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Bologna und die Folgen

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Die Auswirkungen sind nicht statisch, sondern prozesshaft
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Warum Bologna? Es gibt so viele spannende Themen rund um die Arbeit an Kunsthochschulen. Gehören Module, Credits und Studienverlaufspläne dazu? Als die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK) wie die meis­ten anderen in Europa vor einigen Jahren in den Bolgnaprozess einstieg, also die bisherigen Studiengänge auf das System Bachelor und Mas­ter und die dazugehörige Modularisierung von Studiengängen umstellte, wurde damit ein System installiert, das weniger statisch als prozesshaft ist. Nachdem einige Jahre ins Land gegangen sind, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um das System zu betrachten, wie sich dieser Prozess konkret auf die Studien- und Arbeitsbedingungen ausgewirkt hat.

Unsere Institution bildet Künstler aus. Studierende und Lehrende ringen um künstlerische Inhalte, sei es beim Üben und Musizieren, im Tanz, im Schauspiel, in der Wissenschaft oder in der Pädagogik. Zwar ist es inzwischen allgemein akzeptiert, dass Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht. Worin aber genau diese Arbeit besteht, was man tun muss, welche Inhalte und Schwerpunkte für eine künstlerische Ausbildung wichtig und notwendig sind – dies sind Fragen, die permanent auftauchen und auch immer wichtiger werden, weil die Berufsfelder, auf die unsere Studierenden vorbereitet werden sollen, zunehmend komplexer werden. Als wir vor einigen Jahren begannen, unsere Diplomstudiengänge auf Bachelor und Master umzustellen, war das häufig der Anlass für gründliche Revisionen und Selbstreflexionen: Was ist wichtig? Was kann raus? Was soll rein? Bildet der Fächerkanon unserer Ausbildung noch die Inhalte ab, die im Beruf wichtig sind?

Als Musiker, der selbst einmal an der HfMDK studiert hat, habe ich am eigenen Leib erlebt, wie im Laufe der Jahre das eigentliche Kerngeschäft meiner Tätigkeit, das aktive Musizieren und Unterrichten, zunehmend von administrativen und konzeptionellen Anstrengungen, das ganze System irgendwie am Laufen zu halten, überlagert wurde. Das gilt für meine eigene Biografie als Künstler und Pädagoge, es lässt sich aber auch auf das System Hochschule übertragen: Manchmal habe ich das Gefühl, jedes gelungene Konzert, jede inspirierende Aufführung ist einem Regelwerk an Modulen und Credits regelrecht abgetrotzt, und es bedarf aktiver Anstrengung, sich auf seine künstlerischen Aufgaben zu konzentrieren, statt sich von einem bürokratischen Regelwerk entmutigen zu lassen. Ich merke das auch bei der Arbeit mit Studierenden: Der Reigen an Fächern ist so umfassend, dass man gemeinsam überlegen muss, wann geübt werden kann und wieviel. Verkehrung der Dinge! Was ist da noch Haupt-, was ist Nebenfach?

Doch über die allgemeine Verschulung, die Bologna mit sich brachte, klagen auch andere: Geistes- wie Naturwissenschaftler. Glücklicherweise haben wir die Möglichkeit, die Konzeption unserer Studiengänge aktiv zu gestalten und machen davon auch Gebrauch. Zur Zeit revidieren wir wichtige und zentrale Studiengänge unserer Hochschule, beispielsweise den instrumental-künstlerischen Bachelor und die Gesangsausbildung. Die Studienordnungen und Studienverlaufspläne, die vor einigen Jahren im Rahmen der Modularisierung der Ausbildung erstellt wurden und seitdem einem permanenten Reflexions- und Revisionsprozess durch unsere Fachbereiche unterworfen sind, bilden das Rückgrat, die DNA unseres Wirkens. Viele Errungenschaften haben sich positiv auf das Studium ausgewirkt: Bologna hat Verbindlichkeiten geschaffen, wo sich früher „durchgewurstelt“ wurde, hat uns die Möglichkeit gegeben, die Arbeitsleistung in allen Fächern zu quantifizieren, abzubilden, welche Gewichtung verschiedene Studieninhalte zueinander haben. Die erhoffte höhere Vergleichbarkeit mit Studiengängen anderer Hochschulen, auch international, ist nicht so eingetreten wie erhofft: Es ist eher komplizierter geworden, Studienleistungen anderer Institute mit unseren abzugleichen. Überhaupt ist der Verwaltungsaufwand durch Bologna eher gestiegen, als dass es die Dinge vereinfacht hätte. Insgesamt jedoch hat der Reflexionsprozess dazu geführt, dass ein höheres Bewusstsein dafür geschaffen wurde, was wichtig ist und was nicht. 

