Mit der „Zauberflöte“ startete operationderkuenste, kurz odk, im Jahr 2019. Ihre zweite Arbeit, Mozarts „Figaro“, wurde durch Corona vereitelt, kam aber mit einzelnen Szenen der ursprünglichen Produktion, kombiniert mit Prokofjews 1. Sinfonie unter dem Titel „Figaro classique“ vor einem Jahr doch noch auf die Bühne (siehe nmz-Hochschulmagazin 12/20-1/21). Im diesjährigen Projekt nahm sich die Gruppe Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ vor und kombinierte ihn mit Stücken von Henriëtte Bosmans, Ilse Weber und Maria Herz, die allesamt wie Ullmann selbst als jüdische Komponist*innen von den Nazis verfolgt wurden und teils als Gefangene in Konzentrationslagern umkamen. Mit dem Namen „Wann wohl das Leid ein Ende hat?“ kam ein bewegender Abend heraus, der wenig bekannten Melodien eine Stimme verlieh. Mitorganisator Lukas Kleitsch und Dirigent Simon Scriba sprechen über die Anfänge von odk, darüber, wie ihre Gruppe allmählich Form annimmt und sich zugleich stetig weiterentwickelt.
Simon Scriba: Das Ganze hat angefangen in Anlehnung an Currentzis’ musica aeterna und war getrieben vom Wunsch, Musik auf hohem Niveau und mit völliger Hingabe zu machen, aber in Abgrenzung gegenüber veralteten Strukturen, wo die Leute zum Dienst kommen und das einfach nur runterspielen. Um es mal so frech zu sagen: Wir hatten das Bild von sehr stark gelangweilten Orchestermusiker*innen im Kopf. Wir wollten also ein großes Ensemble gründen, bei dem das nicht so ist und dann kam sehr schnell die Idee auf, Oper zu machen. Weil gerade in der Oper die Strukturen sehr hierarchisch sind, haben wir gesagt: wir wollen das anders machen. Zu Beginn stand also der Wunsch nach einem partizipativeren – wenn man so möchte demokratischen – musikalischen Arbeiten. So kamen wir mit fünf, sechs Leuten zusammen, um im März 2019 die „Zauberflöte“ zu planen. Als damals die Kooperation mit Studierenden der HfMdK Frankfurt entstand, hatten wir auch gleich das Bild einer fahrenden Oper im Kopf, also den Gedanken, dass wir touren, und haben das Stück dann in Berlin und Frankfurt aufgeführt. Unser Team bestand damals hauptsächlich aus Studierenden der UdK und der HfMdK Frankfurt, hinzu kamen noch Leute aus Hamburg, Rostock, Freiburg oder München. Schon zu Anfang kam die Idee auf, das Orchester auf der Bühne zu platzieren, damit es mitbekommt, was passiert und als Teil der Szenerie mit integriert wird. Jeden Tag gab es szenische und Orchesterproben und am Abend haben wir die Ergebnisse zusammengesetzt in einer Art Plenarprobe, wo man Potenzielles ausprobiert und dann gemeinsam bespricht. Zu der einen oder anderen Sache gab’s auch ganz große Diskussionen.
Wie seid ihr damals an die Sache herrangegangen?
Scriba: Bei der „Zauberflöte“ hatten wir hohe Ansprüche, aber zugegebenermaßen noch wenig Methode. Wir wussten noch nicht wirklich, wie diese gemeinsame Arbeit, dieses Demokratische, aussehen kann. Wir wussten nur, wir wollen Räume schaffen, in denen wir fragen: Was denkt ihr? Und dann schauen, was zurückkommt. Dann kam die eine oder andere Sache und es ergab sich, dass ich als Moderator fungiert habe, also geschaut habe, dass alle zu Wort kommen. Gelegentlich haben wir gemerkt, dass wir uns bei einer Frage fest geredet haben, obwohl eine Entscheidung her musste. Das war eigentlich eine kleine Sache, da ging es nur um die Phrasierung an einer Stelle. Trotzdem ging es heiß her, also haben wir es in einer Abstimmung gelöst. Damit waren dann alle zufrieden.
