Seit mittlerweile vier Jahren lädt die Hochschule für Musik Detmold im Rahmen des Wettbewerbs PLAYGROUND Studierende aller Fächer dazu ein, neue Formate für die Konzertbühne zu entwickeln. Unter der Leitung von Katharina Höhne-Grotheer, Professorin für Musikvermittlung, hat der Wettbewerb nun ein Makeover bekommen. Mit dem Versuch, den klassischen Musikwettbewerb neu zu denken, implementierte sie erstmals ein Mentoring-Programm und setzt damit auf nachhaltige Wettbewerbsstrukturen. Ein Einblick.
Der gemeinsame Sprung ins Ungewisse
Frei von Konventionen. Offen für das Unerwartete. Auf die diesjährige Ausschreibung des hochschuleigenen Wettbewerbs PLAYGROUND reagierten die Studierenden zunächst zögerlich. Vielleicht, weil darin mehr verlangt wurde, als eine herausragende musikalische Leistung. Vielmehr ermutigte sie der Aufruf, das traditionelle Konzertformat hinter sich zu lassen, um sich frei in der musikalischen Gestaltung, frei in der Erschließung des Konzertraums und frei im künstlerischen Miteinander mit Themen auseinanderzusetzen, die ausgehend des aktuellen Weltgeschehens für sie bedeutsam sind. Vorgaben gab es weiter keine, weder zur Besetzung, noch zum Repertoire. Einzig die Länge des zu entwickelnden Formates war durch zwanzig Minuten definiert, genauso wie der Austragungsort des Wettbewerbs: die Bühne des JUNGEN THEATERS des Landestheaters Detmold.
Für viele Studierende kontrastierte die Ausschreibung mit den ersten beruflichen Erfahrungen. Denn vielerorts ist insbesondere der Orchester- und Festivalbetrieb noch klassisch geprägt. Ein Gefühl der Unsicherheit machte sich breit und mündete schließlich in der Frage: Wer bin ich eigentlich auf der Bühne? Insbesondere dann, wenn ich das traditionelle Konzertformat verlasse und auf neue Weise sichtbar werde? Um gemeinsam nach einer Antwort zu suchen und die mit dem Wettbewerb verbundene Freiheit als Chance der künstlerischen (Selbst-)Findung zu betrachten, starteten wir ins Mentoring-Programm. An den Bedarfen der Studierenden orientiert begleitet es erstmals alle teilnehmenden Ensembles von der ersten Idee bis hin zur finalen Performance und versucht sie durch gezielte Impulse in ihrer inhaltlich-konzeptionellen Arbeit, ihrer musikalisch-performativen Erprobung und ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Dank einer Kooperation mit dem Kultursekretariat NRW Gütersloh konnte für die Durchführung des Programms das Berliner Improvisationsorchester STEGREIF gewonnen werden, das in seiner künstlerischen Arbeit durch musikalische Spontaneität, Improvisation und performative Intensität stets neue Wege auf der Bühne wagt und seine Erfahrungen in Workshops und Coachings regelmäßig weitergibt.
Von Anfang an war STEGREIF in die Weiterentwicklung von PLAYGROUND involviert, wodurch sich nicht nur die Improvisation als künstlerisches Element, sondern auch die von ihm gelebte kollektive Arbeitsweise im Wettbewerb integrierte. Bewusst. Denn anstatt eines kompetitiven Gegeneinanders, wird ab diesem Jahr verstärkt auf ein Miteinander unter den Teilnehmenden gesetzt, um sich trotz Wettbewerbssituation sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung gegenseitig zu unterstützen. Auch im Finale werden die einzelnen Wertungsbeiträge nicht länger sukzessiv präsentiert, sondern greifen fortan künstlerisch ineinander.
