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Musikerleben im Zentrum: Kinderkonzert „Überraschung“. Foto: Klaus Satzinger-Viel
Musikerleben im Zentrum: Kinderkonzert „Überraschung“. Foto: Klaus Satzinger-Viel
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Beziehungen zwischen Mensch und Musik

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Der Augsburger Musikvermittlungsstudiengang blickt zurück – und voraus
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Wenn dieser Beitrag erscheint, ist die Corona-Pandemie noch nicht überstanden. Dabei sind die Folgen dieser weltumspannenden Krise besonders für den Kulturbereich jetzt schon schlimm bis verheerend. Auf die Situation an Musikhochschulen und Universitäten bezogen, erscheint – wie jüngst in Constanze Wimmers Überlegungen (siehe nmz 4/2020) – einmal mehr ein Umdenken in der Ausbildung und eine Neuorientierung und Offenheit in der Realisation von Musik notwendig. Damit ist zwar erst einmal keine Verbesserung der prekären Lage vieler Musikerinnen und Musiker verbunden, jedoch wird ein verändertes Verständnis einer Gesellschaft zu ihrer Kultur bzw. ihren Kulturen Thema sein müssen, und auf eine vielschichtige wie vielgesichtige Musikkultur bezogen, stellt sich die Frage: Was ist diese der Gesellschaft in Deutschland (und anderen Ländern) wert?

Welche Rolle dabei Musikvermittlung einnehmen kann, wäre ein eigenes Thema. Hier soll ein Rückblick auf die vergangenen Jahre des Augsburger Masterstudiengangs Musikvermittlung/Konzertpädagogik und eine Standortbestimmung erfolgen, auch mit Blick auf Entwicklungen über Augsburg hinaus.
2009 initiierte der damalige Leiter des Leopold-Mozart-Zentrums (Universität Augsburg), Prof. Dr. Rudolf-Dieter Kraemer, in Augsburg einen Mas­terstudiengang nach den Vorbildern von Detmold und Linz, als Master of Arts „Musikvermittlung/Konzertpädagogik“. Damit sollten die künstlerischen beziehungsweise künstlerisch-pädagogischen Studiengänge der ehemaligen Musikhochschule Nürnberg-Augsburg und der berufsbegleitende Master Musiktherapie um einen Bereich erweitert werden, der am Ende des 20. Jahrhunderts auch im deutschsprachigen Raum immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.

Um die Musikpädagogen Rudolf Kraemer (bis 2015), Prof. Dr. Michael Ahlers (heute Leuphana Universität Lüneburg) und den Musikwissenschaftler Prof. Dr. Johannes Hoyer als Studiengangsleiter herum wurde ein hochqualifiziertes Team aufgebaut, das aus unterschiedlichen Berufsbereichen wie der Augsburger Musikvermittlungsinstitution „MehrMusik!“ (Ute Legner M.A.), dem BR (Dr. Martin Fogt), dem Kulturmanagement (Cornelia Wild M.A.), der Schule (Frank Strodel M.A.), dem Musikverlag (Dr. Matthias Rinderle, Helbling) oder dem Musiktheater (Elke Kottmair M.A.) stammt und durch weitere Dozent*innen aus In- und Ausland bereichert wird – alle professionelle Künstler*innen und Musikvermittler*innen. Insbesondere die Kooperationen mit der Mozartstadt und Museen Augsburgs, mit dem Musikvermittlungsstudiengang („Musikvermittlung – Musik im Kontext“) an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz und dem Musikvermittlungsprogramm der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg sowie der Alten Oper Frankfurt, der Programmheftredaktion und anderen Bereichen des BR sowie dem Museums­pädagogischen Zentrum München geben wichtige Impulse und bilden gemeinsame Ideen- und Diskussionsplattformen.