Hat sich die Arbeit inzwischen geändert? Gibt es nun eine feste Form?
Scriba: Es entwickelt sich schon immer noch weiter. Wir haben uns auch ein wenig dazu belesen und schauen immer, wie man unterschiedlich an die Sache herangehen kann. Noch haben wir da kein endgültiges Ergebnis. Wir sind da eher noch am Suchen und versuchen das Ganze immer weiter zu öffnen.
Rollenverteilungen
Lukas Kleitsch: Es gibt im Grunde zwei Seiten zu berücksichtigen. Die eine ist: Gibt es ein didaktisches Konzept und wie könnte das aussehen? Wie involviert sind alle? Wissen alle Bescheid, dass man so proben will? Wie reden wir miteinander und wie soll es genau funktionieren? Auch die Rollenverteilung ist dabei sehr wichtig. Über diesen ganzen Komplex haben wir uns immer viele Gedanken gemacht. Wir dachten immer, wir müssen das eine Konzept haben vor einer Probe, damit es klappen kann. Bald haben wir aber gemerkt, dass sich Situationen so stark voneinander unterscheiden, dass es gar nicht so leicht ist, mit so etwas Klarem reinzugehen. Im Zuge dessen haben wir gemerkt – und das ist nun die andere Seite –, dass viel damit zusammenhängt, wie sehr alle Beteiligten die Ziele kennen, also das, was wir wie machen wollen. Auch ob die Leute wegen der Sache dabei sind oder zum Beispiel ganz spontan eingesprungen sind. Natürlich klappt es besser, wenn alle aus der Gruppe wissen, worum es uns geht, warum wir so viele Gespräche führen, warum wir so kommunizieren, dass alle beteiligt sind und vor allem, was auch der Mehrwert davon sein kann, dass alle mitsprechen können.
Hat sich inzwischen auch eine feste Gruppe etabliert oder gibt es noch eine große Fluktuation von Projekt zu Projekt?
Scriba: Manche sind jetzt schon zum wiederholten Mal dabei, aber ungefähr die Hälfte sind neu. Ursprünglich war das Projekt für März 2021 geplant und wir haben es zwei Mal verschoben. Einige haben diesen ganzen Verschiebeprozess mitbegleitet und sind dadurch natürlich auch mehr im Bilde als diejenigen, die ziemlich spontan dazugekommen ist.
Kleitsch: Durch den Wechsel der Besetzung haben wir gemerkt, dass unsere Projekte und unser Ansatz bekannter sind, weil mehr herumerzählt wird. Dadurch wissen oft auch Leute, die neu dazukommen, schon mehr darüber. Beim ersten und zweiten Projekt war es viel wahrscheinlicher, dass eine Person, die dazukommt, noch nie von uns gehört hat. Da hat ein Wechsel einen größeren Einfluss gemacht als jetzt, wo viele uns schon kennen. Ich glaube wir sind auf einem guten Weg, dieses Netzwerk von Leuten zu vergrößern. Wir suchen nach einem Team, das Lust hat, auszuprobieren, das an gewissen Stellen künstlerisch mutig ist und über den eigenen Schatten springt. Die Frage ist aber nicht so leicht, denn wir könnten schnell sagen, wir suchen uns nur die Leute, mit denen es eh klappt. Damit würden wir auch einem gewissen Prozess ausweichen. Wir versuchen da eher einen Mittelweg zu finden.
Geht es also auch darum, diesen Ansatz nach draußen zu tragen und mehr Leute damit in Berührung zu bringen und dafür zu begeistern?
