Nicht noch eine Festschrift! Um die Geschichte der Hochschule für Musik Detmold zu würdigen, wurde anlässlich des nun vollendeten Dreivierteljahrhunderts Musikstudium in Detmold keine neue Seite der Chronik aufgeschlagen, sondern eine Website programmiert. Damit stellt die Hochschule die Betrachtung der eigenen Historie um – statt einer im jeweiligen Umfeld festgeschriebenen Bewertung der vergangenen Jahrzehnte ist die neue Chronik digital. Sie kann also in Zukunft mitwachsen, ergänzt und kommentiert werden, Multimedia ermöglichen und jederzeit abrufbar sein. Dieser Ansatz steht einer Hochschule gut zu Gesicht, die seit ihrer Gründung stets offen für neue Wege ist.
Im Jahr 1949 wurde in Detmold das erste musikalische Akustische Institut zur Ausbildung von Tonmeistern gegründet. Benannt wurde es später nach seinem Gründer Erich Thienhaus, der eine ganz bestimmte Ästhetik des Berufs prägte, die er in der Verbindung von technischen und künstlerischen Qualifikationen sah. Keiner sollte ahnen, dass dies den Anstoß für die Entwicklung der Detmolder Tonmeisterausbildung geben sollte, die bis heute ihresgleichen sucht. Doch nicht nur in diesem Bereich, sondern auf vielen anderen Ebenen war die Hochschule schon damals ihrer Zeit voraus: Als das Thema Audience Development aufkam, schaffte sie mit dem Studiengang Musikvermittlung ein Lernangebot, bei dem Studierende mit innovativen Formaten neue Zielgruppen für klassische Musik erschließen. Auch baut die HfM Detmold aktuell ihre Vorreiterposition im Bereich der Digitalisierung weiter aus und entwickelt gemeinsam mit Partnerhochschulen neuartige Musikeditionen, praktische Anwendungen der Musikinformatik oder interdisziplinäre künstlerische Projekte.
Zeugen der ersten Stunde
Bis heute nehmen noch Zeugen der ersten Stunde Anteil an den Geschicken „ihrer“ Hochschule. Mit dem Tod des Oboisten Helmut Winschermann verstarb im letzten Jahr die letzte noch lebende Lehrpersönlichkeit aus der Gründerzeit der HfM Detmold. Als einzige Musikhochschule in Ostwestfalen-Lippe gehen ihre Anfänge zurück bis in das Jahr 1946. Der 2. Weltkrieg war gerade 16 Monate beendet. Die Lizenz für die Gründung der damaligen Nordwestdeutschen Musikakademie wurde von den Besatzungsbehörden erteilt, der Titel „Akademie“ durch die britische Militärregierung genehmigt. Am 25. und 26. Januar 1947 wurde die damalige Nordwestdeutsche Musikakademie offiziell an das Land NRW übergeben, dem Lippe beigetreten war. Vor ihrer Gründung waren erste Ansätze einer Entwicklung erkennbar: So verschlug es den Cellisten Hans Münch-Holland aus dem vom Krieg zerbombten Köln in den Detmolder Vorort Hiddesen. Sein Plan war die Erteilung von Streicherkursen in der dortigen Fremdenpension „Haus Sauerländer“ zum Aufbau des Orchesternachwuchses. Die heute 99-jährige Gunhild Münch-Holland kann sich noch lebhaft an diese Zeit erinnern. Als dritte Ehefrau von Hans Münch-Holland vermag sie als letzte noch lebende Person originalgetreue Zeitdokumente aus den Anfängen zu liefern. Wir trafen sie zum Gespräch in ihrem Haus in der Mozartstraße. Darin schildert sie unter anderem, wie sie im Bombenhagel ihrem zukünftigen Professor Hoelscher aus Salzburg im Rahmen eines Konzertes in Solingen vorspielte. Nachdem sie nach anschließenden Studien in Salzburg und Weimar wieder in Düsseldorf in ihrem Elternhaus verweilte, hörte sie von einer Freundin von den privaten Cellokursen ihres zukünftigen Mannes im Haus Sauerländer. Obwohl es noch ein weiter Weg bis zur eigentlichen Gründung der Hochschule war, war damit der Grundstein für die erste Studierendengeneration der Hochschule gelegt. Solche Erinnerungen werden in der digitalen Chronik lebendig.
