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Avantgarde im Studienangebot

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Zukunftsgestaltung durch zwei neue Professuren an der MHL
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Wie können tragfähige Zukunftsperspektiven an einer Musikhochschule in den Vordergrund von Lehre und Studium gerückt werden? Zwei neue Professuren an der Musikhochschule Lübeck (MHL) halten zeitgemäße Optionen für Ausbildung und Forschung zum Wintersemester 2022 bereit: Prof. Dr. Daniel Sebastian Scholz wurde für Musizierendengesundheit, Prof. Nicola Leonard Hein für Digitale Kreation nach Lübeck berufen.

Die Kernfunktionen für eine zukunftsfähige Ausbildung kann die MHL angemessen erfüllen: Vierzehn zusätzliche Arbeitsplätze, entweder durch Umwandlung von Lehraufträgen zu festen Positionen oder neue Mittelbau-Stellen, haben den Personalbedarf konsolidiert und die Professuren für die beiden neuen und exzeptionellen Aufgabengebiete ermöglicht. Nicht nur ist Interdisziplinarität ein zentrales Merkmal der MHL-Lehrangebote, auch hat sich die MHL durch dezentrale Veranstaltungsorte und Bildungsangebote zunehmend in die Bürgergesellschaft geöffnet. Parallel dazu hat eine Vernetzung mit anderen Institutionen stattgefunden, etwa mit dem Zentrum für kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL) und mit dem Verbund Lübeck Hoch 3, in dem die MHL, die Fachhochschule (FH) und die Universität zu Lübeck (UzL) kooperieren.

Interdisziplinarität und Zukunftskapazität I – Gesundheit

Zur Schnitt- und Kontaktstelle zwischen MHL und UzL ist nun die vom Neurowissenschaftler, Diplom- Psychologen, Verhaltenstherapeuten und Musiker Daniel Sebastian Scholz übernommene Professur für Musizierendengesundheit geworden, die von der Lübecker Possehl-Stiftung mit 600.000 Euro anschubfinanziert wird. Die beiden Hochschulen möchten damit dem steigenden Bedarf an Beratung und Behandlung für Musikschaffende gerecht werden. Die Konfiguration der Aufgaben mit der Spezialisierung auf neurologische, psychologische und psychotherapeutische Aspekte der Musizierendengesundheit ist einzigartig, vergleicht man sie mit den zehn weiteren Standorten, die sich in Deutschland dieser Thematik widmen.

Es gab bereits die Hör-Hanse als Exzellenz-Cluster beider Institutionen und Daniel Scholz setzt diesen Austausch und Wissensdiskurs fort. Er hält für Studierende der MHL und UzL Vorlesungen zu den Grundlagen gesunden Musizierens, zu den Neurowissenschaften der Musik und bietet ein Lampenfieber-Behandlungsseminar an. Außerdem wird er Studierende, Profis und Amateure zum Thema gesunde Musikpraxis beraten. Im Einzelnen berührt sein Arbeitsgebiet: Prävention von Versagensängsten, Verspannungen, Überbelastung und Erschöpfungsphänomene, Schmerzen des Bewegungsapparats oder Komorbiditäten fokaler Dystonie – Symptome und Krankheiten, die durch psychischen Stress oder übertriebenes Üben entstehen können – sowie die zugehörigen therapeutischen Maßnahmen. Auch die Möglichkeit, dass Musik nicht die einzige berufliche Identifikation sein muss, kann ein Beratungsergebnis sein. An der geistigen Flexibilität, Alternativen anzunehmen, müsse man oft sehr lange arbeiten, weiß Daniel Scholz aus Erfahrung.

Viele Musizierende leiden unter gesundheitlichen Problemen wie schmerzhaften Verspannungen, eingeschränkter Bewegungsfähigkeit, Lampenfieber und Versagensängsten. Sie können gravierende Folgen für das Musizieren haben und im schlimms­ten Fall das Ende der Karriere bedeuten. „Aspekte der Musizierendengesundheit, wie wir sie zurzeit entwickeln, gehören unbedingt zu einer guten Ausbildung auf hohem Niveau – auch und gerade in der Breitenstreuung“, sagt dazu Prof. Dr. Oliver Korte, Vize-Präsident der MHL. „Wenn wir in der Vergangenheit gesundheitliche Probleme bei Studierenden beobachtet haben, mussten wir sie an Therapeuten in der Stadt verweisen. Jetzt aber haben wir selbst einen Experten, der Diagnosen stellen, beraten und Betroffenen – Lehrenden inklusive – vor Ort adäquate Hilfe bieten kann.“ Das besondere Profil dieser Professur entsteht durch die Zusammenarbeit von MHL und UzL in Lehre und Forschung, die Daniel Scholz mit der Neurologie der UzL auf dem Unicampus im Center of Brain, Behavior and Metabolism (CBBM) verwirklicht. Hier sind schon erste Forschungsprojekte zu den Themen mentale Belastung und neuronale Plastizität Musikstudierender in Planung.

