Fünfzehn Jahre lang hatte Barbara Metzger an der Hochschule für Musik in Würzburg die Professur für Elementare Musikpädagogik inne. Zum Ende ihrer Dienstzeit sprach Anja Günther mit der Pädagogin und Hochschullehrerin.
neue musikzeitung: Wie kam es damals dazu, dass Sie Professorin für ein Fach wurden, das Sie selbst nie studiert hatten?
Barbara Metzger: Das kommt daher, dass es das Fach beziehungsweise den Studiengang Elementare Musikpädagogik (EMP) unter diesem Namen überhaupt erst seit 1994 gibt. Vorher nannte man diesen Studiengang und die Praxisfelder Musikalische Früherziehung (MFE) oder Musikalische Grundausbildung (MGA). Studieren konnte man das Ganze überhaupt nicht. Ich habe stattdessen drei Dinge studiert: Grund- und Hauptschullehramt an der Uni Würzburg, dann wissenschaftliche Diplompädagogik und als Drittes das künstlerische Fach Querflöte an der Hochschule für Musik Würzburg mit der pädagogischen Zusatzqualifikation.
nmz: Wie sind Sie dann zur Elementaren Musikpädagogik gekommen?
Metzger: Das kam dadurch, dass ich mein drittes Studium irgendwie finanzieren musste. An der Sing- und Musikschule in Veitshöchheim konnte ich die Schulleitung sowie den Bereich Musikalische Früherziehung übernehmen. Trotz meiner pädagogisch-künstlerischen Qualifikationen stellte ich fest, dass das Musizieren mit Vier- bis Sechs- Jährigen nochmal ganz andere Vorgehensweisen von mir verlangte. Dann bin ich einige Jahre lang von einer Fortbildung zur anderen gesaust, um mir all das Können und Wissen draufzuschaffen. Ohne diese Herausforderung hätte ich mich nicht so intensiv mit dem Elementaren Musizieren beschäftigt. Die unmittelbare Konfrontation mit den Bedürfnissen der Kinder zeigte mir, was man in dem Bereich alles können muss. Im Nachhinein betrachtet half mir dies später bei der Konzeption und Umsetzung des Studiengangs MFE/MGA beziehungsweise Elementare Musikpädagogik.
nmz: Welche Erlebnisse gab es noch, die für Ihre berufliche Laufbahn, also auch für Ihre spätere Arbeit als Professorin und für Ihr Verständnis der EMP, prägend gewesen sind?
Metzger: Es ist primär folgende, jahrelange Erfahrung: Viele, viele Menschen fühlen sich in der Kombination von Singen, Bewegen, Sprechen, Elementarem Instrumentalspiel, aktivem Musikhören, Nachdenken über Musik, Nachlesen über Musik sehr wohl. So finden sie einen guten Weg zum Musizieren, zum musikalischen Verstehen, aber auch zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Immer dann, wenn nicht nur Singen oder Bewegen oder Instrumentalspiel im Vordergrund stehen, sondern eine vielseitige Beschäftigung mit Musik stattfinden kann, dann gehen die Gesichter und die Herzen vieler Menschen einfach mehr auf.
nmz: Was genau macht für Sie den Reiz des Elementaren Musizierens aus?
Metzger: Es ist besonders das gestalterische Moment beim Elementaren Musizieren, das mich immer wieder fasziniert hat. Das man also nicht einfach Stücke nachsingt, nachspielt, das spielt, was der Dirigent oder die Dirigentin sagt oder was in den Noten steht, sondern dass man immer auch die Möglichkeit hat, mit den Mitteln, die man gerade in sich findet oder von außen neu kennenlernt, eigengestalterisch mit der Musik umzugehen. Elementares Musizieren geschieht außerdem immer in der Gruppe. Ich selbst bin ein Mensch, der sehr gerne mit anderen Leuten musiziert oder mit anderen Menschen gemeinsam etwas erlebt.
nmz: Welchen Anspruch an Qualität hat dann das Elementare Musizieren und wie sieht die künstlerische Seite der EMP aus?