Im Wintersemester 2012/13 startete der Masterstudiengang mit seitdem durchschnittlich sechs bis sieben Studierenden je Jahrgang. Mehr Bewerber*innen hätten aufgenommen werden können, jedoch wurde jeweils nur ein Teil den entsprechenden Voraussetzungen gerecht. Diese beinhalten unter anderem einen möglichst breiten Hintergrund zu Geschichte und Gegenwart von Kultur/Kulturformen, zu Musikgeschichte und Musikrepertoire, Offenheit und ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Flexibilität, darüber hinaus sind Ausstrahlung und Auftreten der Kandidat*innen sowie Teamgeist wichtige Eigenschaften. Besonders wertvolle Erfahrungen bringen Persönlichkeiten mit, die bereits über mehr- oder langjährige berufliche Erfahrungen im Musikbereich verfügen. Dieser Personenkreis hat überwiegend die Motivation, sich durch Musikvermittlung weiterzubilden und breiter aufzustellen.

Work in progress

Die ersten drei Jahrgänge erlebten einen, auch wegen seiner noch nicht gefestigten Strukturen, zwar interessanten, aber nicht immer reibungslosen Entwicklungs- und Verbesserungsprozess des Studiengangs. Vom ersten Jahrgang an wurde zudem deutlich, dass innerhalb zweier Semester neben dem intensiven Unterrichtsangebot die Erstellung einer fundierten Masterarbeit nicht möglich war, so dass aus dem einjährigen Studiengang de facto ein zweijähriger wurde.

Für die Studierenden waren von Anfang an praktische Erfahrungen im Studium, anwendungs­orientiertes Denken, Planen und Handeln wichtig, jeweils durch theoretische Grundlagen und methodische Konzepte fundiert. Deswegen müssen die Studierenden bereits vom ersten Semester an Projekte mitkonzipieren, gestalten, ausformen und durchführen: von der Idee und Konzeption bis zur Inszenierung, vom Plakatvorschlag und allgemein von Öffentlichkeitsarbeit bis zum Programmheft, vom Projektplan bis zum Abschlussfeedback. Dabei treten die Studierenden bei den jeweiligen Aufführungen, Educationprojekten oder anderen Formaten neben ihrer Funktion als Musikvermittler*innen (moderierend, szenisch, medial u.a.) immer wieder auch als Künstler*innen bzw. Musiker*innen auf. Über 40 Projekte wurden zwischen Anfang 2013 und Frühjahr 2020 von den verschiedenen Jahrgängen entworfen und aufgeführt, vom Kinderkonzert über musikalische Stadtführungen oder sogar Ausstellungen (Wunderkindreise) bis hin zu „A House full of Music“ in historischem Rokokopalast oder dem eigenen LMZ-Gebäude, vom Lernzirkel für Schulklassen zu Leopold Mozart über inszenierte und interdisziplinär gerahmte Komponisten-Portraits bis hin zum Konzert in der Stille eines ehemaligen Schweigeklosters.

Dabei profitiert der Musikvermittlungsstudiengang von der sehr guten Zusammenarbeit am LMZ mit den jeweiligen beteiligten künstlerischen Studierenden und ihren Dozent*innen – und umgekehrt diese von attraktiven und professionell durchstrukturierten wie organisierten Konzert- und Vermittlungsformaten.
Dies gilt auch für die externen Kooperationen, sei es mit der Mozartstadt Augsburg und „MehrMusik!“, sei es zum Beispiel mit der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg oder dem Musikvermittlungsstudiengang in Linz. So ist unter anderem zwischen Augsburg und Linz ein Sammelband zu Musikvermittlung in Museen (2016) entstanden, darüber hinaus zeigen Dissertationen in der Nachfolge des Augsburger Masters und viele Abschlussarbeiten die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit teilweise interdisziplinären Themen.

