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Das Konzerthaus ist mit zwei Wellenfeldsynthese-Anlagen ausgestattet
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Der Gang über die Stufen des Detmolder Konzerthauses wird von einem Hallen übertönt. Auf den ersten Eindruck schwirren diffuse Klänge umher. Sie erinnern an Kinoatmosphäre. Der Klang entfaltet sich und bekommt Raum. Wenn man genau hinschaut, sieht man ein rotes Lämpchen am linken Rand der Bühne aufleuchten. Zeichen dafür, dass die Wellenfeldsynthese-Anlage des Konzerthauses der Hochschule für Musik Detmold angeschaltet ist. Musiker befinden sich auf der Bühne. Konzentriert kommunizieren sie mit dem Tonmeister am FOH-Platz. Werkstattatmosphäre. Die rote Lampe erlischt. Der Innenraum des Konzerthauses wird in seinen Ursprungszustand zurückversetzt. All das passiert in Minutenschnelle.

Eindrücke einer Situation aus dem Konzerthaus der Hochschule für Musik Detmold. Seit 2009 ist diese als erste Musikhochschule überhaupt mit zwei Wellenfeldsynthese-Anlagen ausgestattet. „Mit der Komplettsanierung des Konzerthauses ging automatisch auch die Frage nach einer optimalen akustischen Beschallung einher“, erinnert sich Prof. Dr.-Ing. Malte Kob, Professor für Theorie der Musikübertragung am Erich-Thienhaus-Institut der HfM Detmold und Inhaber der Forschungsschnittstelle des Systems. „So kamen der damalige Leiter des Erich-Thienhaus-Instituts, Prof. Carlos Albrecht, und sein Kollege Prof. Andreas Meyer 2006 auf die Idee, ein Audiowiedergabeverfahren zu installieren, das auf dem Prinzip der Wellenfeldsynthese beruht.“ Eine zweite Anlage im WFS-Studio des Erich-Thienhaus-Instituts, das mit dem Studiengang Musikübertragung angehende Tonmeister ausbildet, besitzt 88 Lautsprecher, über die bis zu 32 Schallquellen wiedergegeben werden können. Während die große WFS-Anlage zu konzertanten Zwecken dient, wird die kleinere vorwiegend für Lehre und Forschung sowie für die Vorbereitung von Projekten eingesetzt. 

Das Prinzip der Wellenfeldsynthese oder Wave field synthesis (WFS) beruht auf der Annahme des niederländischen Physikers Christiaan Huygens, dass jede Schallwelle auch als Überlagerung von Elementarwellen betrachtet werden kann. Das Ergebnis lässt sich im dreidimensionalen Raum mittels computergestützter Systeme hörbar machen. In der vom räumlichen Audiowiedergabeverfahren erzeugten virtuellen akustischen Umgebung erlebt man den Schall nicht als von Lautsprechern ausgehend, sondern von einem bestimmten Punkt im Raum. Ein mathematisch-physikalisches Prinzip also, das unter Einsatz digitaler Signalverarbeitung zu einem klanglichen Erlebnis führt. Im Konzerthaus der Hochschule erlauben 333 Lautsprecher in den Wänden und der Decke die Wiedergabe von bis zu 64 Schallquellen an beliebigen Orten. 

„Mittlerweile ist die Wellenfeldsynthese zu einem Alleinstellungsmerkmal für das Detmolder Konzerthaus und die Hochschule geworden“, konstatiert Kob. „Immer mehr Interessierte kommen und fragen an, ob man ihnen diese demonstrieren kann.“ Komponisten wie der Schwede Örjan Sandred oder der Italiener Andrea Valle kommen im Rahmen der DAAD-Stiftungsprofessur für jeweils ein Semester an die Hochschule und verfassen eigene Werke für diese Anlage, sogar Schulklassen möchten sich mit deren Funktionsweise vertraut machen. „Im vergangenen Jahr hatten wir ein Projekt mit dem Leopoldinum, einer der örtlichen Schulen vor Ort“, so Kob. „Eine Schulklasse hat in Kooperation mit Studierenden des Erich-Thienhaus-Instituts im Deutschunterricht Fontanes Ballade ‚John Maynard’ in eine Hörspielversion umgesetzt und eine spezielle WFS-Mischung geplant.“ Ein tragender Beweis dafür, dass sich auch junge Zielgruppen für die Arbeitsweise eines solchen Systems interessieren. 

