Wer sich auf der Internetseite der Hochschule für Musik Münster über den Bachelor Lehramt informiert, findet dort seit letztem Jahr einen überraschenden Eintrag: In der Liste der als Hauptfach angebotenen Instrumente heißt es da – brav alphabetisch zwischen Posaune und Querflöte einsortiert: „Producing & Digitale Musikpraxis“.
Was sich wie eine unmittelbare Reaktion auf notgedrungen digitale Musikunterrichtsformate im Lockdown anhört, hatte in Wahrheit einen längeren Vorlauf, wie Prof. Dr. Norbert Schläbitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Musikpädagogik, und Prof. Dr. Ilka Siedenburg, unter anderem zuständig für Populäre Musik und ihre Didaktik, im Gespräch klarstellen. „Musik ist zu 70 bis 80 Prozent digitalisiert“, sagt Norbert Schläbitz, „es würde der Realität nicht entsprechen, würde man dem Computer nicht auch einen Instrumentenstatus zuerkennen“. Die neuen Formen des Musizierens erfordern auch neue Ausbildungskonzepte, ist man in Münster überzeugt. Die Notwendigkeit, mediale Musikpraxen im musikpädagogischen Kontext noch stärker zu berücksichtigen als bisher, ergibt sich für Ilka Siedenburg auch aus ihrer hohen Bedeutung für Schülerinnen und Schüler: „Auf Handys und Tablets stehen den Kindern und Jugendlichen zahlreiche Musik-Apps zur Verfügung, und viele nutzen diese Möglichkeiten in ihrer Freizeit. Das didaktische Potenzial ist zudem erheblich, weil viele Musik-Apps es im Gegensatz zu traditionellen Musikinstrumenten ermöglichen, sich auch ohne spieltechnische Fähigkeiten oder theoretische Kenntnisse kreativ auszudrücken.“
Neben der Konzeption des neuen Hauptfachs selbst habe vor allem die Ausgestaltung der Aufnahmebedingungen sorgfältig abgewogen werden müssen, erklärt Norbert Schläbitz, wobei man schließlich ein dreiteiliges Format gewählt habe: Es war eine Compilation mit verschiedenen Songs oder Projekten einzureichen, etwas Vorproduziertes musste live präsentiert und eine Aufgabe innerhalb einer vorgegebenen Zeit gelöst werden.
Die Lehrpläne sieht Schläbitz ausreichend offen aufgestellt: „Man kann sich da durchaus damit beschäftigen, wie populäre Musik gemacht ist, und die Schülerinnen und Schüler müssen nicht dabei stehen bleiben, das nur gedanklich nachzuvollziehen, sondern können auch selbst in solche Produktionsprozesse einsteigen.“ Dabei ist es ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein solcher Zugang andere Inhalte „nicht wegdefiniert, sondern anreichert“.
Auf die Frage, ob diese neuen Inhalte auch neue didaktisch-methodische Zugänge nötig machen, verweist Ilka Siedenburg auf die starke Verankerung von informellem Lernen im digitalen Bereich: „Das ist ähnlich wie im Pop – da wurde und wird in den Bands gelernt. Junge Leute bringen andere Ideen für Unterricht mit. Diese Motivation gilt es zu nutzen, man muss die Schüler Dinge entdecken lassen und diese Prozesse begleiten.“
Den Standardvorwürfen von Skeptikern, hier würden junge Menschen wieder nur vor Bildschirmen vereinsamen, kontert Norbert Schläbitz mit György Ligeti: Der habe die Trennung zwischen „klassischen“ und elektronischen Instrumenten mit dem Verweis darauf radikal abgelehnt, dass das alles technische Apparaturen seien. „Üben auf dem klassischen Instrument ist auch Isolation – irgendwann gehe ich zum Musizieren auf andere zu, ähnliches gilt für die digitalen Endgeräte“, sagt Schläbitz, der überzeugt ist, dass ein Hauptfachstudium in diesem Bereich gut investierte Zeit ist: „Erst Kontinuität bildet Kompetenz aus. Ich gebe ja jemandem auch nicht nur ein Semester Violinunterricht und sage dann: das kannst Du jetzt.“
Heißt es in Zukunft also Laptop- statt Bläserklassen? Ilka Siedenburg kann sich das perspektivisch durchaus vorstellen: „Das steht und fällt mit den Lehrkräften und den Interessen der Schüler“, sagt sie. Was die Lehrkräfte betrifft, so kommen in Münster zu den zwei Studierenden aus dem ersten Jahrgang ab kommenden Herbst in jedem Fall weitere dazu, und ein Student hat im Laufe des Semesters von einem „normalen“ Instrument zu „Producing“ gewechselt …