Kleitsch: Auf jeden Fall auch. Das soll sich jetzt gar nicht so groß anhören, aber wir sehen auch eine Art von Bildungsauftrag gegenüber den Teilhabenden, die auch etwas mitnehmen sollen, das sich wertvoll anfühlt. Was ich immer spannend finde: Selbst bei Leuten, die von Anfang an aufgeschlossen und voll dabei sind, die Lust haben, mitzureden und zu gestalten, kommt es sowohl bei Instrumentalist*innen als auch bei Sänger*innen zu diesen Momenten, die ungewohnt sind, wo dann jemand sagt: Aber ich will doch, dass du mir einfach sagst, was ich machen soll. Oder dass es heißt: Das läuft so nicht! Das sind die Momente, in denen es sich auch aufheizen kann, aber gerade das ist auch spannend. Da ist dann die Frage: Wie gehen wir damit um? Müssen dafür schon Gedanken im voraus existieren, wie man da reagiert? Oder kann man aus diesen Momenten selbst etwas schöpfen? Zeitdruck spielt da natürlich auch eine Rolle. Wenn man ein klares Konzept hat und einfach mit Anweisungen arbeitet, wird das sicher schneller fertig. Da ist es auch für alle selbst interessant zu schauen: Wo zeigen sich bei mir verdeckte Strukturen, die ich selbst schon internalisiert hab, obwohl ich das eigentlich nicht möchte. Auch das Denken in hierarchischen Strukturen wird bewusst, wie etwa die Frage: Auf wen möchte ich hören?
Rund um Viktor Ullmann
Kommen wir nochmal auf das letzte Projekt zu sprechen. Ihr habt den „Kaiser von Atlantis“ mit Liedern verbunden, die sich teils auch explizit auf das Leben im Konzentrationslager beziehen. War das von Anfang an so geplant?
Scriba: Es stand nicht alles gleichzeitig fest, sondern fing schon mit dem „Kaiser von Atlantis“ als zentralem Stück an, sowohl aufgrund der genialen Musik, als auch wegen der kleineren Orchesterbesetzung. Natürlich ist der Hintergrund auch relevant: Eine Oper, die in Theresienstadt geschrieben wurde und deren Komponist in Auschwitz ermordet wurde. Das hat eine besondere gesellschaftliche Relevanz. Dann wollten wir aber bewusst noch Komponistinnen dazu nehmen, weil diese Domäne sonst immer so männlich besetzt ist. In der Recherche entdeckten wir als erstes Ilse Weber, von der wir einige Lieder gespielt haben. Im Weiteren stießen wir auf den „Doodenmarsch“ von Henriëtte Bosmans, bei dem uns die Nachfahren erlaubten, ihn für unsere Besetzung zu arrangieren. Dieses Stück und die „Rundfunkmusik“ von Maria Herz lagen nur im Autograph vor. „Rundfunkmusik“ passt zum Setting vom „Kaiser von Atlantis“, da es auch eine Partie gibt, die Lautsprecher heißt und die man laut Regieanweisung auch gar nicht sieht. Der „Doodenmarsch“, der kurz nach Kriegsende entstand, passte, weil darin das zerstörte, verlassene Amsterdam beschrieben wird, aber auch die Hoffnung thematisiert, wie es sein wird, wenn diese ganzen Menschen wiederkehren, die vertrieben wurden.
Kleitsch: Wir haben im Januar diesen Jahres intensiv mit der Planung angefangen und die Stücke festgelegt, weil das Projekt ja eigentlich für März angesetzt war. Dabei haben wir gemerkt, wie wichtig es uns eigentlich ist, diese Persönlichkeiten sichtbar und hörbar zu machen. Das hat uns als Ensemble unglaublich verändert, das merken wir jetzt auch retrospektiv, wenn wir darüber sprechen. Mit Blick in die Zukunft sehen wir auch, dass das uns etwas gibt und wir damit einen Teil in der Gesellschaft ausfüllen können, der sich stimmig anfühlt. In diese Richtung möchten wir weitergehen: Das Sichtbar- und Hörbarmachen von Personen, die die Geschichtsschreibung mehr oder weniger ausgelassen hat.
Hoffentlich müssen zukünftige Projekte dann nicht mehr so oft verschoben werden. Danke für das Gespräch!