Die daraus resultierende Gesamtperformance wird auch das Wettbewerbserlebnis für Jury und Publikum verändern. „Es gibt Gründe, warum ich irgendwann mit dem Spielen von Wettbewerben aufgehört habe“, erinnert sich STEGREIF-Mitglied Sebastian Lange. „Hätte es zu meiner Studienzeit einen Wettbewerb wie PLAYGROUND gegeben, hätte ich definitiv weitergemacht.“ Zusammen mit Sebastian Caspar und Felix Demeyere coacht der ausgebildete Saxophonist die diesjährigen Teilnehmenden. „Es geht darum, erst einmal nur ein paar Töne zu spielen“, erklärt er und leitet damit die erste Gruppenimprovisation an. Umgeben von den Studierenden setzt er sein Instrument an und gibt den Ton im Anschluss weiter. Was sich für den einen oder die andere anfangs noch ungewohnt anfühlt, wird von Mal zu Mal leichter, die Atmosphäre im Raum gelöster und der Moment des Ungewissen aushaltbarer. Ob einzeln, im Ensemble oder als ganz Gruppe – mit jeder neuen Übung, wirken die Studierenden freier im Spiel. Der geschützte Rahmen gibt ihnen den nötigen Halt für Experimente, das konstruktive Feedback ihrer Coaches Mut, auch mal etwas vollkommen Ungewohntes zu probieren, stärker in die Interaktion mit den anderen zu gehen oder eine etablierte Idee wieder loszulassen. Fast schon nebenbei gewinnen die für das Finale von den jeweiligen Ensembles vorbereiteten Ideen auf diese Weise an Kontur. „Ich bin vollkommen begeistert“, sagt Katharina Adam am Ende des Coachings. „Durch die Anregungen von STEGREIF, aber auch durch den Austausch untereinander, habe ich eine viel bessere Vorstellung davon, was auf der Bühne alles möglich ist.“
Das Konzertleben hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und damit auch die Anforderungen an eben jene, die täglich ausgebildet werden. Alternative Konzertformate sind vielerorts gelebte Praxis, trotzdem werden immer wieder zum Teil hitzige Debatten darüber geführt. Meist geht es darum, sich zu entscheiden, dabei ist es längst keine Frage mehr von Entweder-oder. Vielmehr geht es darum, das traditionelle Konzertangebot konstruktiv zu erweitern und damit ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse eines immer diverser werdenden Publikums zu entwickeln. Vor allem bei denen, die zukünftig auf den hiesigen Bühnen agieren werden. Somit verstehen wir es als Hochschule als eine unserer wichtigsten Aufgaben, Musikerinnen und Musiker im Rahmen des Studiums darauf vorzubereiten und ihnen durch Angebote wie PLAYGROUND die Chance zu geben, erste Ideen für ein zeitgemäßes Konzertleben zu entwickeln.
Zum Finale am 28. Mai 2024 wird STEGREIF nach Detmold zurückkehren und die Studierenden durch den Wettbewerb begleiten. Aber mehr noch. Um PLAYGROUND auch strukturell nachhaltig zu gestalten, wird das Mentoring-Programm über das Finale hinauswirken, was bedeutet, dass das Preisträgerensemble im Anschluss in das Förderprogramm des Kultursekretariats NRW Gütersloh aufgenommen wird und damit automatisch an einer mehrtägigen Summer School von STEGREIF teilnimmt. Dann wird es das Ziel sein, die zwanzigminütige Wettbewerbsperformance zu einem großangelegten Konzertformat weiterzuentwickeln, das wiederum von den Mitgliedsstätten des Kultursekretariats gebucht werden kann und in der Saison 2024/25 auf Tour durch NRW geht.
2020 wurde PLAYGROUND ins Leben gerufen, doch erst heute wird der Wettbewerb seinem Namen vollends gerecht: Denn so wie auf einem Spielplatz, der als öffentlich-begehbarer Raum Menschen allen Alters zum Entdecken und Forschen einlädt, stiftet der Wettbewerb dazu an, Musik mit Neugier zu begegnen. Und mehr noch: (neu) in Beziehung zu gehen – mit sich selbst aber auch miteinander.
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