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Ausbildung und Bildung als Aufgabe: Leipzigs Musikhochschulrektor Prof. Gerald Fauth. Foto: Jörg Singer
Ausbildung und Bildung als Aufgabe: Leipzigs Musikhochschulrektor Prof. Gerald Fauth. Foto: Jörg Singer
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„Die klassische Ausbildung zu opfern wäre Selbstmord“

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Gerald Fauth, der neue Rektor der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, im Gespräch
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Im Juli 2020 wurde Prof. Gerald Fauth vom erweiterten Senat der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ zum Rektor gewählt, im September trat er sein Amt an. Geboren in Dresden, studierte Gerald Fauth ab 1977 Klavier an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden in der Meisterklasse von Amadeus Webersinke. Er gewann bereits als junger Pianist zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Nach dem Diplom folgte ein Zusatzstudium bei Michail Pletnjov und Lew Nikolajewitsch Wlassenko am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium. Nach erfolgreicher Solistentätigkeit wurde er 1992 zum Professor für Klavier und Kammermusik an die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin berufen. Seit 2001 lehrt er an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig, an der er bereits Studiendekan und Prodekan der Fakultät I war. Von 2015 bis 2020 war er dort Prorektor für Lehre und Studium. Juan Martin Koch hat mit ihm über seine Pläne, den kürzlich veröffentlichten Brandbrief von Studierenden (siehe Seite 20) und die Thesen des Leipziger Hochschulprofessors Fabien Lévy gesprochen, die dieser in dem nmz-Artikel „Wenn das kulturelle Erbe zum Fetisch wird“ formuliert hatte (Ausgabe 4/2021).

neue musikzeitung: Sie sind seit vergangenem September der 20. Rektor in Leipzig. Obwohl es namhafte Gegenkandidat*innen von außerhalb der Hochschule gab, wurden Sie im ersten Wahlgang mit klarer Mehrheit gewählt. Es gab in Leipzig noch nie einen Rektor von außen – wäre es dafür nicht mal an der Zeit gewesen?

Gerald Fauth: Ich kann das mir entgegengebrachte Vertrauen nur mit Dankbarkeit als großen Auftrag annehmen. Wir hatten ein sehr faires, ausführliches Wahlverfahren. Ich fände es durchaus spannend, wenn mal jemand von außen käme, auch eine Frau an der Spitze fände ich sehr gut. Aber wenn man mit fast 90 Prozent der Stimmen gewählt wurde, kann man natürlich schlecht sagen, dass man der Falsche ist …

nmz: Welche Erfahrungen und Erkenntnisse aus Ihrer bisherigen Zeit am Haus sind für Ihre neue Position nun besonders prägend?

Fauth: Ich war hier schon fünf Jahre lang Prorektor für Lehre und Studium. Unter Künstlern ist das ein eher wenig beliebtes Amt. Ich hatte es damals angenommen, weil ich unbedingt etwas für die Nachwuchsförderung tun wollte. Es wurden dann andere Dinge in den Fokus gerückt, sodass ich da nicht vorangekommen bin. Das will ich jetzt angehen.

nmz: Haben Sie in nächster Zeit gestalterische Spielräume durch Neuberufungen?

Fauth: Da ist es relativ ruhig, aber es gibt 2022 eine Stelle im Klavierbereich, die wird in Absprache mit dem Kollegium von einer reinen Klavierstelle in eine Position umgewandelt, die sich stärker dem Bereich der Nachwuchsförderung widmet. Der ganze Komplex muss erst einmal thematisch und konzeptionell aufgestellt werden. Im Moment läuft das Verfahren für die Chorleitungsprofessur, einem wichtigen Feld, auch über die Kirchenmusik hinaus.

Schwerpunkt Nachwuchsförderung

nmz: Wie sehen Ihre Pläne für die Nachwuchsförderung konkret aus?

