich, die Verfasserin des Artikels und der Studie, war eine davon. So sehr mir auch die musikschulische Arbeit im EMP-Bereich Spaß gemacht hat, meine Zukunft sehe ich vorerst woanders. Bei veränderten Arbeitsbedingungen komme ich gerne wieder. Bis dahin erstmal viele Grüße aus der Grundschule!

  • Die Umfrage wurde über den E-Mail-Verteiler des VdM an alle darin enthaltenen Musikschulen in Deutschland versandt und war vom 17.10.2023 bis zum 10.11.2023 im Umlauf.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!