Für ein Orchester oder Opernhaus ist die Gestaltung eines großen Jubiläums einfacher als für eine Musikhochschule mit internationaler Reputation. Für erstere reicht es, in Musik- und Rahmenprogrammen personelle, programmatische, repräsentative und konzeptionelle Glanzlichter mit Verweisen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu akzentuieren. Für eine Musikhochschule geht es überdies um das, was Studierende sich am Ausbildungsort an Qualität und Kompetenz aneignen und in ihrem späteren Leben zur optimalen Entfaltung bringen können.
All das musste in der Festwoche zur 150-Jahr-Feier der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar vom 18. bis 25. Juni 2022 in Wort, Schrift, Klang und Ambiente erwähnt, gewürdigt und gefeiert werden. Am 24. Juni wurde in einer Feierlichen Investitur mit einem Grußwort von Wolfgang Tiefensee, Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, und mit einer Festrede des scheidenden Präsidenten Prof. Dr. Christoph Stölzl die Amtskette an Prof. Anne-Kathrin Lindig übergeben.
Als erste Präsidentin trat Lindig am 1. Juli beim 18. Leitungswechsel in der Hochschulgeschichte die Nachfolge des Museologen und leidenschaftlichen Vernetzers Stölzl an. Dieser war vom Hochschulrat 2010 erstmals und 2015 für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Stölzl nannte diese zwölf Jahre neben schwierigen Aufgaben in einer Zeit von rigiden Sparmaßnahmen und damit einhergehenden Veränderungen mehrfach eine Kette vieler Glücksmomente. Lindig ist der Hochschule seit langem verbunden: Ab 1980 studierte sie in Weimar, seit 1986 war sie Assistentin und erhielt dort 1993 eine Professur für Violine. Als zukünftige Schwerpunkte der Steuerung und Entwicklung erwähnte Lindig die Pädagogik, die Vermittlung und die Qualifizierung der Studierenden zur konkurrenzfähigen Bewährung auf Höhe eines zeitgemäßen Kulturmanagements.
In den Farben Gold und Grün vereinten die Hochschul-Ankündigungen und -Publikationen zur Festwoche Tradition und Zukunftsorientierung. In einer repräsentativen Fülle von Veranstaltungsgenres ging es perspektiven- und facettenreich um Partizipation, Gemeinschaftsgeist zwischen Lehrenden und Studierenden sowie die Kontinuität und qualitativ stabile Vielfalt in einem sich wandelnden Musikleben. Zum Beispiel widmete man eine Diskussionsrunde mit dem Podiumsgast Fabien Lévy dem Thema „Musikgeschichte und ihr Kanon“. Anstelle einer gewichtigen Festschrift akzentuierte die Sonderausgabe „150“ des Hochschul-Magazins „Liszt“ die Kontinuität von Kooperationsprojekten, die Hochbegabten-Ausbildung im Musikgymnasium Belvedere und den Klavierwettbewerb Franz Liszt Weimar-Bayreuth. Sie enthielt auch einen Bericht über zwei Podiumsdiskussionen zu den „Geschehnissen seit 1945“ an der Hochschule. Für die mobile Ausstellung „Schlaglichter einer bewegten Geschichte“ in der Weimarhalle und im Einkaufszentrum Weimar Atrium gestaltete Christoph Meixner Tafeln mit Kurzdarstellungen über die Hochschule an historischen Krisen- und Wendepunkten, zum Beispiel im Sozialismus und während der Friedlichen Revolution 1989. Die Ausstellung beinhaltet zudem für die künstlerische und didaktische Ausrichtung der Hochschule aufschlussreiche Themen wie „Vergessene Pianisten“ im Schatten Liszts. Vollständigkeit war nicht beabsichtigt, geschweige zu schaffen. Die Gründung der Hochschule 1872 durch Liszt fiel in jene Zeit, als Weimar in den Generationen nach Goethe als kulturelles Zentrum mit europäischer Breitenwirkung reüssieren wollte. Die Geschichte der Hochschule stand während der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, in der DDR und in der EU immer in direkter Beziehung zur Entwicklung ihres Standortes Weimar als Ereignis- und Symbolort deutscher Geschichte.
Die in Weimar zahlreich vorhandenen Aufführungsorte – Weimarhalle, Festsaal Fürstenhaus, Saal Am Palais, Schießhaus und andere – wurden Schauplätze für Neues und Altes, Programmatisches und Visionäres. Unter der Gesamtleitung von Kerstin Behnke und Juan Garcia gab es in der Weimarhalle am 25. Juni mit mehreren Hochschul-Ensembles einen Showcase und den Block „Franz Liszt arrangiert“ als Bekenntnis für die Spontaneität von Besetzungen, Stilen und Ausdrucksebenen auf der Basis von ‚klassischem‘ Material. In einem Konzert mit „Romantischen Serenaden“ traten ehemalige Studierende und Professor*innen am 22. Juni gemeinsam im Fürstenhaus auf das Podium. Im ersten Festkonzert am 23. Juni hielt Wolfram Huschke, Hochschulrektor von 1993 bis 2001 und Autor der 2006 erschienenen Hochschulgeschichte „Zukunft Musik“, die Festrede. Es erklang die Uraufführung „Songbook für 18 Vokalisten und Orchester“ von Michael Obst, Vizepräsident für künstlerische Praxis, neben Liszts Zweitem Klavierkonzert mit der prominenten Weimar-Alumna Mariam Batsashvili und dem Orchester der Hochschule unter Nicolás Pasquet. Dieser hatte in den Hochschul-Podiumsdiskussionen zur Zeitgeschichte darauf hingewiesen, „dass der Hochschule ein wohl nie dagewesener Generationenwechsel bevorsteht, die erste Nachwende-Generation (der Lehrenden) tritt in den Ruhestand“. Die Staatskapelle Weimar grüßte. Am 21. Juni gab es im Saal Am Palais Lieder und Klavierwerke von Conrad Ansorge, Richard Wetz und Liszt.
Die Festwoche der einzigen Musikhochschule im Freistaat Thüringen wurde ein heiterer, fast unspektakulärer Beitrag am Beginn des Kultursommers der Klassikerstadt. Es gelang wohl das Schwerste, nämlich ein ausgewogenes Verhältnis von Repräsentation, Unterhaltung und bedeutungsschweren Inhalten. Wie das Deutsche Nationaltheater, die Staatskapelle, die Stiftung Klassik und die Gedenkstätten Buchenwald muss sich auch die Hochschule für Musik Franz Liszt in Lehre, Forschung und Außenwirkung weiterhin der Auseinandersetzung mit einem komplexen historischen Erbe zwischen humanen Idealen und der noch immer sehr nahen antihumanen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts stellen. In der Festwoche „150“ fand ein Großteil dieser Themen und die Frage nach angemessenen Vermittlungsformaten für Studierende aus der ganzen Welt in einer angemessenen, trotz der lockeren Themenfülle nicht leichtfertigen Form Erwähnung.