Im vergangenen November wurde in Kopenhagen ein neues musikpädagogisches Netzwerk aus der Taufe gehoben. In ihm schließen sich Forschende und Lehrende der Musikpädagogik zusammen, die Kinder von 0 bis 8 (10) Jahren, die jüngeren Kinder auch in Gegenwart von Eltern unterrichten.
Das Netzwerk soll die Entwicklung der „Early Childhood Music Education“ fördern, und zwar durch:
- den Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen Musikpädagogen/-innen und Forschenden in Europa,
- die gegenseitige Information über den jeweiligen Stand des Faches in verschiedenen Ländern,
- das Einrichten eines Forums zur Diskussion und Reflexion von Themen rund um eine Musikpädagogik in der frühen Kindheit,
- einen Beitrag zur Überschreitung nationaler, kultureller und sprachlicher Barrieren unter den Teilnehmenden.
Diese Ziele sollen durch regelmäßige europäische Konferenzen erreicht werden und einen Informationsaustausch unter den Teilnehmenden in Form von Internetkonferenzen oder Online-Diskussionen ermöglichen.
Anlass zur Gründung des Netzwerkes waren zwei Tatsachen: Im Rahmen der ISME (International Organisation for Music education) sind Europäische Sichtweisen stark untervertreten und die Frage der Forschungs- methodik wird wenig berührt. Dies bezieht sich vor allem auf die Vorstellung, wie man in komplexen Situationen, die im Gruppenunterricht mit Musik und Bewegung gegeben sind, forschen soll. Reine Empirie stößt ebenso an ihre Grenzen wie die Erforschung von musikpädagogischen Sachverhalten mittels Fragebögen. Im ersten Fall zwingt sich forschungsmethodisch eine Reduktion der Sichtweise, das heißt: der Datenmengen, auf, um genaue Resultate zu erzielen. So werden Untersuchungen darüber, ob Kinder mit chinesischer Muttersprache etwas früher rein singen als amerikanische Kinder, wenig Erkenntnisfortschritte für den musikpädagogischen Alltag bringen können; auch Methodenvergleiche, wie: „Können Kinder nach sechs Monaten Unterricht der „Methode“ ,Orff’ mehr als Kinder nach sechs Monaten ,Kodaly’ oder ,Dalcroze’ ....“ (O-Ton einer amerikanischen Studie) dürften eher zu der lapidaren Erkenntnis führen, dass der Fortschritt wahrscheinlich vom Mikroverhalten der Lehrenden bestimmt ist und nicht von den „Methoden“ – , ganz abgesehen davon, dass sich wohl Leute der erwähnten Richtungen sehr schlecht verstanden fühlen würden, wenn man ihnen eine „Methode“ im engeren Sinne unterstellen würde. Im zweiten oben erwähnten Fall – Forschung durch Fragebogenerhebungen – wird vorausgesetzt, dass die Probanden in der Lage sind, sich selbst und je nach Art der Fragestellungen sogar einen gewissen musikpädagogischen Sachverhalt reflektieren zu können. Das ist bei Kindern nicht unbedingt der Fall, auch nicht so sehr bei Eltern, die begeistert an einem Eltern-Kind-Musikkurs teilnehmen.
Diese doch eher amerikanisch dominierten Forschungsansätze könnten sinnvollerweise durch europäische Wege ergänzt werden: kombinierte Forschungen, hermeneutische Ansätze, phänomenologische Ansätze, theoriengeleitete Forschung oder Grounded Research. Dies ist der Grund, warum das Neue Netzwerk Forschende und pädagogisch Praktizierende zu vereinen versucht. Bei der ersten Konferenz im vergangenen November waren Teilnehmer aus neun europäischen Ländern anwesend. Das Netzwerk strebt eine sukzessive Erweiterung auf möglichst viele europäische Länder an. Hauptrednerin war Juliane Ribke (Musikhochschule Hamburg). Sie rückte die interdisziplinäre Vernetzung von musikpädagogischer Praxis und Forschung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Gruppenfähigkeit der Kinder, damit auch „Ensemblefähigkeit“ führte im Referat von Manuela Widmer (Musikhochschule Mozarteum) zu einer Sichtweise, welche Musikpädagogik mit soziologischer und psychologischer Forschung verbindet. Weitere Referate wurden von Daniela Laufer („Der ästhetische Zugang auf die Welt“), Susan Young („Early Childhood Music Education Research: Recognizing strengths and responding to challenges“), Jay Deeble („Researching with parents and young children“) und Charlotte Fröhlich („Grounded Theory“) gehalten.
Von besonderem Interesse aber waren die Vorstellungen der unterschiedlichen Ansätze in den verschiedenen Ländern. Juliane Ribke arbeitete die Geschichte der EMP und die jüngste Geschichte der Eltern-Kind-Gruppen in Deutschland heraus. Monika Niermann (Universität Wien) legte besonderes Gewicht auf die Arbeit mit den Eltern und Erwachsenen im Eltern-Kind-Unterricht. Isabella Steffen (Zentrum für Musik, Solothurn – CH) stellte ihren Ansatz vor und zeigte unter anderem auf, wie sensibel der Umgang mit den ersten stimmlichen Äußerungen eines Kindes zu geschehen hat. Als Besonderheit sollte neben den vielen weiteren Beiträgen auch die Vorstellung der musikpädagogischen Arbeit in einer internationalen Schule von Istanbul erwähnt werden: Die Verbindung von Elternhaus, Musik und Schülern wird dort auf fantasievollste Weise gestaltet.
Im Sommer (11.–16. Juli 2004) finden die internationalen musikpädagogischen Konferenzen (ISME) in Europa (Tenerifa) statt (www. isme.org). Voraus geht in Barcelona (5.–10. Juli 2004) die Vorkonferenz der Berufsgruppe „Early Childhood Music Education“.
Info: chfroehlich [at] magnet.ch (chfroehlich[at]magnet[dot]ch)