Im Zusammenhang mit Projekten und Arbeiten im Studiengang zeigt sich, dass es oft um grundsätzliche Anforderungen im Musikalltag geht, weniger um eine aufwändige Eventkultur, mit denen die wenigsten in ihrem Berufsleben zu tun haben werden, so beeindruckend solche Veranstaltungen sein mögen. Eher sind es die scheinbar einfachen Voraussetzungen und Fertigkeiten, die erst einmal ausprobiert und geübt sein wollen, etwa ein anständiger Auf- und Abtritt der Interpret*innen, ein korrektes und klares Programmblatt oder eine einladende kurze Anmoderation. Traditionelle Konzertformate, -orte und -rituale werden hinterfragt, an ihre Stelle rücken ungewohnte Hör- und Sichtweisen, Herangehens- und Verhaltensweisen sowie ungewöhnliche Orte. Kommunikation mit dem Publikum soll weder ‚von oben‘ belehrend noch anbiedernd sein. Bei allen interessanten und schönen Ideen und Konzepten steht immer die Musik und das Musikerleben im Zentrum. Engagement, Können und Wissen, kreative Begeisterung und intensiver Gestaltungswillen von Dozent*innen und Studierenden sind immer wieder Antrieb für eine Musikvermittlung, die „Beziehungen zwischen Mensch und Musik“ (Rebekka Hüttmann, 2009) stiften möchte. Dabei können gute Konzepte in der Durchführung auch scheitern – im geschützten Bereich des Studiums sind solche Erfahrungen notwendige Realitätsbezüge und Regulative.

Die Reflexion eines Musikvermittlungsformats vor dem Hintergrund der Theorie ist wichtiger Bestandteil des Studiums. Grundlagenforschung und -literatur entsteht zunehmend in den letzten 20 Jahren. Musikvermittlung bedient sich vieler Disziplinen, ob Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Kunst- und Kulturwissenschaften, Kommunikations- und Sozialwissenschaften, Musik- und Kulturmanagement, ob Museums- und Theaterpädagogik, ob Marketing und Musikrecht et cetera. Bei allem Applaus und Lob: Der (selbst-)kritische Blick ermöglicht Weiterentwicklung, auch mithilfe eines Fachaustausches außerhalb Augsburgs, der unter anderem in den Arbeitskreisen des „Netzwerk Junge Ohren e. V.“, auf Exkursionen und Tagungen und insbesondere im „Forum Musikvermittlung an Hochschulen und Universitäten“ intensiv vorangetrieben wird.

Musikvermittlung – wohin?

Gerade die vor wenigen Jahren gegründete Plattform „Forum Musikvermittlung an Hochschulen und Universitäten“ stellt aktuelle Forschungen vor und zur Diskussion. Grundsätzliche Fragen zur Stellung der Künstler*innen/Vermittler*innen in und für die Gesellschaft (u.a. Constanze Wimmer, Graz) oder zur gegenwärtigen Verortung des Begriffs ‚Musikvermittlung‘ und in dessen Folge des Desiderats einer ‚genuinen Didaktik der Musikvermittlung‘ (Axel Petri-Preiss, Wien) können zukunftsweisende Antworten zeitigen. Im Bereich der Konzertforschung untersucht ein internationales Team unter Prof. Dr. Martin Tröndle (Friedrichshafen) mit multi-methodischem und interdisziplinärem Ansatz, wie ästhetisches Erleben im Konzert funktioniert. Mit zeitgenössischen Theorien zu Resonanz (Hartmut Rosa) oder Atmosphäre (Gernot Böhme) setzen sich die Forschungen bzw. entstehenden Dissertationen zu ‚Resonanzaffine Musikvermittlung‘ (Irena Müller-Brosovic, Basel/Bern) und ‚Musik und Atmosphäre‘ (Cornelia Wild, Augsburg) auseinander. Der Masterstudiengang in Augsburg will sich, ausgehend von seiner Praxisorientierung, zukünftig noch mehr vor dem Hintergrund, ja als Teil dieser Entwicklungen verorten, dazu soll auch eine Erweiterung des Studiums auf regulär zwei Jahre ab 2021 beitragen.

Johannes Hoyer, Leopold-Mozart-Zentrum Augsburg

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