Viele Errungenschaften sind außerordentlich positiv: Die Einführung des Wahlkatalogs, die Möglichkeit, sich eigene Schwerpunkte innerhalb des Studiums zu setzen, wird gern und begeistert angenommen, und die Verbindlichkeit, bestimmte Fächer belegen zu müssen, um die man früher eher einen Bogen gemacht hätte, hat zu einer Breite und Vielseitigkeit der Ausbildung geführt, durch die unsere Studierenden für ihre zukünftigen Berufsfelder gut aufgestellt sind. Doch was ist mit der Kunst? Lassen sich künstlerische Prozesse überhaupt in Credits und Modulen abbilden? Gehören zum Prozess der künstlerischen Selbstfindung und Vervollkommnung nicht Umwege und Irrwege untrennbar dazu? Lässt sich eine künstlerische Entwicklung in ein Korsett von Zahlen und Zeiten zwängen? Sind die individuellen Freiräume noch groß genug, um sich ungestört und intensiv dem widmen zu können, was einem wirklich wichtig ist? Es ist kein Geheimnis, dass die Modularisierung der Studiengänge und die damit einhergehende Verkürzung der Studienzeiten auch durch materielle und wirtschaftliche Überlegungen geprägt war – die Studierenden sollten schneller und effizienter auf ihr Berufsleben vorbereitet werden, statt jahrelang ein verbummeltes Studentenleben zu führen.

Das mag für Ingenieure und Betriebswirte ja schön und gut sein, aber ergibt das in einer künstlerischen Ausbildung, wo die Berufsperspektiven vielfältig und häufig vage sind, der Übergang zwischen Studium und Beruf fließend und stromlinienhafte Karrieren selten sind, überhaupt Sinn? – Umso wichtiger war und ist es für uns, dass eine so umfassende Studienreform auf vielen Ebenen nicht für die Ewigkeit Bestand hat, sondern permanent überdacht und weiterentwickelt werden muss. Das heißt, an unserer Hochschule wird kontinuierlich um Inhalte und Konzepte gerungen und es werden permanent gemeinsame Anstrengungen unternommen, um unsere Studiengänge immer aufs Neue interessant, inspirierend, attraktiv und vielseitig zu machen. 

Prof. Christopher Brandt, Präsident der HfMDK

Üben bleibt das  Kerngeschäft

In der HfMDK steht eine erste große inhaltliche Überarbeitung des Bachelor Künstlerische Instrumentalausbildung (KIA) seit der Einführung des Bachelor- und Mastersystems vor sechs Jahren an. Zum Wintersemester 2010/11 startete der Fachbereich 1 mit modularisierten Studiengängen, nämlich denen der Künstlerischen Instrumentalausbildung, der Kirchenmusik und der Historischen Interpretationspraxis. Nach sechs Jahren Erfahrung mit den Bachelor- und Masterstudiengängen arbeiten nun verschiedene Gremien an einer inhaltlichen Optimierung. Hochschulpräsident Christopher Brandt, Gitarrenprofessor und Ausbildungsdirektor Instrumentalpädagogik, Christoph Schmidt, Professor für Kontrabass und zur Zeit der Umstellung 2010 Dekan des Fachbereiches 1, und Anatol Riemer, Geschäftsführer des Fachbereiches, wagen im Interview mit Björn Hadem ein Zwischenfazit über Mühen und Lohn der Modularisierung und ihrer Weiterentwicklung.

Eine Steuergruppe hat sich an die Arbeit gemacht, den Bachelor Künstlerische Instrumentalausbildung (KIA) unter die Lupe zu nehmen – warum?

Prof. Christopher Brandt: Zum einen hat sich im Bachelor KIA das sogenannte Y-Modell nicht wirklich bewährt, nämlich die Möglichkeit, dass Studierende nach dem vierten Semester wählen können, sich im künstlerischen oder pädagogischen Profil einzuschreiben. Bemerkenswert finde ich, dass im Fach Klavier, in dem es im Berufsleben zwingend erforderlich sein wird, sich auch pädagogisch zu betätigen, kein Studierender den pädagogischen Zweig studiert hat. Bei Gitarre, Flöte und Blockflöte hat das Y-Modell hingegen gut angesprochen. Zum anderen haben wir von Studierenden immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass das Studium zu überladen ist. Wir wollen den Fokus nun wieder stärker auf die berufsqualifizierenden Inhalte richten. Schließlich werden wir versuchen, Fächer wie Theorie, Musikwissenschaft und Hörschulung mit den Angeboten im Hauptfach und der eigenen künstlerischen Selbstfindung passgenauer zu verzahnen. Unser Ziel ist, das Hauptfach wieder aufzuwerten und der künstlerischen Freiheit wieder mehr Raum zu geben.

Aus welchen Personen besteht die Steuergruppe und wie arbeitet sie?

Anatol Riemer: Sie besteht neben den beteiligten Ausbildungsdirektoren und der Geschäftsführung aus den Fachgruppensprechern, die den Arbeitsstand regelmäßig an die Fachvertreter weitertragen und deren Meinungen in die Arbeitsgruppe zurückspielen. Die Steuergruppe informiert zudem laufend den Fachbereichsrat, der gemäß Hochschulgesetz zunächst Studien- und Prüfungsordnungen erlässt, ehe sie dem Senat zur Stellungnahme vorgelegt werden. Wir hoffen, damit ein Modell gefunden zu haben, um möglichst viele am Überarbeitungsprozess teilhaben zu lassen und trotzdem ein übersichtliches Gremium zur Steuerung des Prozesses zu bleiben.

