Seinen 50. Geburtstag feierte das Orff-Institut, Ausbildungsstätte für Elementare Musik- und Tanzpädagogik in Salzburg, vom 7. bis 10. Juli mit einem internationalen Symposion. „Ja, wir feiern uns selbst“, begrüßte Dr. Manuela Widmer, Lehrende am Orff-Institut, stellvertretend für das Institut die circa 600 Gäste im großen Studio des Mozarteums. „Wir feiern, was wir geschafft haben.“
Fünfzig Jahre Wirkung des Orff-Instituts spiegelte das Symposion wider: Performances von Künstlern aus aller Welt, Kinder wie Erwachsene zeigten eindrucksvoll, wie Musik mit verschiedensten Klangobjekten, Körperpercussion, Sprache und Stimme ineinander verwoben mit Bewegung, Tanz, Theater virtuos, ergreifend, berührend, begeisternd wirken kann. Workshops hingegen gaben Einblick in die – ebenfalls weltweite – pädagogische Arbeit, generationsübergreifend, integrativ, therapeutisch, multimedial, fächerübergreifend. Musik und Tanz in Konzertvermittlung, Forschung, Arbeit in Schulen, Migration – kein aktueller Brennpunkt, der nicht seinen Raum erhielt. Ausstellungen und Vorträge ergänzten das reichhaltige Programm, das alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahezu pausenlos beschäftigte, unterhielt, informierte oder zu Auseinandersetzungen anregte.
Carl Orffs Idee einer elementaren Musik, die mit Sprache und Bewegung eine Einheit bildet und dem Menschen nahe ist, weil sie aus ihm im Moment entsteht (Improvisation), wurde bereits in der Güntherschule in München in den 1930er-Jahren praktiziert – dort allerdings als Teil einer Ausbildung für Gymnastiklehrerinnen. Erst nach dem Krieg entwickelten Orff und ganz besonders seine Mitarbeiterin Gunild Keetmann aus diesen Grundgedanken eine Pädagogik, die Kinder in besonderer Art zu ganzheitlichem Musizieren und zu Bewegung anregen sollte. Das „Orff-Schulwerk“ entstand – vorerst in Form von Rundfunksendungen des Bayerischen Rundfunks und Notenheften, die aber die Idee der Einheit von Musik, Sprache und Bewegung nicht wirklich vermitteln konnten und schnell als eine Methode der Musikerziehung missverstanden wurde. Der Bedarf an Fortbildungen von Pädagoginnen und Pädagogen stand im Raum.
Pionierarbeit
In Salzburg öffnete Eberhart Preussner die Türen des Mozarteums, Hochschule für Musik und darstellende Kunst, zur Etablierung einer eigenen Ausbildungsstätte. 1961 wurde das Orff-Institut als „Seminar und Zentralstelle für das Orff-Schulwerk“ gegründet. Manuela Widmers Vortrag „Das Orff-Institut – eine einzigartige Ausbildungs- und Begegnungsstätte“ im Rahmen des Symposions wagte einen interpretierenden Rückblick auf die 50 Jahre des Instituts. Dabei gab sie auch Einblick in ihre Dissertation „Die Pädagogik des Orff-Instituts in Salzburg“ (Schott, Mainz 2011): In der Gründungsphase (1961–69) begaben sich Lehrende und Lernende gemeinsam auf ein unbekanntes Terrain. In großer Verehrung gegenüber Carl Orff und Gunild Keetmann lernten Studenten am Institut mit dem Gefühl, zu diesem Experiment eingeladen zu sein, und es entstand eine hohe Identifikation. Studienpläne und Studienformen entwickelten sich in rasantem Tempo, auch, um die Ausbildung möglichst schnell nach außen hin zu legitimieren.
Als „Sonderabteilung“ des Mozarteums stand das Orff-Institut in der Entwicklungsphase (1970–88) unter besonderem Schutz. Die Autonomie gab dem Institut besonderen Schonraum und Möglichkeit, künstlerisch und pädagogisch zu experimentieren. Pädagogik und Kunst entwickelten sich gleichermaßen. Ein breites Spektrum an Lehrübungen für verschiedene Zielgruppen gab Raum, die Elementare Musik- und Tanzpädagogik im sozial- und heilpädagogischen Bereich auszuweiten. Die Professoren Herrmann Regner, Wilhelm Keller und Barbara Haselbach waren hier namhafte Persönlichkeiten, die das Institut in verschiedenen Bereichen weiterentwickelten. Flache Hierarchie, angstfreies Lernen, ein enges Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden und ein stiller Konsens über die Grundidee machten das Studium zu einem eindrucksvollen Erlebnis und Jahren von ausgeprägter persönlicher Entwicklung.