Fauth: Ein zweites Landesgymnasium mit direkter Anbindung an die Hochschule wird wohl nicht mehr kommen, und auch ein Institut wie das IFF in Hannover wird nicht möglich sein. Ich möchte mit der erwähnten Neuberufung beginnen und hoffe, dann mit dem erweiterten Kollegium etwas für Leipzig Passendes planen zu können. Möglicherweise wird es Zeit brauchen, bis man die entsprechende Persönlichkeit findet. Künftig könnte auch in Arbeitsverträgen festhalten werden, dass Neuberufene sich diesem Gebiet verpflichtend aufgeschlossen zu zeigen haben. Fakt ist, dass wir viel zu wenig eigenen Nachwuchs haben. Wir leben ja davon, dass sich viele asiatische Studierende bewerben. Was passiert, wenn diese wegbleiben? Wir sind in intensivem Dialog mit den Musikschulen, auch mit dem Sächsischen Musikrat. Diese Energien müssen gebündelt werden. In gut vier Jahren, wenn dieses Rektorat beendet ist, hoffe ich etwas angeschoben zu haben, was nachhaltig funktioniert.

nmz: Was tut Ihre Hochschule aktuell, um die Studierenden in dieser schweren Zeit zu unterstützen?

Fauth: Grundsätzlich muss alles, was wir tun, zunächst einmal dem Wohl der Studierenden dienen. Das ist klar. Weil wir den Betrieb trotz für die Öffentlichkeit geschlossener Häuser aufrecht erhalten konnten, ist die Situation, was die Ausbildung angeht, bei uns einigermaßen entspannt. Besonders schwierig ist die Lage aber für die Erstsemester und diejenigen, die jetzt abschließen. Es geht aktuell auch darum, die Studierenden psychologisch zu unterstützen. Man muss viel Mut machen und die wenigen Auftrittsmöglichkeiten, etwa Vorspiele vor der eigenen Klasse, nutzen. Insgesamt betrachtet wird die Verschärfung der Arbeitsmarktsituation, auch außerhalb Deutschlands, wahrscheinlich zu einem Rückgang der Bewerberzahlen führen. Es wird einen großen Kampf um die besten Studierenden geben.

nmz: Welche Form der psychologischen Betreuung können Sie anbieten?

Fauth: Auf diesem Feld waren wir schon vor Corona aktiv, das wurde immer sehr gut angenommen. Ein Musikstudium bietet viele Chancen, birgt aber auch Risiken. Von Seiten der Prorektorin für Lehre und Studium und dem Referat für Studienangelegenheiten werden exzellente Studienberatungen angeboten. Darüber hinaus gibt es für die Studierenden der zwei Leipziger Kunsthochschulen eine psychologische Beratungsstelle, deren Dienste gerade besonders gefragt sind. Grundsätzlich obliegt es aber auch den Lehrenden, sich hier sensibel und empathisch um ihre Studierenden zu kümmern.

Unterstützung für die Anliegen der Studierenden

nmz: Studierende von 18 Musikhochschulen haben kürzlich einen Brandbrief mit acht konkreten Forderungen veröffentlicht (siehe Seite 20). Teilen Sie diese?

Fauth: Ich finde es klasse, dass die Studierendenschaften aufstehen und sich melden. Es weht ein Hauch 68er-Geist durch diese Zeit! Die meisten der Forderungen unterstütze ich, etwa was die bessere finanzielle, personelle und räumliche Ausstattung angeht. Auch mit studentischen Beisitzern in Prüfungen könnte ich gut leben. Verbindliche Evaluationen und Beschwerdestellen haben wir, das ist wichtig. Leider ist das Echo auf die Angebote oft noch verhalten, es kann da auch nicht mit Zwang gearbeitet werden. Kritisch sehe ich den Punkt der Abschaffung von Gebühren für Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland. Ich höre von vielen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern: Seid froh, dass Ihr diese Möglichkeit habt, wir würden sie dringend brauchen! Ich wäre sofort dafür, die Gebühren zu streichen, wenn genügend Geld da wäre. Aber wir wollen ein umfassendes Studium anbieten, und alles ist teuer. Wenn ich die zusätzlichen Einnahmen aus den Studiengebühren nicht hätte, müsste ich Lehrbeauftragten kündigen. Verglichen mit den Kos­ten eines Musikstudium in Seoul oder Tokio sind wir mit unseren 300 Euro pro Monat sehr moderat aufgestellt. Übrigens sieht das Sächsische Hochschulfreiheitsgesetz vor, dass finanziell weniger Begüterte sich um einen Gebührenerlass bewerben können, das betrifft immerhin ein Viertel dieser Gruppe.

