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Die Trossinger Musikhochschulrektorin Elisabeth Gutjahr. Foto: Verena Wider
Die Trossinger Musikhochschulrektorin Elisabeth Gutjahr. Foto: Verena Wider
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Das Bild von Musik aus starren Konventionen befreien

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Elisabeth Gutjahr im Gespräch über die Initiative Musikalische Bildung der deutschen Musikhochschulen
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Mit einem gemeinsamen Aktionstag am 19. November 2009 starten die 24 deutschen selbstständigen Musikhochschulen eine Initiative zur musikalischen Bildung, die sich über ein ganzes Jahr erstrecken soll. Mit Prof. Elisabeth Gutjahr, die als Trossinger Rektorin Mitglied der entsprechenden Arbeitsgruppe in der Rektorenkonferenz deutscher Musikhochschulen (RKM) ist, sprach Juan Martin Koch über die Initiative.

neue musikzeitung: Wie entstand die Idee zu dieser Initiative? Haben die Hochschulen ein schlechtes Gewissen?

Elisabeth Gutjahr: Die deutschen Musikhochschulen verkörpern seit Jahrzehnten weltweit anerkannte Kompetenz und musikalische Hochkultur. Das Lehrangebot wurde gleichsam als Fächer musikalischer Bildung entwickelt, reflektiert, differenziert und erweitert. Als Schulfach aber führt Musik ein Orchideendasein trotz wunderbarer Einzelprojekte und Aktionen. Musikalisch Hochbegabte haben es meist schwer, neben der Schule ihre musikalischen Studien voranzubringen. Grundschulkinder wechseln in der Regel als musikalische Analphabeten in die weiterführenden Schulen. Auch in höheren Etagen trifft man mitunter nur auf eine marginale musikalische Allgemeinbildung. Kurzum: Der Gesellschaft kommt die Musik abhanden, zumindest ihr Schatz an musikalischem Wissen, für das sie die ganze Welt bewundert. Musik wird funktionalisiert, für festliche Anlässe aufpoliert – und ansonsten überhört. Das schlechte Gewissen keimt vielleicht doch noch, so die Hoffnung der RKM, die den Impuls zu einer musikalischen Bildungsoffensive 2006 von der Kultusministerkonferenz erhielt. Sie hat sich dieser Anregung mit Enthusiasmus angenommen. Nach zwei Jahren der Recherche und der Diskussion entwickelte sich die Idee zu einem Aktionstag, der auch in engem Bezug zum Jubiläumsjahr 2010 steht.

nmz: Wie verträgt sich eine Initiative zur Breitenbildung mit dem sonst viel konkreter und hörbarer artikulierten Anspruch, Spitzenförderung betreiben  zu wollen?

Gutjahr: Unser primärer Auftrag ist die Spitzenförderung. Neuerdings spricht man von Exzellenzclustern und Eliteuniversitäten; Musikhochschulen aber genießen schon lange den Ruf als Exzellenzzentren. Strenge Aufnahmeprüfungen garantieren ein hohes Eingangsniveau, international renommierte Lehrkräfte stehen für höchste Ansprüche. Hier können und müssen wir international mithalten und Maßstäbe setzen. Die Breitenbildung lebt von dieser musikalischen Exzellenz: Schulmusiker und Musikpädagogen erfahren an den Hochschulen ein intensives künstlerisch-pädagogisches Studium, sie werden idealerweise als Musiker ernst genommen und gefördert. Es war schon immer Auftrag der Hochschulen, Gymnasiallehrer und Musikschullehrkräfte auszubilden.

Was aber in den letzten Jahrzehnten nicht genügend ins öffentliche Bewusstsein gelangt ist, mag in dem Begriff „BILDung“ deutlich werden: Das Bild, das gemeinhin von klassischer Musik in der Gesellschaft vorherrscht, ist ein verstaubtes, das irgendwie mit Abendgarderobe und in die Jahre gekommenen Tonhallen zu tun hat. Erst allmählich löst sich dieses Bild aus seinem Rahmen: Festivalkultur, Film, neue Veranstaltungsorte, der Impuls, der aus „Rythm is it!“ entstand, oder Neue-Musik-Projekte erwecken Neugier, evozieren ein neues Bild und ein vitales Interesse an Musik und ihrer Vielfalt. Eine Initiative, die auch in die Breite wirkt, arbeitet an solchen neuen Bildern von Musik, löst sie aus der Starre festgefahrener Konvention. Musik ist nur für den relevant, den sie erreicht. Und wen sie erreicht, den bildet sie auch.

nmz: Ist das Ganze nicht vor allem eine Imagekampagne? Nach dem Motto: Schaut her, wir tun auch etwas für die Allgemeinheit!

Gutjahr: Sie treffen es auf den Punkt: Image ist ein anderes Wort für Bild. Eine Vorstellung davon zu bekommen, was an den Musikhochschulen stattfindet, welches kostbare Gut da tagtäglich erklingt, das will die Kampagne vermitteln. Mut machen, die Türen öffnen: Die Musikhochschulen sind öffentliche Orte gemeinsamen Musikerlebens und gemeinsamer Musikentdeckung. Jede Hochschule hat dies für sich in ihrer Umgebung wahrgenommen und verwirklicht diesen Gedanken längst, doch als Zusammenschluss, als – wenn Sie so wollen – „Marke“ traten die Musikhochschulen bislang nicht in Erscheinung. Das änderte sich mit Bologna. Die Musikhochschulen wehrten sich erfolgreich gegen ein dreijähriges Bachelorstudium, eine definitiv zu kurze Zeit für einen individuellen künstlerischen Reifeprozess. Als Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz gilt es nun, das eigene Profil und die eigenen Themen deutlicher herauszuarbeiten und Stellung zu beziehen.

nmz: Welchen Rückhalt hat das Aktionsjahr an den einzelnen Häusern? Wenn man die Webseiten so überfliegt, hat man nicht den Eindruck, als spiele der Starttermin 19. November 2009 eine herausragende Rolle im Veranstaltungskalender.