Metzger: Das Elementare Musizieren hat wie jede künstlerische Äußerung immer den Anspruch auf höchste Qualität in Abstimmung mit den Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten der musizierenden Menschen. Ich werde als Elementare Musikpädagogin mit Hilfe passender Unterrichtsangebote immer versuchen – vom individuellen Stand ausgehend – die Qualität des Sich-Erlebens und Sich-Ausdrückens zu steigern. Das künstlerische Wirken und Tun ist die Basis für jede Art von Unterricht, denn ich kann nicht mit Menschen musikalisch und bewegungsorientiert arbeiten oder ihnen etwas anbieten, wenn ich nicht selbst in diesen Bereichen auf einem sehr hohen künstlerischen Niveau bin. Ich würde aber sogar auch sagen, dass die pädagogische Seite des Unterrichtens auf künstlerischem Niveau sein muss, denn es finden sich kolossale Ähnlichkeiten zwischen der Dramaturgie einer Konzertveranstaltung und der Dramaturgie einer Unterrichtsstunde. In der EMP verbindet sich die Kunst des Unterrichtens mit der Kunst des Musizierens.
nmz: Zurück zur Elementaren Musikpädagogik: Wie lassen sich die Anfänge der EMP in Würzburg beschreiben und welche Schwerpunktsetzungen haben Sie vorgenommen?
Metzger: Im Jahr 1983 bekam ich vom damaligen Direktor des Hermann-Zilcher-Konservatoriums Martin Maria Krüger die Anfrage, den Studiengang MFE/MGA aufzubauen. Die Besonderheit der Konzeption des Studiengangs lag für mich grundsätzlich in seinem starken Praxisbezug. Elementares Musizieren kann man eigentlich nur lehren und lernen, wenn man es selbst erlebt, das heißt, von der ersten Studienwoche an besucht jeder Studierende acht Semester lang in irgendeiner Form eine tatsächlich funktionierende, sogenannte Modellklasse und kann sofort zusätzlich zu seinen handwerklichen und theoretischen Fertigkeiten und Kenntnissen auch immer gleich das Unterrichten an echten Menschen üben. Bezüglich der Anfänge der EMP ist interessant, dass bereits 1990 eine Erweiterung um das Praxisfeld des Elementaren Musizierens mit Erwachsenen dazukam. Die Eltern der Früherziehungs- und Grundausbildungskinder fragten mich, ob nicht auch sie zum Musizieren kommen könnten. Damit war eine neue Modellklasse geboren. Eine weitere Würzburger Spezialität stellte ab 1996 das Praxisfeld „Musizieren mit Senior/-innen im Heim“ dar, angeregt durch meine Rhythmik-Kollegin Monika Schelske-Flöter. Aufgrund ihrer Expertise konnte ich zudem 1998 die Modellklasse „Rhythmik mit Vorschulkindern“ einrichten.
Begriffsbestimmung
nmz: Sie haben gerade von den Anfängen der EMP gesprochen und nicht mehr von MFE/MGA?
Metzger: Die Erweiterung der Zielgruppen brachte mit sich, dass wir einen neuen Begriff gesucht haben. Wir, das ist der Arbeitskreis Elementare Musikpädagogik (AEMP), bei dem ich 1994 Gründungsmitglied und von 2004 bis 2010 als Sprecherin tätig war. Der AEMP bestand damals aus etwa 19 Lehrenden der MFE/MGA an Hochschulen in Deutschland, die sich zusammengeschlossen hatten, um sich auszutauschen und den Studiengang und die Studienfächer, die in ganz Deutschland an verschiedenen Hochschulen aufblitzten, zu strukturieren. Wir brauchten zwei Wochenenden, um uns auf den Begriff der Elementaren Musikpädagogik für unser Fach zu einigen. Wir fanden den Begriff „elementar“ sehr passend im Sinne von hervorbringend, ursprünglich, wesentlich, körperlich. Dabei stützten wir uns auch auf die Beschreibungen, die bei Carl Orff und Juliane Ribke zu finden sind. Der AEMP etablierte in Deutschland sowohl den Begriff Elementare Musikpädagogik (EMP) als Theorie des Elementaren Musizierens wie auch den Begriff Elementare Musikpraxis (EMP) als Praxis des Elementaren Musizierens. Wir bedachten dabei nicht, dass das Wort „elementar“ im deutschen Bildungssystem für die Altersgruppe der null- bis sechsjährigen Kinder verwendet wird. Das führt bis heute zu gewissen Missverständnissen.
nmz: Und wie kam die EMP dann an die Hochschule für Musik?