nmz: Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten dieser Initiative ein?

Fauth: Es ist gut, wenn über alles diskutiert wird! Der Brief wird sicher Thema bei der nächsten Rektorenkonferenz der Musikhochschulen sein. Auch in der Politik wird er Diskussionen auslösen. Vor allem aber muss er die entscheidenden Personen in den Landtagen und Senaten erreichen. Was Sachsen betrifft, bin ich froh, wenn wir das behalten, was wir haben, und wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob wir immer alles wie bisher anbieten müssen.

nmz: Was meinen Sie da konkret?

Fauth: Wir haben Bereiche mit Kursen sehr geringer Auslastung. Da könnte man schon Konzentrationen beziehungsweise Kürzungen vornehmen.

nmz: In einem offenen Brief vom November 2020 hatten Sie sich selbst an die Bundeskanzlerin gewandt. Wie waren die Reaktionen?

Fauth: Es kamen zahlreiche positive Rückmeldungen, aber nicht von den entscheidenden Stellen. Ich habe natürlich nicht erwartet, dass mir die Kanzlerin persönlich antwortet … Es war mir einfach ein Anliegen, mich zu äußern. Ich war enttäuscht, dass die Kultur immer wieder ans Ende rückte, und dass bei den Verboten inhaltlich wie sprachlich alles in einen Topf geworfen wurde. Ich habe absolut nichts gegen Restaurants, aber eine Bar oder andere Etablissements sind eben nicht mit Theatern zu vergleichen! Auch deshalb habe ich den Brief geschrieben. Die Ausdrucksweise war natürlich auch ein bisschen pathetisch.

nmz: Sie sprechen es selbst an: Sie haben in dem Brief unter anderem von „unseren wahren, höchsten Werten“ gesprochen. Das kann man so verstehen, dass sich der Musik- und Kulturbetrieb über andere gesellschaftliche Bereiche und Gruppen erhaben fühlt. Ist eine solche, ich nenne es mal Attitüde, hilfreich in der jetzigen Situation?

Schönheit, Harmonie und die Vermittlung von Werten

Fauth: Mit Kunst und Musik kann man Gesellschaften besser machen, davon bin ich überzeugt. Es geht nicht nur um die exzellente Ausbildung einer Elite, sondern auch darum, Kinder zu begeistern. Es geht um die Vermittlung von Werten wie Zuhören, Fantasie entwickeln, Sinn für Harmonie, für Schönheit im weitesten Sinne – gerade in dieser Zeit, in der die Gesellschaft auseinanderzufliegen droht. Ich bin da sehr traditionell, nicht reaktionär, sondern im besten Sinne konservativ und auch zukunftsorientiert. Mit Nivellierung und dem berühmten Alles-über-einen-Kamm-Scheren kommen wir nicht weiter. Es muss Werte geben, nach denen es zu streben gilt und die uns zusammenhalten. Wir haben gerade im Kulturbereich ein großes Erbe und gehen manchmal doch sehr achtlos damit um.

nmz: A propos „reaktionär“: In der April-Ausgabe der nmz fragte Fabien Lévy, der seit 2017 als Professor an der Leipziger Musikhochschule lehrt: „Sind Musikinstitutionen Komplizen reaktionären und hegemonialen Denkens?“ Was sagen Sie zu diesem Denkanstoß Ihres Kollegen?

