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Digitale Werkzeuge für musikalische Praxis

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Zwei Zentren für Digitalisierung bauen Brücke zwischen Tradition und Innovation
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Die Hochschule für Musik Detmold hat in vielen künstlerisch-technischen Bereichen Geschichte geschrieben. Sie beheimatet ein weltweit bekanntes Tonmeisterinstitut und verfügt als einzige deutsche Hochschule über eine Wellenfeldsynthese-Anlage im Konzerthaus. Seit ihrer Gründung ist die Hochschule ein Ort moderner Errungenschaften, gerade heute, wenn es um wissenschaftlich-technische Entwicklungen rund um Musik und Digitalisierung geht. Hier geben seit über drei Jahren zwei Zentren den Takt an. Gegründet wurden sie unmittelbar hintereinander: Im Jahr 2013 das Zentrum für Musik und Filminformatik (ZeMFI), ein Jahr später das Zentrum Musik | Edition | Medien (ZenMEM). Es folgt ein Überblick über Entstehungsgeschichte, Forschungsbereiche und Zusammenhänge.

Das digitale Zeitalter hat längst auch in die Musikwelt Einzug erhalten. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass Kunst und Musik uns in unserem alltäglichen Leben längst nicht mehr nur in einer Dimension begegnen. Zukunftsweisende Technologien bahnen sich ihren Weg: Musik und Klang verbinden sich in der Computerindustrie mit visuellen Elementen, interaktive Klanginstallationen werden bei Museums­rundgängen eingesetzt. Seit Langem wird Musik mittels gängiger Technik am Rechner produziert und bearbeitet. All diese Technologien setzen neben einem interdisziplinären Wissen aus verschiedenen Gebieten auch eine künstlerische Expertise voraus. Musik, Informatik und Medienproduktion werden nicht mehr nur für sich betrachtet. Sie gehen Hand in Hand. Bei dem erstmals im deutschen Kontext geschaffenen Zentrum für Musik und Filminformatik (ZeMFI) handelt es sich um ein Verbundprojekt, das von der Hochschule für Musik Detmold und der Hochschule Ostwestfalen-Lippe (Hochschule OWL), einer benachbarten Hochschule für angewandte Wissenschaften beteiligt ist. Zum Zeitpunkt der Gründung des ZeMFI wurde aus Stiftungsgeldern der Stiftung Standortsicherung Kreis Lippe und der Sparkasse Paderborn-Detmold eine Stifungsprofessur geschaffen, durch die die Bedeutung dieses Instituts für die Attraktivität der Region unterstrichen worden ist. Inhaber der Professur ist der Musikinformatiker Prof. Dr. Aristotelis Hadjakos, der zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Steffen Bock (Hochschule OWL) die Geschicke des Zentrums leitet. Dazu gehört auch die Lehre an den beiden Trägerhochschulen und die Begleitung von Forschungsansätzen, insbesondere bei der Entwicklung von Tools für Musizierende.

Zwei Forschungsprojekte

Ein Blick auf die aktuellen Forschungsprojekte zeigt, dass am ZeMFI digitale Werkzeuge erschaffen werden, die Musikerinnen und Musikern bei der instrumentalen Praxis zugutekommen. Ein Beispiel ist das Projekt „Distributed Ensembles“, in dem für konzertierende Mitglieder eines Ensembles ein digitaler Notenständer zur Verfügung gestellt wird. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass schon in der Renaissance und der Barockzeit Ansätze für die räumliche Gestaltung von Musik existierten. Giovanni Gabrieli ließ in der Kirche von San Marco in Venedig Trompeten auf zwei seitlichen Epochen positionieren und setzte beide Gruppen teils alternierend ein. Schon damals bestand die Notwendigkeit eines ständigen Blickkontaktes zwischen den Ensemblemitgliedern. „Um dies heute zu vereinfachen, haben Mitarbeitende des ZeMFI eine Software entwickelt, die den Musikern mithilfe eines Metronoms, das mit der Partitur auf einem Tablet angezeigt wird, das Zusammenspiel erleichtert“, erläutert Dr. Axel Berndt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZeMFI. Umgeblättert wird automatisch. Zum Einsatz kommen sogenannte Click-Tracks, die die Spielenden über Funkkopfhörer koordinieren.