Das digitale Archiv
Diese Erinnerungen und Geschichten sind es, die die Hochschule anlässlich ihres 75. Jubiläums unter dem Hashtag #75JahreHfMDetmold zum Leben erwecken möchte. Ende Oktober feierte sie in Anwesenheit von Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen den Auftakt ihres Jubiläumsjahres. Dabei stellte Hochschulrektor Prof. Dr. Thomas Grosse das neue digitale Archiv der Hochschule vor. Dieses soll auf der Internetseite der Hochschule nun sukzessive aufgebaut und mit neuen Inhalten angereichert werden. Den Grundstock bildete eine studentische Arbeitsgruppe unter der Leitung von Musikwissenschaftsprofessorin Rebecca Grotjahn. Somit lassen sich schon heute nicht nur die persönlichen Erinnerungen von Gunhild Münch-Holland an die Anfangszeit zurückverfolgen, sondern auch weitere historische Erkenntnisse darlegen, beispielsweise die Tatsache, dass die Gründung der Hochschule keinesfalls linear verlief. Der Anteil des jüdischen Rechtsanwalts Franz Ley wurde lange Zeit verschwiegen. Vermutliche Gründe dafür liegen laut Aussage der Autorin in der NS-Zeit: Ley stand im Dritten Reich auf der anderen Seite als der spätere Gründungsdirektor Wilhelm Maler und Hans Münch-Holland. Weitere Aspekte, wie beispielsweise zu den Gebäuden und der Entstehung erster Ensembles lassen sich unter www.hfm-detmold.de/75jahre nicht nur nachlesen, sondern auch anhand von persönlich geführten Interviews, Podcasts und Quellenstudien erleben.
Detmolder Archivschätze
Doch sind es nicht nur Geschichten aus vergangener Zeit, sondern auch wertvolle Tondokumente, die im Jubiläumsjahr zum Vorschein kommen. Die Aufnahmegeschichte des Erich-Thienhaus-Instituts lässt sich dank digitalisierter Technik bis zu den Anfängen zurückverfolgen. Aus diesem Fundus ist nun eine CD-Edition entstanden, die zahlreiche Tondokumente ehemaliger Detmolder Lehrender aus den 60er- bis 80er-Jahren angemessen würdigt. Die künstlerische Leitung hatte dabei der Detmolder Klavierprofessor Jacob Leuschner. Die Realisierung des Projekts kam in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Label GENUIN zustande, dessen Gründer allesamt Absolventen des Detmolder Tonmeisterinstituts sind.
Unter dem Titel „Detmolder Archivschätze“ werden Einblicke in einen Klavierabend von Hans Richter-Haaser mit Werken von Beethoven und Mussorgsky gewährt, der Geiger Tibor Varga ist als Solist mit dem Violinkonzert von Berg zu hören und es sind viele weitere Aufnahmen zu entdecken. So bleiben nicht nur die Erinnerungen an zahlreiche Persönlichkeiten aus der Hochschulgeschichte, sondern auch die spürbar lebendige Atmosphäre eines Konzertes präsent.
„Hörbare Heimaten“ – der Podcast der HfM Detmold
Aufnahmen aus dem Tonarchiv der Hochschule gaben auch den Anlass für ein weiteres Projekt: Pünktlich zum Auftakt des Jubiläumsjahres ist die erste Episode des Hochschulpodcasts erschienen. Diesen können Interessierte ab sofort nicht nur über die bewährten Kanäle der Hochschule, sondern auch auf kommerziellen Streaming-Formaten wie Spotify abonnieren.
In dieser und drei weiteren Episoden, die noch folgen, wirft die Podcasterin und erfahrene Journalistin Magdalene Melchers unter dem Titel „Hörbare Heimaten“ mit zahlreichen Gesprächspartnern nicht nur Schlaglichter auf die letzten 75 Jahre, sondern bezieht auch Positionen zu aktuellen Themen. So sprechen Hochschulrektor Prof. Dr. Thomas Grosse, Musikwissenschaftsprofessorin Dr. Rebecca Grotjahn sowie der Historiker Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl in der ersten Episode über die Verantwortung, die sich aus der Geschichte für die zukünftige Gestaltung der künstlerischen Ausbildung ergibt.
Dabei wird Archivmaterial wie der Auszug einer Rede des damaligen Rektors Prof. Martin Stephani mit Musik und gesprochenem Wort verschränkt. Entstanden ist ein besonderes Hörerlebnis, das nicht nur den Blick auf das Wesentliche schärft, sondern auch eine Facette aufzeigt, wie Geschichte im Hier und Jetzt erlebbar gemacht werden kann.
Links und weitere Informationen:
Digitale Chronik der Hochschule: www.hfm-detmold.de/75jahre
Podcastreihe „Hörbare Heimaten“: www.hfm-detmold.de/hörbare-heimaten
Detmolder Archivschätze: www.hfm-detmold.de/detmolder-archivschätze