Fauth: Denkanstöße sind immer willkommen, wir leben vom Disput. Ich kann Fabien Lévy, den ich als Kollegen sehr schätze, gut verstehen, wenn ich mich in seine Lage versetze. Er kämpft für seinen Bereich, also unter anderem für die Aufwertung der elektro­akustischen Musik. Die Frage ist doch aber ganz einfach: Was können wir uns nachhaltig leisten? Was existiert schon an anderen Instituten, wo liegen unsere Stärken? In dem Artikel wird von Instrumenten und Aufführungstechniken anderer Völker gesprochen und angemahnt, dass diese bei uns zu wenig Beachtung finden. Wenn ich die Möglichkeit habe, in diese Richtung Angebote zu machen, bin ich sofort dabei. Dafür aber die klassische Ausbildung zu opfern wäre Selbstmord.

So mancher Klavierwettbewerb ist verzichtbar

Gut gepflegte Traditionen haben eine riesige internationale Ausstrahlung und wollen gehört werden. Es geht nicht nur darum, die Häuser vollzukriegen, es geht um die Weitergabe unvergänglicher Werte! Ich kann gut damit leben, wenn von den hundert italienischen Klavierwettbewerben, die es vor der Pandemie jährlich gegeben hat, zukünftig viele wegfallen. Das war wirklich ein Fetisch! Worauf ich nicht verzichten kann, ist, dass Spitzenorchester um die Welt reisen, um unsere europäische Orches­terkultur zu präsentieren. Der dabei hinterlassene ökologische Fußabdruck kann anders kompensiert werden. Wer daran zweifelt, sollte sich einmal in Asien umhören, wie begierig dort die europäische Musik geradezu aufgesogen wird. Deutschland zum Beispiel genießt nicht nur durch seine hervorragenden Autos Weltruf! Um noch einmal auf den Überfluss zu sprechen zu kommen: Natürlich sind unzählige nichtssagende, das Internet regelrecht überflutende Aufnahmen verzichtbar. Trotzdem gilt: Eine „Appassionata“ von Beethoven kann heute noch so packend gespielt werden, dass man meint, sie sei gestern geschrieben worden. Für jede Generation, auch für die heutige, ist es extrem schwer, den Anforderungen der Klassiker gerecht zu werden. Ich bin nicht der Meinung, dass wir falsch ausbilden. Wir dürfen uns anvertraute, traditionelle Bereiche nicht so einfach opfern. Wenn wir die Tiefgründigkeit von Musik nicht mehr verstehen, wird das bedenkliche Folgen haben.

nmz: Es werden also, überspitzt gesagt, an 24 Hochschulen unzählige Pianistinnen und Pianisten ausgebildet, damit alle fünf Jahre jemand dabei herauskommt, der die „Appassionata“ so spielen kann, dass etwas Neues dabei herauskommt?

Fauth: Ich hoffe, dass es mehr sind! Unser Auftrag ist es aber auch, nicht nur auszubilden, sondern auch: zu bilden. Nicht jeder, der Musik studiert, wird später den Musikerberuf professionell ausüben, im besten Fall ist er dann aber ein gern gesehener Konzertbesucher. Ich wiederhole mich gern: Ich bin auch für eine größere stilis­tische Bandbreite in der Ausbildung. Die Frage ist, was und wie bringe ich alles Erstrebenswerte im Curriculum unter? Es gibt viele Spezialisierungen, und gerade in der pädagogischen Ausbildung können wir noch wesentlich innovativer werden. Wir sollten also immer nach Verbesserung streben, aber die These, Musikhochschulen würden aktuell mit falschen Orientierungen ausbilden, kann ich nicht unwidersprochen stehen lassen.

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