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Süchtig nach der Droge Sinfonieorchester: das BundesSchulMusikOrchester. Foto: Sepideh Sarihi
Süchtig nach der Droge Sinfonieorchester: das BundesSchulMusikOrchester. Foto: Sepideh Sarihi
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Das lodernde Feuer der Musiktradition

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Das BundesSchulMusikOrchester feiert sein 20-jähriges Bestehen
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Orchestererfahrung sammeln, die große sinfonische Literatur erkunden und zugleich Netzwerke knüpfen und sich mit Kommilitonen von anderen Hochschulen austauschen, das ist die doppelte Zielrichtung des BundesSchulMusikOrchesters. Alljährlich im Herbst versammelt es Schulmusik-Studenten aus ganz Deutschland, immer in einer anderen Stadt und vollständig selbstverwaltet. Vor 20 Jahren wurde das „BSMO“ gegründet, im September kehrte es an seine Geburtsstätte, die Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar, zurück, wo die Jubiläums-Arbeitsphase mit einem Festkonzert in der Neuen Weimarhalle endete.

Eine Packung quietschbunte Socken, blau, grün, lila, gibt’s zum Abschied für den Dirigenten Kiril Stankow, solche, wie er sie während der Proben oft getragen hat – Ausdruck des herzlichen Verhältnisses zwischen Musikern und ihrem Dirigenten und zugleich Sinnbild des farbenreichen Orchesters selbst.

„Wir lodern uns gegenseitig an“, sagt Stankow. „Ich habe ganz viel von dem Feuer, das ich weitergeben möchte, und die Musiker haben es auch. Dieses Sich-Entzünden ist ein Aha-Erlebnis, und das ist es auch, was die Studentinnen und Studenten vor der Klasse weitergeben wollen.“ Knapp eine Woche lang hat er mit dem Orchester gearbeitet, hat an der Intonation gefeilt und heikle Übergänge unermüdlich wiederholt, hat mit bildreichen Worten und sprechenden Gesten Klänge geformt, hat aus 90 Individuen einen geschlossenen Klangkörper geschmiedet. Keine leichte Aufgabe, denn im BundesSchulMusikOrchester sitzen Hauptfachstudenten neben solchen, die ihr Zweit- oder Drittinstrument spielen, und während die einen quasi im Jugendorchester aufgewachsen sind, entdecken andere erst kurz vor dem Ende ihres Studiums die Welt des Sinfonieorchesters.

Die Hochschule bietet dafür nicht immer Gelegenheit: Das hochschuleigene Orchester ist vielerorts den Ins­trumentalstudenten vorbehalten, das Collegium Musicum erfüllt nicht unbedingt die professionellen Ansprüche der Schulmusiker, für ein eigenes Orchester reicht die Zahl der Studierenden vielerorts nicht aus.

Dabei ist der Bedarf an Musiklehrern mit umfassender Praxis-Erfahrung enorm gestiegen, kommt doch dem Musizieren in der Schule ein immer höherer Stellenwert zu. In den vergangenen 20 Jahren haben sich Bläser-, Streicher-, Orchesterklassen & Co in Deutschland fest etabliert, an dem Projekt „Musikalische Grundschule“, das den gesamten Schulalltag musikalisch gestalten will, beteiligen sich mittlerweile rund 400 Schulen in sechs Bundesländern, das vieldiskutierte JeKi („Jedem Kind ein Instrument“) wurde von der nordrhein-westfälischen Landesregierung kürzlich zu JeKits („Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“) ausgeweitet – ganz zu schweigen von den zahlreichen Schulen, die Musik als Mittel der Profilbildung und Identitätsstiftung für sich entdeckt haben. Und natürlich, sagt Martin Lentz, „kann man eine Sinfonie anders vermitteln, wenn man sie selbst gespielt hat, oder das Gefühl kennt, in einem Sinfonieorchester zu spielen.“

