Dresden - Mit der zunehmend praxisorientierten Lehrerausbildung geht in Deutschland einen Trend zur Gründung von Universitätsschulen einher. Auch die TU Dresden testet ein neues Modell, zusammen mit der Stadt - und das ist nach Einschätzung von Experten bisher einzigartig.
Nach vier Jahren Vorbereitung wird es für die an der Technischen Universität (TU) Dresden erdachte «Schule der Zukunft» ernst. Mit Eröffnung der zusammen mit der Stadt gegründeten Universitätsschule geht an diesem Montag ein von den Erziehungswissenschaftlern erarbeitetes innovatives Modell in den Praxistest. Rund 200 Grund- und Oberschüler, darunter fast 80 Erstklässler, und ihre Eltern sowie zehn Lehrer des ersten Jahrgangs wagen das Experiment, sagt Projektleiterin Anke Langner. Im Gegensatz zu bisherigen Versuchsschulen wird es wissenschaftlich von der Forschung begleitet.
«Bei uns geht Schule vom Lern- und Lehrprozess des Schülers aus, das ist einzigartig», erklärt Langner. Eine speziell dafür entwickelte Lern- und Schulmanagementsoftware begleite das Lernen. «Es geht nicht darum, Realität durch Virtualität zu ersetzen», sagt die Professorin. Vielmehr werde der Lernprozess des Einzelnen nachvollziehbar, die Schüler könnten sich selbst managen und die Schulorganisation passe sich an.
Einmalig für die Bildungsforschung ist, dass die Wissenschaftler Daten zum Lern- und Entwicklungsprozess jedes einzelnen Schülers bekommen. «Jeder Klick ist ein Datenpunkt», sagt Langner. Einen so expliziten Einblick in die Schule über zehn Klassen gebe es auch in Europa bisher nicht. «Wir wissen, dass Lernen dann nachhaltig ist, wenn es an den Sinn- und Bedeutungshorizont der Kinder anknüpft.»
Wenn man weiß, wo der Schüler aktuell steht, könne der Lehrer Brücken bauen, mit Hilfe des Lernenden. Nachhaltige Bildung statt Frontalunterricht, der den Durchschnitt mitziehe. «Aber wir verlieren Hochbegabte ebenso wie Schüler mit Förderbedarf.» Das könne sich die Gesellschaft aufgrund des demografischen Wandels nicht leisten. «Wir müssen Bildung mehr vom Schüler aus denken als vom Lehrplan», sagt Langner. Es sei eben ein Unterschied, ob sie Fragen an die Welt haben und sich die Antworten selbst erarbeiten oder ob der Lehrer ihnen die Welt erklärt.
Wie an jeder klassischen staatlichen Schule gibt es Zensuren, ansonsten aber nicht notenbasiertes Feedback, sagt Langner. Statt Hausaufgaben zu machen, sollen die Kinder mit Taten- und Entdeckerfreude auch nach der Ganztagsschule den Antworten auf ihre Fragen nachgehen.
Kinder verschiedener Altersstufen werden in Projektgruppen Themen fächerübergreifend ergründen, individuell, inklusiv, digital unterstützt und mit dem Lehrer als Lernbegleiter statt Wissensvermittler. Die öffentliche und kostenfreie Grund- und Oberschule in städtischer Trägerschaft soll in fünf Jahren bis zu 800 Schüler haben, die von der 1. bis zur 10. Klasse durchgängig jahrgangsübergreifend und fächerverbindend ganztägig zusammen lernen.
«Das Konzept ist tatsächlich einzigartig in dem Sinne, dass es sowohl klassische Themen der Bildungsforschung aufgreift wie Ungleichheit oder Fragen der Mehrsprachigkeit als auch ganz aktuelle wie Inklusion und Berufsorientierung», sagt Martin Heinrich, Leiter des wissenschaftlichen Oberstufen-Kollegs an der Universität Bielefeld (Nordrhein-Westfalen). Dazu komme die starke Orientierung an der digital bestimmten Lehre. «Da bin ich sehr gespannt», sagt der Erziehungswissenschaftler.
«Ich glaube, dass Elemente des Modells hochinnovative Impulse setzen können für das Schulsystem.» Es sei auch insofern vielversprechend, als es viele der klassischen Probleme der Pädagogik aufgreift: Autonomie des sich bildenden Subjekts, Heterogenität, Motivation zum Lernen und Ähnliches. «Der Schulversuch kann gelingen, wenn diese Themen erfolgreich bearbeitet werden.»