Martin Christian Vogel wurde in Chemnitz geboren und war von 1961 bis 1969 Mitglied des Thomanerchores Leipzig, für den er nach seinem Theologie- und Gesangsstudium als Stimmbildner tätig war. Zehn Jahre wirkte er im Solistenensemble der Oper Leipzig, von wo aus er nach Berlin wechselte und an der Deutschen Oper sang. 1991 erfolgte der Ruf als Professor für Gesang an die Hochschule für Musik Detmold, deren Dekan er vier Jahre lang war. 2001 wurde er zum Rektor der Hochschule gewählt und 2008 in diesem Amt für weitere sechs Jahre bestätigt. Im Oktober übergibt Martin Christian Vogel die Hochschulleitung an seinen Nachfolger Prof. Dr. Thomas Grosse.
neue musikzeitung: Herr Prof. Vogel, Sie sind vor 13 Jahren zum Rektor der Hochschule für Musik in Detmold ernannt worden. Im Oktober 2014 läuft Ihre Amtszeit ab. Blicken Sie doch einmal zurück auf die vergangenen Jahre.
Martin Christian Vogel: Die Welt der Musikhochschulen war damals noch eine andere. Inzwischen haben sich die Hochschulen weit geöffnet, so zum Beispiel in NRW im Rahmen der 2003 beschlossenen „Musikpädagogischen Offensive“. Das grundsätzliche Anliegen meiner Rektoratstätigkeit ist, die künstlerische Exzellenz in Detmold zu bewahren und weiter auszubauen. Dabei verbinden wir inzwischen die Betreuung im künstlerischen Hauptfach viel stärker damit, die Studierenden auf die spezifischen Berufsfelder eines Orchestermusikers oder Sängers vorzubereiten. Wir berücksichtigen gesundheitliche Aspekte, bearbeiten Themen wie Musikmanagement oder Karriereberatung, was in einem doch zunehmend schwieriger werdenden Markt notwendig ist. Deshalb haben wir hier bei uns eines der ersten Karriere-Zentren an einer Musikhochschule in Deutschland gegründet. Wichtig ist und bleibt die Ausbildung von Lehramtsstudierenden. Es hat sich da zwar sehr viel getan, und vieles läuft besser als vor zehn Jahren, aber wir müssen akzeptieren, dass sich die Ausgangsbedingungen seitdem stark verändert haben. Junge Menschen empfinden Musik heute anders als vor 10 Jahren. Darauf sollten wir durch eine passgenaue Ausbildung der Musiklehrer von morgen reagieren. Und es muss sich in den Köpfen von uns Professoren noch etwas tun, damit wir begreifen, wie wichtig die pädagogische Ausbildung neben der künstlerischen ist.
nmz: Die Hochschule in Detmold widmet sich auch jungen Menschen, die schon sehr früh ein großes musikalisches Talent zeigen.
Vogel: Das ist ein für mich wichtiger Bereich. Ich bin ja Professor für Gesang und habe immer schon bei Eignungsprüfungen festgestellt, dass deutsche Kandidaten auf ein Hochschulstudium nicht so gut vorbereitet sind wie beispielsweise Bewerber aus dem ehemaligen Ostblock oder aus Asien, die durch eine viel intensivere Schulung hindurchgegangen sind. Deshalb haben wir ein Hochbegabtenzentrum mit bis zu 25 Studienplätzen gegründet, das heute den Namen Detmolder Jungstudierenden-Ins-titut trägt. Dort bieten wir eine vernetzte Ausbildung für junge Leute ab etwa 12 Jahren an, die nicht nur in ihrem Hauptfach Unterricht erhalten, sondern auch in den Fächern Gehörbildung und Theorie. Hinzu kommen Improvisation, Chorsingen und einiges mehr. Damit bereiten wir junge Leute auf die späteren Anforderungen des Musikstudiums vor. Solche „Precolleges“ gibt es inzwischen an vielen weiteren Musikhochschulen. Über das künstlerische Reifen hinaus liegt uns sehr viel daran, die Jungstudierenden auch menschlich zu begleiten und kulturell zu bilden.
nmz: In Detmold tut sich einiges, um den Standort weiterhin attraktiv zu halten.
