Seit dem Sommersemester 2012 bietet die Staatliche Hochschule für Musik Trossingen als erste Hochschule in Europa den Bachelorstudiengang Barockorchester an. In acht Semestern können sich Studierende gezielt mit der Orches-terliteratur des Barock, der Klassik und der frühen Romantik auseinandersetzen und sich so auf eine spätere Tätigkeit in entsprechenden Klangkörpern vorbereiten. Mit dem Studiengangsleiter, dem Geiger Anton Steck, der seit 2000 als Professor in Trossingen lehrt, sprach Juan Martin Koch.
neue musikzeitung: Wie und wo haben Sie gelernt, im Barockorchester zu spielen?
Anton Steck: Mein Interesse für die Barockgeige wurde in den späten 1980er-Jahren geweckt. Ich hatte zunächst ein „modernes“ Studium in Karlsruhe gemacht, nahm dann Unterricht bei Reinhard Goebel und studierte bei ihm in Amsterdam. Ab 1991, als er wegen seiner Fingerlähmung die Geige ablegen musste, habe ich für fünf Jahre die Konzertmeisterposition bei der Musica Antiqua Köln übernommen. Weitere Stationen waren die Musiciens du Louvre, Concerto Köln oder die Cappella Coloniensis. So habe ich ein großes Spektrum des Orchesterrepertoires aus vielen verschiedenen Blickwinkeln kennengelernt.
nmz: Wie hat sich in dieser Zeit die Szene verändert? Sind auch Wechselwirkungen mit den Studienangeboten zu spüren, eine Art Standardisierung möglicherweise?
Steck: Standardisierung ist genau das richtige Wort, denn das Individuelle ist ein Stück weit verloren gegangen. Ziel eines Studiums müsste es ja sein, ein eigenständiger Interpret zu werden, nicht das nachzumachen, was andere tun. Der Bereich leidet darunter, dass sich das alles einander annähert, auch durch die Produktion von CDs. Eine Sendung stellte im SWR kürzlich die Frage: „Schafft sich die Alte Musik selbst ab?“ Das ist natürlich extrem formuliert, aber es trifft schon eine Tendenz. In den 1980er- und 90er-Jahren gab es noch Ensembles, die sehr verschieden klangen und damit polarisierten, und genau das machte den Reiz aus.
nmz: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus in Trossingen?
Steck: Für unseren Studiengang habe ich deswegen sehr unterschiedliche Lehrkräfte ausgewählt: John Holloway hat einen völlig anderen Stil als ich, nicht was das Unterrichten, sondern was den interpretatorischen Ansatz betrifft. Das ist aber genau das, worauf die Musiker dann in der Praxis stoßen: Der eine Dirigent will es so, der andere hat ganz andere Vorstellungen. Mit Werner Matzke kommt eine weitere Persönlichkeit hinzu, sodass wir hoffentlich zeigen können, wie weit das Spektrum sein muss – dass es kein richtig und kein falsch gibt. Denn wenn es das gäbe, wäre die Musik längst tot. Natürlich gibt es gewisse Grundlagen der technischen Erarbeitung, bei denen wir die gleiche Linie fahren, aber dann kommen die verschiedenen Erfahrungen der Lehrer zum Tragen. Es sollen Musiker ausgebildet werden, die völlig verschiedene Konzepte kennengelernt haben und eben nicht einen Standard, von dem man dann sagen kann: Das passt immer.
nmz: Aus welchen Erfahrungen Ihrerseits ist die Idee für den Trossinger BA erwachsen?
Steck: Hellhörig wurde ich durch meine langjährige Tätigkeit in Orchestern, wo ich in vielen Probespielen die Defizite erlebt habe, aber auch den Fall, dass jemand – offenbar antrainiert – seine Bach-Solosonate hervorragend geigte, dann aber das Spiel im Orches-ter, die Interaktion gar nicht funktionierte. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Studierende, die hervorragend im Ensemble und im Orchester agieren, die aber für das Solospiel zu nervös oder zu verspannt sind. In meiner Hochschultätigkeit, zu der auch die Ensembleleitung gehört, ist mir außerdem klar geworden, dass viel mehr Repertoirearbeit notwendig ist, weil es da immer wieder große Lücken gibt. So reifte diese Idee heran, die dann durch das Förderprogramm des Bundesministeriums für neue Bachelor-Studiengänge realisiert werden konnte
nmz: Wäre ein Masterstudiengang nicht näherliegend gewesen?
Steck: Der Master ist ja streng auf vier Semester limitiert, das würde zum Beispiel für Quereinsteiger, die ein normales Instrumentalstudium gemacht haben, bei weitem nicht ausreichen. Unsere Idee ist, dass sich individuelle Musikerpersönlichkeiten bilden können, die aber im Orchester kompatibel sind. Die solistische und die Kammermusikkomponente ist deshalb mit integriert. Es geht nicht darum, Orchesterstellen einzutrainieren, es ist ein Interpretationsstudium, das Solounterricht, Improvisation, Verzierungspraxis, Kammermusik und regelmäßige Repertoireproben umfasst. Im normalen Studium gibt es pro Semes-ter ein, vielleicht zwei Projekte, im BA Barockorchester dagegen macht diese Arbeit sechs Wochenstunden aus, meist konzentriert in größeren Blöcken. Der Anteil Orchesterpraxis ist damit erheblich höher als im solistischen Studium und macht den Studiengang in Europa einzigartig. Das ist kein Lehrprofil innerhalb der Alte-Musik-Ausbildung, sondern ein eigenständiges Studium mit entsprechendem Abschluss.
nmz: Hinzu kommen Praktika in etablierten Barockorchestern …
Steck: Das ist ein weiteres Kernstück des Studiengangs: Die Studierenden sind verpflichtet, im Rahmen des Moduls „Beruf und Karriere“ zwei Projekte in professionellen Ensembles zu absolvieren. Wir haben unter anderem Kontakt zur Akademie für Alte Musik Berlin oder zu Concerto Köln. Sie lernen also einerseits die Arbeit in einem fest eingespielten Klangkörper und andere Herangehensweisen kennen, können andererseits Kontakte knüpfen, die dann möglicherweise auch zu Engagements führen.
nmz: Sie selbst decken als Solist ein Spektrum vom Barock bis in die Romantik ab, ist das auch die Bandbreite des Studienangebots?
Steck: Wenn Sie den Konzertmarkt beobachten, dann ist es so, dass viele Ensembles weit ins 19. Jahrhundert vorstoßen. Die Anforderungen sind also deutlich größer als noch vor 20 Jahren. Man weiß ja mittlerweile, dass beispielsweise die Violinen gar nicht so früh umgebaut/modernisiert wurden. Für den solistischen Bereich begann das in der Mozart-Zeit, nicht aber im Orchester.
Dementsprechend werden wir im Studium, beginnend mit dem frühen Repertoire, etwa bis zu den Streichersinfonien Mendelssohns gehen. Wir wollen die Studierenden in ein möglichst offenes und flexibles musikalisches System eingewöhnen, sie vor allem aber zu Musikern heranbilden, die sensibel sind für die Klanglichkeiten der verschiedenen Teilabschnitte der Musikgeschichte. ¢
Anmeldeschluss für das Wintersemester 2013/14: 15. April 2013; Aufnahmeprüfung: Anfang Juli 2013; Studienbeginn: Oktober 2013; Instrumente: Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Oboe, Flöte, Horn, Fagott
Nächste Bewerbungsmöglichkeit: 15. November 2013 für das Sommersemester 2014