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Ein Fahrrad mit einem Anhänger mit diversen Musikinstrumenten

Coverbild „Musik und Migration“. Abbildung: Waxmann Verlag GmbH

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Die Migration der Dinge

Vorspann / Teaser

Das im Juli 2023 beim Waxmann Verlag erschienene Theorie- und Methodenhandbuch „Musik und Migration“ widmet sich in 16 Themenkomplexen den mannigfaltigen Aspekten, Phänomenen, Wechselwirkungen und Perspektiven im Forschungsfeld zwischen Musik und Migration.

 

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Wolfgang Gratzer (Universität Mozarteum), Susanne Scheiblhofer sowie Nils Grosch (Paris Lodron Universität Salzburg) und Ulrike Präger (Boston University / College of Fine Arts) sind die Herausgeber*innen der auf Deutsch und Englisch erschienenen Publikation „Musik und Migration“, einem umfänglichen Grundlagenbuch für zukünftige Forschung, an dem insgesamt 24 Autor*innen mitarbeiteten.

Das gemeinsame Anliegen, eine Plattform zu bieten, um Musik und Migration in transdisziplinären Zusammenhängen zu beforschen, hatte Wolfgang Gratzer und Nils Grosch bereits 2014 zur Gründung der interuniversitären Forschungsinitiative Musik und Migration und zur Etablierung der gleichnamigen Buchreihe motiviert.

Das Methodenhandbuch soll Unsicherheiten beheben und Möglichkeiten der Forschung zeigen, die in den Kultur- und Geschichtswissenschaften bereits Standard sind, im Hinblick auf Musik aber noch fehlen. Denn zwischen Musik und Migration besteht ein essenzielles, dynamisches Verhältnis: Beide Begriffe ändern sich ständig und werden laufend ausverhandelt. Bereits im Mittelalter war die „Vaganten-Musik“, die Musik fahrender Leute, präsent, fahrende Opern-Truppen zogen mit sogenannten „Kofferarien“ durch Europa. Lieder und Gesangsbücher, die im 11. und 12. Jahrhundert entlang des Jakobwegs populär waren, „migrierten“ mit den Menschen und verbreiteten sich. Und die Salzburger Hofmusik war im 18. Jahrhundert mit etlichen „Auswärtigen“ besetzt, um mit den besten Musiker*innen konkurrenzfähig zu bleiben.

Daraus ergab sich auch ein besseres Verdienst, wie Wolfgang Gratzer erklärt. „Gerade in Salzburg ist dieses Wechselverhältnis gut greifbar. W.A. Mozart war drei Jahre lang auf der ‚Westeuropa-Reise‘ und schrieb am 11. September 1778 aus Paris an seinen Vater: ‚Ohne Reisen ist man wohl ein armseliges Geschöpf‘.

Dass Musik nicht nur auf Reisen oder im Rahmen von selbstgewählter Migration global in Bewegung ist, zeigen auch die vielfältigen Auseinandersetzungen der Autor*innen. Anna Papaeti und M.J. Grant beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit verantwortungsvollen Forschungsmethoden, wenn man mit Menschen mit Fluchterfahrungen arbeitet. Hier braucht es ein gewisses Sorgfaltsbewusstsein und auch Wissen darum, dass Betroffene unter Umständen Konsequenzen wie Retraumatisierung erleben können, erwähnt Gratzer.

Scheiblhofer konkretisiert: „Es geht um die Gefahr, die beforschten Menschen oder sich selbst zu (re)traumatisieren. Forschende, vor allem jüngere, müssen darauf vorbereitet werden, sich auch um sich selbst zu kümmern, wenn man sich mit sensiblen Themen auseinandersetzt.“ Diesen Aspekt behandelt André de Quadros und setzt sich für den humanitären Zugang zur Arbeit mit Flüchtlingen ein. Er plädiert dafür, Flüchtende nicht nur in ihren Camps zu besuchen und „Helikopterforschung“ zu betreiben.

Aus den Bereichen Musik, Pädagogik und Systematischer Musikwissenschaft nähern sich Katarzyna Grebosz-Haring und Magnus Gaul den Akkulturationsprozessen bei Jugendlichen mit qualitativen-quantitativen Forschungsmethoden, Ulrike Präger beleuchtet in zwei Beiträgen Musik und Migration aus einer ethnologischen Perspektive. Schlüsselbegriffe wie Ethnographie, Auto-Ethnographie oder Musicking werden behandelt oder die Frage, was es bedeutet, teilnehmende Beobachtung zu machen. Michael Parzer setzt sich mit Perspektiven der Migrant-Business-Forschung auseinander und wie Menschen sich mithilfe von Musik ihre wirtschaftliche Existenz nach einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts neu aufbauen.

Ziel der Herausgeber*innen ist es nicht zuletzt, neue Wege aufzuzeigen und den Stimmen der Migration Aufmerksamkeit zu geben – in Teilen geschieht dies auch bereits.

„Das Buch ist über open acces veröffentlicht und wird bereits in aller Welt heruntergeladen“, freut sich Wolfgang Gratzer. „Ein schönes Beispiel für eine ‚Migration der Dinge‘: dass sich Vorschläge, Ideen, Reflexion und auch Kritik sehr rasch in alle Welt verbreiten können.“

www.moz.ac.at

 

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