Gutjahr: Der Aktionstag am 19. November 2009 wurde mit großer Mehrheit in der Konferenz beschlossen. Diese Einigkeit ist keinesfalls selbstverständlich, in der Konferenz wird oft lebendig und kritisch diskutiert. Die Idee gründete auf einer umfassenden Recherche zu den Projekten musikalischer Bildung, die an den verschiedenen Hochschulen über das Standardprogramm hinaus angeboten werden. Es zeigte sich ein ungemein vielfältiges und spannendes Spektrum an Initiativen und Projekten, die seit Jahren an den einzelnen Hochschulen gepflegt und mit großem Erfolg weiterentwickelt werden. In einer bundesweiten Aktion sollten diese Beispiele einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und bekannt gemacht werden. Dies kann am einfachsten und unmittelbar mit einem Aktionstag stattfinden, allerdings hat jede Hochschule die Freiheit, sich in eigener Form zu beteiligen. Da 2010 das 60-jährige Jubiläum der RKM ansteht, lag es nahe, diesen Aktionstag als Auftakt zu nehmen – als Auftakt für eine Image-Kampagne, die die musikalische Basisarbeit der Musikhochschulen bis hin zur Spitzenleistung thematisiert und veranschaulicht. Der Aktionstag Musikalische Bildung der deutschen Musikhochschulen wird wohl am wenigsten über das Internet beworben: Die Pressereferenten aller Musikhochschulen haben sich getroffen, miteinander diskutiert und abgesprochen, über welche vielfältigen Formen dieser Tag öffentlichkeitswirksam inszeniert werden kann. Von Streetworking-Projekten, Musizieren in öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu den Standards wie Handzettel, Plakatwerbung und Rundfunkankündigungen finden Sie sämtliche Kanäle bespielt.

nmz: Wollen Sie mit dem Jahr bewusst auch einen Impuls zur Stärkung der Pädagogik im Rahmen der Studienreformen setzen, die im Zuge des Bolognaprozesses in vollem Gange sind?

Gutjahr: Stärkung der Musikpädagogik – ja, aber als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der musikalische Bildungsbegriff ist in der allgemeinen Bildungsdiskussion eher eine Randerscheinung und wird allzu oft funktionalisiert. In dieser Debatte gehören Musik und Qualität genuin zusammen, nicht zu verwechseln mit der Diskussion um U oder E, Volks- oder Kunstmusik. Gute Musik gibt es in allen Gattungen und Formen, aber darum geht es: um wirklich gute Musik, um Qualität, Essenz, Können und künstlerischen Ausdruck – um Professionalität und internationale Wettbewerbsfähigkeit. „Bologna“ ist ein völlig anderes Feld. Die Musikhochschulen haben sich des Themas verantwortungsbewusst und kritisch angenommen. Jede Hochschule ist allein verantwortlich für die Umsetzung, so dass wir heute viele verschiedene Modelle und Angebote für das musikpädagogische Berufsfeld finden. Die Vielfalt ist größer, die Spezialisierungsmöglichkeiten erweisen sich als weitreichender und durch entsprechende Masterstudiengänge sind Ansprüche und Anforderungen gewachsen.

nmz: Wie sehen die Planungen konkret aus, gibt es zentrale Veranstaltungen?

Gutjahr: Der Aktionstag „Musikalische Bildung der deutschen Musikhochschulen“ am 19. November 2009 kann als heiterer und bunter Auftakt verstanden werden, aber erst im Januar 2010 wird mit einer großen Pressekonferenz anlässlich der Tagung der RKM in Berlin das Kampagnenjahr eingeläutet. Renommierte Musikerinnen und Musiker wie Sabine Meyer, Tabea Zimmermann oder Till Brönner unterstützen die Kampagne als Testimonials. Neben Internetdokumentationen sind verschiedene Veröffentlichungen geplant. Die Jahresprogramme der einzelnen Hochschulen werden ebenfalls das Thema aufnehmen. Für den Hochschulwettbewerb anlässlich der Maikonferenz der RKM, die 2010 in Trossingen stattfinden wird, kann eine Premiere gefeiert werden: Erstmals wird im Hochschulwettbewerb für Studierende ein Preis für Musikpädagogik ausgelobt. Der VdM stiftet diesen Preis und investiert hiermit unmittelbar in Innovation und Kreativität der musikpädagogischen Studiengänge. Als großer Abschluss wird der 19. November 2010 mit einem weiteren Aktionstag gefeiert werden: Hier werden musikalische Höchstleistung und Hochbegabung das Thema bilden. Mut und Kraft zur Spitze in einer lebendigen Landschaft mit musikalischer Bildung und Qualität: Das verstehen wir unter Verantwortung und Exzellenz.

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