Lentz ist derjenige, der das BundesSchulMusikOrchester 1995 ins Leben gerufen hat; zum Studium aus Hamburg nach Weimar gekommen, vermisste er „die Droge Sinfonieorches­ter“, wie er sagt. Beflügelt von der Aufbruchsstimmung der Nachwende-Zeit, ermuntert von gleichgesinnten Kommilitonen und unterstützt vom damaligen Rektor der Hochschule „Franz Liszt“, dem Schulmusiker Wolfram Huschke, stürzte er sich gemeinsam mit einem Kommilitonen in die Arbeit, schrieb Briefe und Faxe, verschickte Plakate, telefonierte, organisierte, konzipierte. Das Orchester residierte im Hilton-Hotel, das seinerzeit einen Sondervertrag mit der Musikhochschule hatte, und probte im noch nicht beheizbaren E-Werk, „da hatten wir eine Dieselaggregat-Heizung, die aus großen Schläuchen warme Luft reinpustete.“

Heute sind die Probenräume in der Hochschule gemütlich und warm, die Kommunikation ist dank E-Mail und Facebook einfacher geworden. Unverändert aber stellen die Studenten selbst das Projekt auf die Beine, jedes Jahr an einer anderen Hochschule, ehrenamtlich und in Eigenregie. Zwar steht seit 2011 ein eingetragener Verein mit einem Präsidium aus „alten Hasen“ dem jeweiligen Organisationsteam beratend zur Seite, auch die Sponsorensuche ist dadurch etwas leichter geworden. Aber dennoch: „Man hat’s am Anfang unterschätzt“, gesteht Elsa Hoffmann, die das BSMO zum Jubiläum nach Weimar geholt hat. Proben- und Konzertorte organisieren, eine preiswerte Unterkunft finden, Notenmaterial besorgen, Instrumente ausleihen, Plakate entwerfen, das erstmals geplante Schülerkonzert konzipieren, Presseanfragen beantworten, ein Freizeitprogramm für die Abende gestalten – in Weimar gab’s eine Stadtrallye samt anschließendem Grillabend mit Thüringer Bratwürs­ten – nicht zuletzt: einen Finanzplan erstellen und Sponsoren gewinnen. „Wirklich viele“ seien angeschrieben worden, erzählt Annabelle Weinhart aus dem Organisationsteam, aber trotz professioneller Unterstützung aus der Hochschule sei „geldtechnisch“ kaum etwas herausgekommen; immerhin sorgte ein großer Getränkehersteller für kostenlose Durstlöscher. Die finanzielle Seite bereitet den Organisatoren etwas Kopfzerbrechen, und „für das ganze Orchester verantwortlich sein, ist schon eine Anspannung“, findet Annabelle Weinhart. Aber die Mühe lohnt sich.

Abschlusskonzert in der Neuen Weimarhalle. Etwas spärlich gefüllt ist der Zuschauerraum, etliche der mehr als 1.000 Plätze im großzügigen, edel holzverkleideten Saal bleiben leer, aber die Stimmung ist erwartungsfroh. Das Programm verspricht ungewöhnliche Hörerlebnisse, mit Schönbergs opulenter Bearbeitung von „Präludium und Fuge Es-Dur“ BWV 552 und apart für Bläser und Schlagzeug gesetzten Gesualdo-Madrigalen. Und spätestens wenn der Anfang von Bruckners fünfter Sinfonie dunkel schimmernd wie aus dem Nichts auftaucht, ist auch das eine oder andere Intonationsproblem, der verwackelte Einsatz vergessen. Und dann die Zugabe: Die Musiker vertauschen ihre Instrumente mit Notenblättern und singen das „Ave Maria“ von Rachmaninow – ein Gänsehautmoment.
Das Publikum reagiert mit stehenden Ovationen, und nicht nur Ortwin Nimczik, der Präsident des Bundesverbandes Musikunterricht, ist beim anschließenden Sektempfang noch sichtlich berührt. „Man wurde ergriffen, ich glaube, das hat jeder gespürt, der im Publikum saß“, sagt er.

In den vergangenen 20 Jahren ist vieles in Bewegung geraten; der Musik­unterricht ist facettenreicher geworden, neben Beethoven, Bach & Co haben Popmusik, außereuropäische Musikformen, Crossover-Projekte in den unterschiedlichsten Spielarten Einzug ins Klassenzimmer gehalten. Dennoch, die Vermittlung der klassischen Musiktradition bleibt eine zentrale Aufgabe für Musiklehrer. Und dafür bildet das BundesSchulMusikOrchester einen fruchtbaren Nährboden, denn Tradition ist bekanntlich, nach dem vielzitierten Ausspruch Gustav Mahlers, die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.

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