Es folgten Krisen. Die Umbruchsjahre (1989–1999) stellten den Sinn der Ausbildung in Frage. Neue Lehrende und neue Studierende, Streit und Lagerbildung führten schließlich zu einem Identitätsverlust. Ambivalent gestalteten sich die folgenden Jahre. Ein Umbruch im Gesetz glich das Institut den anderen Hochschulabteilungen an, die Sonderstellung wurde abgesprochen. Im Rahmen der Bologna-Reform wurden systemangepasste Bachelor- und Masterstudiengänge konzipiert. Leistungsanforderungen haben sich gegenüber früheren Jahren erhöht und jährliche Prüfungen und Zensuren wurden eingeführt.
Wirkungsgeschichte
In Zahlen lässt sich das vielleicht so ausdrücken: 1.606 Studierende aus 54 Ländern haben das reguläre Studium absolviert, 396 aus 38 Ländern den einjährigen „Special Course“, 12.299 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 79 Ländern besuchten einen der jährlichen Internationalen Sommerkurse, betreut von über 130 Lehrkräften. In mehr als 40 Ländern gründeten sich Orff-Schulwerk-Gesellschaften und verbreiteten die pädagogischen Grundsätze Carl Orffs nachhaltig. Absolventen des Orff-Instituts arbeiten in einem weiten Feld an außerschulischen Bildungseinrichtungen gleichermaßen wie an Schulen, Kindergärten, sozial- und integrationspädagogischen, Ausbildungs- und Fortbildungseinrichtungen mit nahezu jeder Alters- und Zielgruppe. Viele wirken außerdem als Instrumental- oder Tanzpädagogen und in künstlerischen Tätigkeitsfeldern. An den meisten Studiengängen für Elementare Musikerziehung in Deutschland und Österreich sind „Orffler“ als Dozenten und Professoren tätig. Wegweisende Publikationen von Salzburger Lehrenden und Absolventinnen und Absolventen haben die Fachliteratur im Bereich Musik- und Tanzpädagogik geprägt und bereichert. Die inhaltliche Arbeit des Orff-Instituts ist inzwischen weltweit Grundlage für eine zeitgemäße Musik- und Bewegungserziehung. Methodenvielfalt, Ganzheitlichkeit, Integration, Förderung des kreativen Potentials und Entwicklung von sozialen Kompetenzen sind nur einige der pädagogischen Leitlinien, die inzwischen jedem entsprechenden Studiengang zugrunde liegen. Elementare Musikerziehung lässt sich heute an vielen Musikhochschulen studieren. Einzigartig aber ist am Orff-Institut die interdisziplinäre Ausbildung in Tanz und Musik, Heilpädagogik in der Musik- und Tanzerziehung als besonderer Schwerpunkt sowie die Vorreiterrolle in der Entwicklung eines breiten Lehrübungsspektrums. Das institutseigene Gebäude mit den großzügigen Räumlichkeiten gibt dafür einen besonderen Rahmen.
Orff heute
So kann das Orff-Institut als Mutterstätte gesehen werden, als Basisstation und Ausgangspunkt für Innovation. Dass es das bleibt und im eng gesteckten organisatorischen und finanziellen Rahmen sich – auch ohne euphorischen Gründungsenthusiasmus – dennoch weiter entwickeln kann, bleibt für die Zukunft zu wünschen. Aktuelle Studien in Musik und Bewegung von Studierenden auf dem Symposion zeigten in der Tat, dass künstlerisches und pädagogisches Niveau merklich gestiegen sind. Bleiben dabei Experimentierfreude, künstlerische Freiheit und persönliche Entfaltung auf der Strecke?
Im Spannungsfeld zwischen Vielseitigkeit und Vertiefung, Spezialisierung und Heterogenität, Autonomie und Kooperation möge es seine Qualität der individuellen, persönlichkeitsfördernden Ausbildung beibehalten und weiter auf eine hohe Identifikation der Studierenden und Ausbildenden zum Institut und damit zum Beruf als Musik- und Tanzpädagoge und -pädagogin hinwirken. Die Berufung von Prof. Sonja Stibi als neue Institutsleitung ab Oktober 2011 stellt bewusst Weichen zu einer Neuorientierung.