Seit Beginn ihrer Implementierung verfügt die WFS-Anlage über unterschiedliche Anwendungsbereiche: Neben dem bereits aufgezeigten Aspekt der Integration in die Ausbildung der Tonmeister-, Akustik-, Musikregie- und Kompositionsstudierenden wird sie genutzt, um den für das Detmolder Konzerthaus spezifischen Aspekt der Nachhallverlängerung mittels eines separaten Systems hörbar zu machen. Ein besonderes Verfahren erlaubt die Änderung der Raumakustik des Konzerthauses, sodass die Nachhallzeit von ursprünglich 1,5 Sekunden auf bis zu 5 Sekunden in mehreren Schritten erhöht werden kann. „Damit bekommt der Raum in Minutenschnelle die akustischen Ausmaße einer Kirche“, so Kob. „Profitieren können davon beispielsweise die Kirchenmusiker in unserem Hause, die an der Orgel im Konzerthaus gerne die Wirkung ihres Spiels in der Akustik einer Kirche spüren wollen.“ Müssen dafür nicht ständig Techniker und Fachleute vor Ort sein, die die Anlage bedienen? Keineswegs. Eine Steuereinheit wurde implementiert, bei der eine Bedienung durch Musiker und Hausdienst problemlos möglich ist. Per Knopfdruck und intuitiv kann das System je nach Bedarf an- oder ausgeschaltet werden. Je nachdem, ob ein Musiker sich spontan entschließt, sein Prüfungskonzert oder den Vortragsabend mit der Nachhallverlängerung durchführen zu wollen.

Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich der Wellenfeldsynthese ist die Einbindung in die Kunstausübung der Hochschule. Um Zielgruppen zu erschließen, die diese Möglichkeiten in ihre Arbeit integrieren möchten, richtet die Hochschule regelmäßig im Monat eine experimentelle Konzertreihe aus, die unter dem Namen „wfs-Spielräume“ bekannt ist. Dort sollen Begegnungen zwischen Musikern, Komponisten und dem interessierten Publikum stattfinden. „Wir wollen Möglichkeiten schaffen, damit es zu einem Austausch zwischen Tonmeistern und Kunstschaffenden kommen kann. Das Publikum soll dabei Zeuge eines lebendigen Entstehungsprozesses werden. Man darf Fragen stellen oder einfach mal zuhören“, sagt Malte Kob. Nach der Eröffnung des Konzerthauses 2009 wurde sogar ein eigener Wettbewerb ins Leben gerufen. Die ersten drei Preisträger präsentierten ihre Kompositionen in den Folgejahren bis 2012. Dabei war der deutsche Komponist Stefan Lienenkämper der erste Preisträger von jenen, der versucht hat, die Verräumlichung von Klang in seinen Werken zu realisieren. Besonders Zeitgenössische Musik profitiert von der Wellenfeldsynthese. Hier können Schallquellen individuell im Raum positioniert werden. Dynamische Effekte und neue Formen der Musikwiedergabe lassen sich damit erzeugen. All diese Möglichkeiten lassen sich elektronisch umsetzen und als kompositorische Elemente neu denken. Mittlerweile sind internationale Komponisten und Wissenschaftler mit der Anlage in Berührung gekommen. Teilweise komponieren sie ihre Werke für die Wellenfeldsynthese und geben diesen Input sowohl in Detmold als auch in ihrer Heimat weiter. Werbung, von der eine Hochschule nur profitieren kann. 
 

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