II – Digitale Kreation

Junge Musikerinnen und Musiker müssen sich zunehmend in einer medialen Landschaft behaupten, in der Kompetenzen, Ideen und Konzepte über digitale Welten dargestellt werden. Auf diese im Vergleich zum 19. und auch noch 20. Jahrhundert gravierenden Veränderungen beruflicher Perspektiven für Musizierende, die sich gesellschaftlich parallel zum Tempo technischer Entwicklungen beschleunigt haben, „muss die MHL zeitgemäß reagieren und konventionelle Ausbildungsprofile um Möglichkeiten modernster Technologien ergänzen“, meint Oliver Korte. Zu diesem Zweck ist der Klangkünstler, Gitarrist und Komponist Nicola Leonard Hein als Professor für Digitale Kreation nach Lübeck berufen worden. Seine Arbeit wird von der Interaktion von Klang, Raum, Licht, Bewegung und der emergenten Dynamik ästhetischer Systeme bestimmt.

In seiner künstlerischen Arbeit verwendet er physische und elektronische Erweiterungen von Synthesizern und E-Gitarre, Klang­installationen mit Motoren/Videoprojektionen/Licht, kybernetische Mensch-Maschine-Interaktion mit interaktiven A.I.-Musiksystemen, Augmented Reality, telematische Echtzeitmusik, ambisonische Klangprojektion, Instrumentenbau und konzeptionelle Kompositionen. Seine Studierenden will er auch an die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Kunstformen wie Videokunst, Tanz, Theater, Literatur und Malerei heranführen. Physisches Instrumentalspiel wird im MHL-Studienalltag nach wie vor zum Standard der Klangkommunikation gehören, aber sie soll auch um digitale Kreation als gestalterisches Mittel interaktiv und intermedial erweitert werden.

Die Digitale Kreation „wird eine Schlüsselposition in der Studienarchitektur der MHL einnehmen an der Schnittstelle zwischen den Kompositions-, Instrumental- und Vokalklassen sowie den Studiengängen zur Musikvermittlung“, erläutert Oliver Korte. Als nächstes Projekt plant Nicola L. Hein mit seinen Studierenden, eigene elektronische Instrumente in Kooperation mit dem Fablab Lübeck, einer offenen High-Tech-Werkstatt, zu entwerfen und zu bauen. Darüber hinaus arbeitet er in einem anderen Seminar mit den Studierenden an der Entwicklung interaktiver Mensch-Maschinen Systeme auf Basis der Programmiersprache Max/MSP. Zum Abschluss des Wintersemesters werden Studierende zum Klassenabend und Konzert Komposition / Digitale Kreation an der MHL am 11. und 12. Februar 2023 erste Arbeitsergebnisse präsentieren. Um all diese ambitionierten Ideen zu verwirklichen und Kenntnis, Anwendung und Interaktion mit künstlicher Intelligenz als veritables Studienziel zu etablieren, wird die MHL einen neuen Raum, den so genannten White Cube, mit den aktuell verfügbaren Medien und Geräten ausstatten. Dort können dann jegliche Initiativen in Lehre, Forschung und Musikpraxis technisch vorbereitet, hergestellt und gestaltet werden.

Schlüsselfunktionen

Beide Professuren haben eine Schlüsselfunktion und stellen sozusagen die Avantgarde im Studienangebot mit integrativen Effekten nach innen und nach außen dar. So stehen sowohl Studierenden als auch Lehrenden qualifizierte Angebote zur Verfügung, um sich für ein herausforderndes und rapide veränderndes Berufsleben ertüchtigen zu lassen. Aufgrund dieser weit verzweigten und optimierten Studienarchitektur kann sich die MHL gestaltend auf die Zukunft der Musik hinbewegen.

Gesundheitsexperte

Daniel Sebastian Scholz wurde 1983 in Tübingen geboren. Er studierte Psychologie und Jazz-Komposition in Marburg und Osnabrück und promovierte am Zentrum für systemische Neurowissenschaften in Hannover. Seit 2011 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin (IMMM), der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) und beschäftigte sich im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte mit der Auswirkung von Musik auf die psychische und physische Gesundheit. Zudem lehrte er an der HMTMH von 2015 bis 2019 als Dozent in den Bereichen Jazz-Komposition und Arrangement und pädagogische Psychologie. Seit Mai 2021 ist Scholz auch als approbierter psychologischer Psychotherapeut mit der Fachrichtung Verhaltenstherapie am IMMM tätig mit einem Schwerpunkt auf der psychischen Gesundheit Musikschaffender. Er spielt Gitarre und Klavier, unter anderem in der Psycho-Rap-Rock-Band „Ego Super“ und ist Mitgründer und Betreiber des eigenen Plattenlabels „quadratisch rekords“.

Klangtechniker

Nicola Leonard Hein, 1988 in Düsseldorf geboren, studierte Jazzgitarre, Philosophie, Germanis­tik und Klangkunst-Komposition in Bonn, Mainz und New York. Er forscht auf dem Gebiet der Musikästhetik und Kybernetik und unterrichtete Sound Art und Critical Improvisation Studies an der Peter Behrens School of Art Düsseldorf, Interaktive Musiksysteme an der Columbia University in New York. Von Januar bis September 2022 war er Vertretungsprofessor für Sound Art an der HFMT München. Produktion von über 30 Tonträgern. Im Bereich der Sound Art und improvisierten Musik arbeitete er weltweit mit vielen renommierten Kunstschaffenden wie u.a. George Lewis, Axel Dörner, Miya Masaoka, Max Eastley, Audrey Chen. Seine multimedialen Arbeiten wurden mit Unterstützung des Goethe-Instituts und vielen anderen Institutionen in mehr als 30 Ländern weltweit gezeigt sowie bei vielen Festivals, wie u. a. MaerzMusik Festival (Berlin), A l’arme Festival (Berlin), Ars Electronica (Linz) und New York City Electronic Music Festival.

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