Seit 21 Jahren gibt es die neugegründete Hochschule für Musik und Theater in Rostock, seit 20 Jahren bietet sie ihren „Internationalen Sommercampus“, einwöchige Meisterkurse im August an. Seit 10 Jahren gibt es dabei eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem drittgrößten deutschen Klassikfestival, die dem Sommercampus im sich ausbreitenden „Meisterkursbetrieb“ ein Alleinstellungsmerkmal garantiert.
Die Festspiele stellen dem Sommercampus ein qualifiziertes professionelles Orchester bereit, mit dem die Teilnehmer das, was sie in den Kursen erarbeitet haben, im Zusammenspiel proben und dann in öffentlichen Konzerten zur Aufführung vor einem breiten Publikum bringen können – ein einmaliges Feld, auf dem die Kursanten sich unter vielen Aspekten als Solisten trainieren können. Seit 2006 war die Polnische Kammerphilharmonie Sopot unter ihrem Gründer Wojciech Rajski, für diese Aufgabe vorgesehen, für dieses und die Folgejahre haben die Festspiele als neues „Residence-Orchester“ die Norddeutsche Philharmonie Rostock (wiederum unter Rajskis Leitung) ausgewählt, ein sinfonisches Voll-Orchester – was einerseits die Liste der zu erarbeitenden Werke um die großen Instrumentalkonzerte des romantischen Repertoires erweiterte und andererseits zu einer deutlichen Profilierung des gemeinsamen Musizierens von Orchester, Kursdozenten und -teilnehmern führte.
Von diesem verlockenden Angebot ließen sich in diesem Jahr 94 Studierende, darunter 42 Deutsche, aus 25 Nationen anziehen, von denen 59 dann doch aus deutschen Studieneinrichtungen und fast ein Viertel aus der gastgebenden Hochschule kamen. Acht Meisterkurse waren im Angebot: die „klassischen“ für Violine (Tanja Becker-Bender), Violoncello, Viola (Máté Szücs) und Klavier (Hamish Milne), dazu zwei Gesangskurse (Thomas Quasthoff und Fionnuala McCarthy), außerdem ein Kammermusikkurs und als Spezialität für dieses Jahr der international besonders nachgefragte Posaunenkurs von Jamie Williams, Lehrbeauftragter an der Rostocker Hochschule und Soloposaunist der Deutschen Oper Berlin. 43 Teilnehmer hatten die Möglichkeit zu einer Orchesterprobe, von denen sich dann 21 für einen Solistenauftritt mit Orchester qualifizierten.
Die Mitwirkung der Norddeutschen Philharmonie gab diesem Standardformat zudem einen Konzertüberbau, der den Sommercampus aus der Nische einer hochschulinternen Weiterbildungsveranstaltung herausführte und ihm eine interessierte Öffentlichkeit sicherte. Neben den zehn kammermusikalischen „Kurskonzerten“, in denen die besten Kursteilnehmer sich dem Publikum präsentieren konnten, gab es vier große Orchesterkonzerte, die zugleich Bestandteil des offiziellen Programms der Festspiele waren und in denen die renommierten Kursprofessoren und Kursanten als Solisten gemeinsam auftraten, nicht nur als Eröffnungs- oder Abschlusskonzert an der Hochschule, sondern auch als „Sommercampus on tour“ mit einer Mozart-Nacht in Bützow oder einem Cello-Marathon auf der Insel Poel, mit jeweils 300 bis 400 Besuchern.
Die dabei auszutarierende Interessenlage brachte Organisationschefin Angelika Thönes auf den Punkt: „Die Festspiele brauchen Künstler, die Publikum ziehen; die Hochschule braucht Künstler, die Studierende ziehen“, denn, wie man weiß, sind große Meisterkünstler nicht immer große Lehrmeister. So haben die Hochschule und die Festspiele ihre Netzwerke kombiniert und sich bei der Akquirierung der Kursprofessoren, die dann zugleich bei den Festspielen auftreten, gegenseitig unterstützt. In der Vergangenheit haben die Festspiele so die Mitwirkung solcher Spitzenkünstler wie beispielsweise Elisabeth Leonskaja, Grace Bumbry, Menahem Pressler oder Daniel Müller-Schott ermöglicht; im nächsten Jahr werden es Maria João Pires und Nils Mönkemeyer sein. In diesem Jahr waren es der Meistercellist Alban Gerhardt und für den Kammermusikkurs das weltweit anerkannte Fauré-Klavierquartett, das den Festspielen als künstlerischer Leiter und musikalischer Hauptakteur der Rügen-Festspiele besonders verbunden ist.
Das brachte sicherlich eine Auffrischung der nicht unproblematischen Lehrform „Meisterkurs“ mit sich, in der man, wie Fionnuala McCarthy sagte, eigentlich nur Anstöße und Tipps geben könne. Thomas Quasthoff bestand auf dem grundsätzlichen Dreiklang von „Technik-Musikalität-Ausstrahlung“ und insistierte in seinem Unterricht beständig auch auf den letzten Aspekt. Jeder der Musiker des Fauré Quartetts unterrichtete jedes der drei Klaviertrios und das Saxophonquartett, die sich bei ihnen angemeldet hatten, und Pianist Dirk Mommertz hielt die dabei möglichen Differenzen „für einen produktiven Widerspruch“ für die Teilnehmer.
Cellist Alban Gerhardt, der auf ein installiertes Lehramt verzichtet und auch nicht von Meisterkurs zu Meisterkurs reist, erwies sich als unkonventioneller, leidenschaftlich intensiver Lehrer, der auch einmal dem Schüler das Instrument wegnimmt und ihm im Stehen darauf vorspielt, wie er es meint. Damit hat er zehn von den elf seiner Schützlinge zur „Konzertreife“ gebracht, für ihr Kurskonzert, für das Abschlusskonzert und für den Cello-Marathon, bei dem er selbst – neben Tschaikowskis Rokoko-Variationen mit dem aufstrebenden Alexey Stadler – mit Schostakowitschs Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 den würdigen Höhepunkt der Sommercampus-Festspiel-Konzerte setzte.