Neben der Entwicklung dieser digitalen Werkzeuge steht ein weiteres Projekt im Fokus des Zentrums: Die Errichtung eines digitalen Archivs. Die zahlreichen Konzertmitschnitte, die seit 1946 durch das Erich-Thienhaus-Institut, das Tonmeisterinstitut der Hochschule für Musik Detmold angefertigt wurden, sollen in digitale Form überführt werden. Heute finden innerhalb der Hochschule an verschiedenen Orten ca. 400 Veranstaltungen statt, von denen ein Großteil mit exquisiter Aufnahmetechnik dokumentiert wird. Die Mitschnitte früherer Jahrzehnte liegen naturgemäß auf analogen Bändern, aus späterer Zeit auch zum Teil bereits in unterschiedlichen digitalen Aufzeichnungsformaten auf verschiedenen Datenträgern vor. Nutzungsbedarf von Musikwissenschaftlerinnen, Studierenden und Konzertmitwirkenden ist reichlich vorhanden. Jedoch ist ein gezielter Zugriff derzeit nur unter erschwerten Bedingungen möglich.

Mit dem digitalen Musikarchiv soll der Zugriff auf den Inhalt der Sammlung in zeitgemäßer Form erfolgen. Das Projekt beinhaltet gleichzeitig auch eine Geschichte der Tonbandaufnahmen, die sich bis zu den Gründungsjahren der Hochschule zurückverfolgen lässt. „Gearbeitet wird mit zwei alten Studer-Bandmaschinen, wie sie bis ca. 1995 noch überall im Einsatz waren“, so der Detmolder Tonmeister Prof. Dr. Andreas Meyer. Basis für die digitale Überführung ist eine Hardware-Ausstattung, bestehend aus einem MacPro mit Server-Betriebssystem, einem lokalen, per Thunderbolt angebundenen Festplatten-RAID und einem Bandlaufwerk für die Langzeitarchivierung. Auf dem Festplatten-RAID werden sämtliche Daten des Archivs gespeichert. Diese bestehen aus den Audiodaten und einer Datenbank mit Metadaten. Letztere enthalten Angaben zu Interpretinnen bzw. Interpreten, Titel und Komponist, Datum, Aufnahmeraum sowie Technik. In regelmäßigen Abständen werden die Archivinformationen auf Magnetbändern gesichert. Um einen neuen Beitrag in das Archivsystem zu laden, steht eine webbasierte Erfassungsoberfläche zur Verfügung. Hier werden die entsprechenden Metadaten eingegeben sowie das Audiofile inklusive ergänzenden Anhängen wie Programmheften, Videos und Fotos hinzugefügt.

Anbindung an die Lehre – neuer Masterstudiengang

Auch ein Lehrangebot für Studierende der beiden Trägerhochschulen findet am ZeMFI statt. Es spiegelt die interdisziplinäre Ausrichtung des Zentrums wider und findet seinen Niederschlag innerhalb zahlreicher Studiengänge. Veranstaltungen aus dem Bereich Musikinformatik und Live-Elektronik sprechen Studierende aus dem Bereich Medienproduktion, Informatik, Komposition und Musikübertragung an.

Zum Wintersemester 17/18 wurde zudem ein neuer Masterstudiengang eingeführt, der den Titel „Audiovisual Arts Computing“ trägt. Dieser richtet sich an Studierende mit Bachelor-Abschluss in den Bereichen Informatik, Audiovisuelle Künste, Medien- oder Musikproduktion. Gegenstand des Studiums ist die technische Realisierung künstlerischer Ideen für mediale Darstellungsformen im künstlerischen Kontext, wie etwa die Erstellung von interaktiven Comics, Hörbüchern und Installationen. 

Digitale Editionen

„Again, another of many shout outs for the work done by the University of Paderborn in Detmold“, so twitterte ein Besucher bereits vor drei Jahren auf einer Tagung der Internationalen Vereinigung der Musikbibliotheken in New York. Die Musikwissenschaftlerin Kristina Richts war damals schon mit einem Referat vor Ort, heute ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem der zahlreichen digitalen Editionsprojekte am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn angestellt: Es trägt den Titel „Detmolder Hoftheater“ und findet in Kooperation mit dem Beethovenhaus Bonn statt. Seit 2014 von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gefördert, beschäftigen sich Forscherinnen und Forscher über 16 Jahre hinweg mit Hilfe genetischer Textkritik und digitaler Edition mit Beethovens Arbeitsweise. Projekte wie diese bilden seit Jahren eine wichtige Säule im Portfolio der Forschung des Musikwissenschaftlichen Seminars. Die Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe, ein Projekt, das unter der editorischen Leitung des Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Joachim Veit steht, hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2026 Briefe, Tagebücher und Schriften Carl Maria von Webers in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt sorgte auch das Projekt „Freischütz-Digital“ für ein gesteigertes Interesse seitens der Öffentlichkeit. Hierbei wurde nicht nur die digitale Edition der musikalisch-textlichen Quellen zu diesem Werk vorgenommen, sondern erstmals auch eine Verbindung mit digitalen Audio-Elementen hergestellt. Der synchronen Bearbeitung dieser beiden Parameter dient seitdem die Software Edirom, eine Sammlung verschiedener digitaler Editionswerkzeuge. Der Blick auf die Website freischütz-digital.de gibt einen Überblick über die Möglichkeiten: Verschiedene Ansichten der Freischütz-Partitur können dort digital anzeigt werden. Langfristiges Ziel soll sein, Interpretationsvergleiche von ein und demselben Werk oder eines bestimmten Taktes anzustellen.

