Am 10. Oktober 2012 ist der 1935 in Aschaffenburg geborene Hochschullehrer Prof. Dr. Franz Amrhein in Marburg gestorben. Die Art und Weise, wie Franz Amrhein die letzten Lebensjahre verbrachte, spiegelt gleichermaßen Person und berufliches Lebenswerk wider. Offensiv, engagiert und couragiert ging er, unterstützt von seiner Frau Margret Bieker, mit einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS) um, die ihn zunehmend körperlich einschränkte, aber nicht davon abhielt, auf eigener Webseite erläuternd, informierend und seine persönlichen Erfahrungen schildernd auf diese tückische Krankheit aufmerksam zu machen.
Auch in musikpädagogische Fragen, Auseinandersetzungen und Diskussionen mischte er sich weiter ein. Das von ihm entwickelte Konzept der „Förderung-durch-Musik“ hat wesentlich dazu beigetragen, im wahrsten Sinne des Wortes Bewegung in die musikpädagogische Landschaft zu bringen. Dies gelang ihm nicht nur als lehrender Professor für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater Hannover im Rahmen der Ausbildung von Musiklehrern an Grund-, Haupt-, Real- und Sonder- beziehungsweise Förderschulen (1987–1998), sondern auch als Leiter der vom hessischen Kultusminister beauftragten Arbeitsgruppe „Musik an Sonderschulen“ (1977–1987). Letztere hatte die Aufgabe, Rahmenrichtlinien und Unterrichtsmaterialien zu entwickeln sowie schulinterne, regionale und zentrale Fortbildungen zur Umsetzung und Evaluation durchzuführen. In diesem Zusammenhang erforschte er mit einer empirischen Untersuchung „Die musikalische Realität des Sonderschülers – Situation und Perspektiven des Musikunterrichts an der Schule für Lernbehinderte“ (Regensburg, Bosse 1983) und promovierte damit 1983 unter den Gutachtern Wolfgang Klafki, Marburg, und Werner Probst, Dortmund. Ein primäres Anliegen des Amrhein’schen Ansatzes ist die Förderung der Bewegungs-, Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit. Daraus zieht er die praktische Konsequenz: „Musikalisches Lernen ist […] auf den begreifenden Umgang mit einem Instrument angewiesen. Da nicht jeder Schüler ein traditionelles Musikinstrument spielt, muss den Instrumenten, die jeder spielen kann, viel größeres Gewicht geschenkt werden“ (Amrhein 2007). Amrhein geht dabei von einem weiten Begriff von Musik und musikalischem Handeln aus. Er zeigt Bezüge zu Vorstellungen der „Ästhetischen Erziehung“ auf und ist in erster Linie an didaktischen, psychologischen und neurophysiologischen Erkenntnissen orientiert. Von daher begründet er die Bedeutung der Bewegung im Musikunterricht und fordert, dass die Schüler immer wieder auf die sensomotorische Ebene gelockt, in Bewegungszusammenhänge involviert werden müssen. Dies geschieht über die inhaltlichen Kategorien Körperlichkeit, Gestalt/Ordnung, Darstellung und Ausdruck der Musik, die die Brücke zwischen den genannten Fähigkeiten und der Musik bilden. Die Methode wird nach Amrhein bestimmt durch die drei Prinzipien Bewegung, Wiederholung, Stimulierung/Strukturierung.
„Soll Musik als Medium zur Förderung allgemeiner menschlicher Fähigkeiten eingesetzt werden, so kommt es vor allem auf die Balance an zwischen den Ansprüchen der Musik, die Förderung bewirken, und den Ansprüchen des Subjekts, das Förderung erfahren soll. Das heißt, es müssen möglichst genau einerseits die zu fördernden Bedürfnisse und Fähigkeiten des Subjekts, andererseits die förderlichen Parameter oder Kategorien des Inhalts Musik benannt werden“ (ebd.).
Diese Sichtweise, mit einer verstärk-ten Einbeziehung des Subjekts, trug dazu bei, dass das Fördermodell Amrheins bundesweit wegweisend für die Musik in der Sonderpädagogik wurde und in zahlreichen Varianten Eingang in Lehrpläne, Fort-, Aus-, Weiterbildungen und natürlich in die Unterrichtspraxis selbst fand. Franz Amrhein wurde zum gefragten Experten, was sich nicht nur in diversen Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten und zahlreichen, auf seiner Webseite einsehbaren Publikationen zeigte, sondern auch in seiner Präsenz auf entsprechenden Tagungen und Kongressen. Es ist nur konsequent, dass Franz Amrhein dann auch Bundesreferent für die Musik in der Sonderpädagogik im Verband Deutscher Schulmusiker wurde. Wie aktuell Amrheins Konzept ist, wird auch aus gegenwärtigen Fachdiskussionen und wissenschaftlichen Untersuchungen deutlich. Gerade im Hinblick auf die Inklusion, das gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler – mit und ohne Behinderung – erweist sich Amrheins Ansatz, ausgehend von den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Menschen als relevant.
Dass Franz Amrhein mit einer eigenen tiefgreifenden Behinderung seinen Lebensabend verbringen musste, hat ihn nicht verzweifeln lassen. „Ich habe mich entschlossen, dies alles als mein Leben, als meinen Weg anzunehmen und nicht aufzugeben“ (www.franz-amrhein.de). Ein großes menschliches und musikpädagogisches Vorbild hat sich von uns verabschiedet, sein bereicherndes, ermunterndes Wesen und Wirken aber wird bleiben.