Die Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) setzt sich für eine gelebte und lebendige Erinnerungskultur ein. Durch Vernetzung und Kooperationen, durch Konferenzen und Konzerte, Performances und Produktionen schafft die HMTM Verbindungen in die Gesellschaft. Insbesondere das Ben-Haim-Forschungszentrum der HMTM übernimmt hier eine wichtige Rolle. Ein Blick in die Vorhaben im Studienjahr 2023/2024.
Erinnerung als Aufgabe
Die HMTM fördert und unterstützt erinnerungskulturelle Arbeit ausdrücklich und setzt als Teil ihres demokratischen Auftrags eigene Impulse. Damit bekennt sie sich auch zu ihrer besonderen historischen Verantwortung – nicht zuletzt durch die Nutzung ihres Hauptgebäudes in der Arcisstraße 12 in München, dem ehemaligen sogenannten „Führerbau“, einem Repräsentationsgebäude des Nationalsozialismus, in dem u.a. 1938 das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Im Zentrum der erinnerungskulturellen Arbeit der HMTM steht die Arbeit des im Jahr 2020 gegründeten Ben-Haim-Forschungszentrums. Musikwissenschaftliche Forschung und musikalische Praxis gehen hier Hand in Hand: Vorträge und Publikationen, Quellenforschung und Editionen begleiten und ermöglichen (Wieder-)Entdeckung vergessener Werke jüdischer und verfolgter Künstler*innen, die zusammen mit Studierenden und externen Kooperationspartner*innen der HMTM aufgeführt werden. Auch im Studienjahr 2023/2024 wird es eine Reihe von Projekten geben, die an diesen Dialog zwischen künstlerischer Praxis und wissenschaftlicher Forschung anknüpfen.
Wissenschaft und Praxis Hand in Hand
Fortgesetzt wird der Schwerpunkt zu Paul Ben-Haim in der Reihe der ODEON-Konzerte, die von Prof. Markus Bellheim kuratiert wird. Während die vergangene Spielzeit Ben-Haims 125. Geburtstag zum Anlass nahm, dessen Kammermusik einem breiteren Publikum vorzustellen, wird nun das umfangreiche Liedschaffen des Komponisten im Vordergrund stehen.
Am 3. Februar 2024 bringt ein Konzert mit Solist*innen, Chor und Kammerorchester in der Reaktorhalle der HMTM Paul Ben-Haim in einen Dialog mit Leonard Bernstein. Beide Komponisten verband eine langjährige künstlerische Freundschaft, nachdem Bernstein Ben-Haims Werke mehrfach aufgeführt und ihm dadurch zu internationaler Bekanntschaft verholfen hatte. Und beide setzten sich intensiv mit Fragen des Glaubens und ihrer Identität als jüdische Künstler in den USA und Israel auseinander. Die Aufführung findet in Zusammenarbeit mit der Akademie der Bildenden Künste München (AdBK) statt. Studierende der AdBK erarbeiten unter der Leitung von Prof. Schirin Kretschmann mithilfe von Lichtregie und pointierter Bühnengestaltung eine künstlerische Umsetzung der Kompositionen.
Zusammenarbeit mit der AdBK
Die AdBK München ist außerdem Kooperationspartnerin in einem weiteren Forschungsprojekt, das gemeinsam von Prof. Dr. Maria Muhle (AdBK) und dem Ben-Haim-Forschungszentrum durchgeführt wird. Ausgangspunkt ist das bislang wenig bekannte Wechselverhältnis von Musik und bildender Kunst im Nationalsozialismus. Am Beispiel verfolgter Mitglieder der beiden Hochschulen in der sogenannten „Hauptstadt der Bewegung“ sollen künstlerische Reaktionen auf totalitäre Herrschaft und Verfolgung untersucht werden, die das gesamte Spektrum von Flucht und Exil, Rückzug und künstlerische Selbstbehauptung umfassten. Die Forschungsergebnisse sollen nicht nur wissenschaftlich aufgearbeitet, sondern auch mit künstlerischen Mitteln reflektiert werden.
Weiterer Komponist im Fokus: Wolfgang Jacobi
Neben Paul Ben-Haim wird ab dem Studienjahr 2023/2024 ein weiterer Komponist einen Arbeitsschwerpunkt an der HMTM bilden: Wolfgang Jacobi. 1894 auf Rügen geboren, feierte Jacobi in den 1920er Jahren mit seinen Kompositionen erste größere Erfolge.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten endete seine Karriere, da er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Berufsverbot erhielt. Nach einem kurzen Exilaufenthalt in Italien verbrachte er die Jahre bis zum Ende der NS-Diktatur zurückgezogen in München. Umso gefragter war er als politisch Unbelasteter und künstlerisch arrivierter Komponist nach 1945. Als Dozent für Komposition gestaltete er die Nachkriegsgeschichte der HMTM ganz maßgeblich mit. Jacobis umfangreicher Nachlass, der unter anderem Notenmanuskripte, rund 6.000 Briefe, Presseartikel und Fotografien umfasst, soll nun erstmals systematisch erschlossen und digitalisiert werden.
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