Der junge Dirigierstudent Tim Hüttemeister erarbeitete 2017 in einer Praxisphase Carl Maria von Webers Freischütz-Ouvertüre mit der Philharmonie Südwestfalen. Das Orchester war beeindruckt, als der Student zur ersten Probe nicht aus der gedruckten Partitur, sondern aus der Digitalausgabe dirigierte.
Hüttemeister hatte sich im Vorfeld umfänglich und kritisch mit editorischen Fragestellungen zu dem Werk auseinandergesetzt. Beim Vergleich zwischen der gedruckten Partitur und dem Originalautographen fielen ihm zahlreiche Ungenauigkeiten auf, die sich in erster Linie auf Gestaltungselemente wie Dynamik, Artikulation und Phrasierung bezogen. Die Arbeit mit der digitalen Partitur machte es möglich, dass er diese Details im Vorfeld zu den Proben in die digitale Partitur einarbeiten konnte. Ein künstlerischer Qualitätsgewinn durch gewinnbringende Erkenntnisse für die Forschung – davon überzeugt ist auch Daniel Röwenstrunk, seit 2014 Geschäftsführer des Zentrums Musik | Edition | Medien, das genau diesen Fragestellungen rund um nicht-textuelle Editionsprozesse nachgeht. „Bisher wurde in Bucheditionen stets das Forschungsergebnis veröffentlicht, in digitalen Editionen können sämtliche Materialen, die auf dem Weg zum Forschungsergebnis relevant waren, mit veröffentlicht werden. Dadurch kann dem Nutzer ein anderer Pool an Daten zur Verfügung gestellt werden, die wiederum für andere Forschungsfragen weiterverwendet werden können“, erläutert er. Zu den Aufgaben des ZenM|E|M gehört die Entwicklung von Werkzeugen, mit denen Herausgeberinnen und Herausgeber eigenhändig Editionen bearbeiten können. Mit insgesamt 10 Mitarbeitenden und Forschenden aus den drei ostwestfälischen Hochschulen – Hochschule für Musik Detmold, Hochschule OWL und Universität Paderborn – berät er zahlreiche Musikverlage und -bibliotheken. Die zunächst vom virtuellen Forschungsverbund Edirom getragenen Erkenntnisse sollten in eine dauerhafte Institution überführt werden. Das führte zur Gründung des Zentrums Musik | Edition | Medien, die infolge einer Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bei der die Einrichtung neuer Zentren aus dem Bereich der eHumanities gefördert werden sollte, zustande kam.

Mit 1,7 Millionen Euro wird das Institut nun seit Gründung in zwei Phasen bis zur geplanten Verstetigung 2019 unterstützt. Seit 2016 besteht eine Akademieprofessur für den Bereich der Digital Humanities. In dem Hochschulverbundprojekt bündeln Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Gebieten ihre Erfahrungen. Forschende der Medienwissenschaft, Musikwissenschaft und Informatik, insbesondere aus den Bereichen Kontextuelle Informatik, Mensch-Computer-Interaktion, Musik- und Filminformatik und Softwaretechnik rücken musikalische und weitere, primär nicht-textuelle Objekte im Kontext digitaler Editionen in den Fokus. Die zweite Phase wurde Anfang letzten Jahres bewilligt und läuft seit September 2017. Im Rahmen der zweiten Förderphase soll es unter anderem um die Untersuchung einer ko-aktiven Nachnutzung digitaler Musikeditionen im Spannungsfeld zwischen Abgeschlossenheit und Offenheit gehen. Erklärtes Ziel ist, den Paradigmenwechsel von einzelnen digitalen Editionen hin zu einer zukünftigen Editionsinfrastruktur zu fördern. Insgesamt sollen bis Ende der zweiten Förderphase die Weichen für eine langfristige und kontinuierliche Arbeit des Kompetenzzentrums im Rahmen des neuen Profilschwerpunktes Digital Humanities gestellt werden. Auch ein Geschäftsmodell sowie ein Plan für die weitere Entwicklung des Zentrums sowie die Etablierung von Weiterbildungsmaßnahmen sollen entwickelt werden.

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