Herr Schmidt, wie haben Sie in Ihrer Zeit als Dekan im Jahr 2010 die Umstellung auf das Bologna-System erlebt?

Prof. Christoph Schmidt: Ich empfand Bologna damals als große Chance, ein Studium wirklich transparent abzubilden. In den Konzeptionsgesprächen nahm die Frage einen großen Raum ein, welche Fächer verpflichtend sein sollen und welche Wahlmöglichkeiten es gibt. Mein Bestreben war es, den Wert des Arbeitens am Instrument in der Gewichtung der Module hoch anzusetzen. Aus meiner Sicht sind die Studieninhalte noch zu sehr gestreut und lassen wenig Zeit für das handwerkliche Kerngeschäft, also das Üben. Gegen manches habe ich mich damals zur Wehr gesetzt: Als ein Praktikum in einer sozialen Einrichtung für Musikstudierende verpflichtend verankert werden sollte, habe ich dies strikt abgelehnt. Insgesamt lässt sich aber nach sieben Jahren Bologna bei uns eine sehr positive Bilanz ziehen.

Riemer: Die Umstellung brachte mit sich, dass erstmals Studieninhalte verbindlich formuliert wurden, die bereits in den alten Studiengängen geläufige Praxis waren, ohne dass sie explizit in der Studienordnung standen – zum Beispiel 30 Minuten Korrepetitionsunterricht für Studierende. Derlei Festschreibung ging natürlich nicht ohne Diskussion um die Finanzierbarkeit vonstatten. Die Befürchtung, die Kosten pro Studierenden könnten im Zuge der Umstellung steigen, hat sich glücklicherweise überhaupt nicht bewahrheitet. Ein langes Grundsatzringen gab es zudem um die Frage, ob man das oben erwähnte Y-Modell mit der Profilwahl im fünften Semester einführt oder nicht. Insgesamt habe ich den Umstellungsprozess als eine wahnsinnig spannende und arbeitsintensive Zeit erlebt, die auch sehr viel Spaß gemacht hat. 

Bedeutete Bologna für die Studiengänge einen qualitativen Quantensprung?

Schmidt: Einen Quantensprung auf keinen Fall. Aber Bologna ist ja auch ein Prozess – ein solcher, in dem man angefangen hat, den „workload“ transparent abzubilden, das ist sicher ein positiver Effekt.

Brandt: Es ist klar, dass künstlerische Studierende in der Regel vor allem bestrebt sind, einen Platz in der Klasse ihres Wunschlehrers zu bekommen. Für sie ist die Frage, in welchem Studienmodell ihnen dies ermöglicht wird, eher zweitrangig. Was am Bachelor als sehr vorteilhaft empfunden wird, ist der Wahlbereich und damit die Möglichkeit, das Studium seinen individuellen Bedürfnissen anzupassen.

Sind denn die Absolventen durch Bologna und dessen knapp bemessene Studienzeit wirklich früher auf dem Arbeitsmarkt?

Brandt: Das bezweifle ich: Die Tendenz, nach einem Bachelor einen Master draufzusatteln, ist mittlerweile sehr ausgeprägt. Ich habe zumindest den subjektiven Eindruck, dass Studierende mit Bologna im Schnitt sogar noch länger studieren als zu Diplomzeiten. 

Ist es allgemeiner Konsens, dass die Beschäftigung mit dem Instrument, also dem Hauptfach, der Nukleus eines künstlerischen Studiums bleibt?

Brandt: Innerhalb des Fachbereiches auf jeden Fall. Leider wird es außerhalb dessen jedoch von vielen immer noch despektierlich betrachtet, dass sich unsere Studierenden viele Stunden am Tag selbstständig am Instrument weiterbilden müssen. Dabei ist dies ein ganz kreativer Prozess der Selbsterforschung und Selbstreflexion, den man nicht unterschätzen sollte.

Schmidt: In meiner Generation war es noch selbstverständlich, in die Beschäftigung mit dem Instrument das Maximum an Zeit zu investieren und andere Fächer ggf. wegzulassen. Das geht heute – gerade angesichts von Bologna – nicht mehr. Ich selbst habe im vierten Semester meines Studiums eine Stelle bekommen und war dann weg von der Hochschule, habe mein Examen Jahre später nachgeholt, um überhaupt etwas in der Hand zu haben, andere haben ganz darauf verzichtet. Das ist heutzutage ganz unüblich: Alle beenden ihr Studium mit einem Examen.

Wann werden die Ergebnisse der Studiengangüberarbeitung studentische Realität werden?

Riemer: Realistischerweise gehe ich von einer Einführung zum Wintersemester 2018/19 aus – und wenn wir es eher schaffen: umso besser!

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