Metzger: Die Fusion des Hermann-Zilcher-Konservatoriums mit der Hochschule für Musik fand 2001 statt. Bis dahin existierte das Kernfach EMP an der Hochschule noch nicht. Es wurde das Praxisfeld „Eltern-Kind-Musizieren“ in den Fächerkanon aufgenommen, so dass die Studierenden nun auch das Elementare Musizieren mit eineinhalbjährigen Kindern mit Eltern- oder Großelternteil erleben konnten. Daraus hat sich die Modellklasse Elementares Musizieren in der Krippe entwickelt. Damit die Studierenden möglichst umfassend auf das variierende Berufsfeld des Elementar-Musikpädagogen vorbereitet werden, richtete ich im Laufe der Zeit in Kooperation mit Würzburger Bildungseinrichtungen noch folgende Modellklassen ein: Bewegung, Sprache und Musik in der Kita, Elementares Musizieren in der Grundschule mit Schwerpunkt Singen, Sprache und Musik in der Förderschule, Musik und DAZ (Deutsch als Zweitsprache) in Übergangsklassen an Grundschulen, Lehrer/-innen- und Erzieher/-innenfortbildungen.
Verbindung der Generationen
Eine besondere Chance des Elementaren Musizierens sehe ich in der Verbindung unterschiedlicher Generationen. In diesem Sinne erprobte ich über zwölf Jahre gemeinsam mit den Studierenden das Musizieren mit Grundschulkindern und Senior/-innen im Altersheim. In den letzten vier Jahren beschäftigte ich mich gemeinsam mit meiner Kollegin Prof. Dr. Barbara Busch intensiv damit, die Idee des sogenannten generationenverbindenden oder intergenerativen Musizierens auch auf den Instrumental- und Vokalunterricht zu übertragen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner musikpädagogischen Intentionen ist die Verbindung des Elementaren Musizierens beziehungsweise der EMP mit dem Instrumental- und Vokalunterricht. In zahlreichen Lehrerfortbildungen machte ich die Erfahrung, dass besonders im Anfänger/-innen-Instrumentalunterricht, und zwar egal für welches Alter, Prinzipien und Methoden der EMP angewendet werden können. Mithilfe elementar-pädagogischer Vorgehensweisen können Instrumentalschüler/-innen über ihre Fertigkeiten am Instrument oder der Stimme hinaus ihr musikalisches Verständnis fördern und ihr urmusikalisches Äußerungsvermögen finden und pflegen.
nmz: Welche Rolle spielt die EMP denn aktuell im Fachbereich Musikpädagogik der Hochschule für Musik in Würzburg? Welche Veränderungen konnten Sie im Laufe der Jahre feststellen?
Metzger: Inzwischen ist unser Kernfach EMP ein sehr gefragtes Studienfach geworden. Wir haben jährlich um die 35 Bewerber/-innen. Wir können immer nur wenige aufnehmen, obwohl die Nachfrage in der Arbeitswelt sehr groß ist. Die Grundlagen der EMP sind jedoch als Pflichtfach in alle künstlerisch-pädagogischen Bachelorstudiengänge eingegangen. Veranstaltungen der EMP werden seit etwa fünf Jahren auch als Wahlbereich im Studiengang der Schulmusik angeboten. Hochinteressant ist, dass ich vor zwölf Jahren eine Anfrage von der bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg bekam, das Fach EMP auch dort zu lehren, was ich seither auch tue.
nmz: Welche zukünftige Entwicklung sehen Sie für die EMP in Deutschland und an der Hochschule in Würzburg? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Metzger: Es ist äußerst wichtig, unser Fach und unsere Disziplin weiterhin wissenschaftlich zu fundieren sowie den wissenschaftlichen Diskurs zu intensivieren. Genauso wichtig ist die Erhaltung der Flexibilität der EMP, um weiterhin auf verschiedene Zielgruppen, die wir uns vielleicht noch gar nicht vorstellen können, einzugehen. Außerdem wünsche ich mir, dass das Interesse an diesem vielseitigen Studiengang weiter wächst und die Berufsmöglichkeiten und die Existenzsicherung unserer Absolvent/-innen gesichert sind.