Vogel: Wir haben weitere neue Bereiche erschlossen wie die Musikvermittlung, aber auch die Erweiterung der Musikpädagogik um den Inhalt „lebenslanges Lernen“ sowie – das ist ein großes Thema für die Zukunft – „die transkulturelle Musikpädagogik“. Wir müssen dringend Antworten auf die rapide Veränderung unserer gesamtgesellschaftlichen Situation finden, uns auf eine Gesellschaft einstellen, in der mehr und mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben. Im Juni 2014 konnte ich noch eine Initiative gemeinsam mit den Hochschulen in Hannover, Köln und Weimar starten, um die „transkulturelle Musikpädagogik“ in die bisherige Arbeit der Hochschulen zu integrieren und um paradigmatisch Möglichkeiten zu finden, das Thema an den Hochschulen wissenschaftlich und pädagogisch zu verankern.
Alle Hochschulgebäude auf unserem Campus sind in den vergangenen zehn Jahren saniert worden. Und zur Zeit erleben wir den Neubau eines innovativen Bibliotheks- und Wissenschaftszentrums, das den Namen „forum Wissenschaft | Bibliothek | Musik“ tragen soll. Dort führen wir den wertvollen Musikalienbestand der Lippischen Landesbibliothek mit unserem eigenen zusammen.
Eine zusätzliche Bereicherung erfährt das Ganze noch durch die Ergänzung des Bestandes des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Paderborn und unserer Hochschule. Dabei entsteht durch Vernetzung dieser Standorte ein Wissenschaftscampus, der nach Fertigstellung im nächs-ten Jahr über den wohl größten Musikalienbestand einer bundesdeutschen Musikhochschule verfügen wird.
nmz: … und Sie haben die Detmolder Sommerakademie gegründet.
Vogel: Detmold ist eine wunderbare ehemalige Residenzstadt – aber sie ist klein und vor allem von den gro-ßen Verkehrswegen eher abgeschnitten. Deshalb wissen viele potenzielle Studierende nicht, welche tollen Bedingungen wir hier an unserer Hochschule haben. Mit der 2004 ins Leben gerufenen Sommerakademie laden wir die 1. und 2. Bundespreisträger „Jugend musiziert“ zu uns ein, um hier Meisterkurse zu besuchen, gemeinsam Kammermusik zu machen, zu improvisieren, den Campus zu erleben – und sich vielleicht für Detmold als Studienort zu entscheiden. Das hat sich in den zehn Jahren sehr bewährt, und es sind inzwischen viele besonders begabte Studierende hier bei uns, die ohne diese Sommerakademie nicht in Detmold studieren würden.
nmz: Die Musikhochschullandschaft Deutschland wird seit geraumer Zeit eifrig diskutiert, zuletzt ganz massiv in Baden-Württemberg.
Vogel: Ich sehe der Entwicklung mit großer Sorge entgegen, obwohl wir in Nordrhein-Westfalen insgesamt noch gute Bedingungen haben. Das zuständige Ministerium ist uns zugetan, aber auch in NRW sind schon die Vorboten der kommenden Schuldenbremse spürbar.
Die Musikhochschulen sind Teil des weltweit bewunderten Systems der deutschen Orchester- und Konzertlandschaft. Hier den Rotstift anzusetzen, Orchester zu schließen und dann den Hochschulen vorzuwerfen, sie bildeten über den Bedarf aus, halte ich für unangemessen. Das von Detmold aus gegründete Netzwerk für Qualitätsmanagement und Lehrentwicklung, dem 12 Musikhochschulen angehören, wird belastbare Zahlen über den Verbleib unserer Absolventen vorlegen. Schon heute wissen wir jedoch, dass ein großer Mangel an Schulmusikern herrscht und die Nachfrage nach Unterricht an den deutschen Musikschulen bei Weitem das Angebot übersteigt. Es müssen also seriöse Zahlen erhoben werden, auf deren Grundlage belastbare Aussagen getätigt werden können. Daran fehlt es zur Zeit bei dieser Diskussion.