Leipzig - Von seiner Arbeit profitieren die kleinen Thomaner enorm. Michael Fuchs, Professor für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde an der Universitätsklinik Leipzig und selbst ehamliger Thomaner, untersucht die jungen Sänger regelmäßig. In seiner Spezialsprechstunde für Kinderstimmen schaut er sich die Kehlköpfe der Jungen des Thomanerchors an. Der 43-Jährige sagt außerdem voraus, wann die Jugendlichen den Stimmbruch erreichen werden.
Mit seiner Untersuchungsmethode, über die er an der Universitätsklinik promoviert hatte, hat Fuchs medizinisches Neuland betreten: Zum ersten Mal ist es möglich, den Beginn des Stimmwechsels, der bei jedem Jugendlichen in einem anderen Alter einsetzt, vorab relativ exakt zu bestimmen. Dazu lässt der Mediziner in regelmäßigen Abständen den Gehalt des Sexualhormons Testosteron im Blut der Chorsänger feststellen. "Diese Methode ist sehr sicher", schätzt Fuchs ein, "wenn der Spiegel des Hormons zum ersten Mal ansteigt, dauert es noch etwa 16 Monate bis zum Stimmwechsel."
Testosteron lässt Kehlkopf wachsen
Bei den Jungen animiere das Testosteron den Kehlkopf zu wachsen, was zur Verlängerung der Stimmlippen um das Doppelte auf etwa zwei Zentimeter Länge führt. "Erst mit der Pubertät erhält der Kehlkopf seine Funktion als sekundäres Geschlechtsmerkmal", erläutert der HNO-Arzt.
Die Jungenstimme sinkt mit dem Stimmwechsel um eine Oktave, die Stimme von Mädchen wird eine Terz tiefer. Fuchs, der selbst von 1978 bis 1987 zu den Thomanern zählte, kann Thomaskantor Georg Christoph Biller mit seinen Untersuchungsergebnissen mehr Planungssicherheit geben, wenn dieser wissen will, wann seine Chorknaben den Stimmwechsel erleben werden.
Prinzensänger betreute späteren Professor
Als Fuchs bei den Thomassern, wie die Thomaner sich selbst bezeichnen, anfing, betreute ihn der zwei Jahre ältere Sebastian Krumbiegel, der später als Sänger der Popband Die Prinzen Erfolg hatte, als erster Pultführer. "Das Erziehungssystem, bei dem sich ältere Kinder um die neuen Chormitglieder kümmern, prägt die Eigenverantwortung enorm", schätzt der Mediziner rückblickend ein. "Was ich beim Chor musisch und menschlich gelernt habe, ist extrem wichtig für mich." Damit meint er, sich in eine Gemeinschaft ein-, aber nicht unterzuordnen.
Auch der "enorm stark strukturierte Tagesablauf" beim Chor helfe ihm noch heute. Momentan musiziert Fuchs vor allem mit seinem dreijährigen Sohn Theo und findet für eigene öffentliche musikalische Auftritte zu seinem Bedauern nur noch selten Zeit.
Die Untersuchungen zum Beginn des Stimmbruch, die Fuchs seit vielen Jahren betreibt, haben ergeben, dass dieser immer früher einsetzt. "Jetzt sind die Jungen meist 15 Jahre alt", erzählt Fuchs, "manche erleben ihren Stimmwechsel sogar schon im Alter von elf oder zwölf Jahren." Zu Zeiten von Johann Sebastian Bach, der von 1723 bis 1750 als Thomaskantor wirkte, waren die Männer beim Stimmbruch 17 oder 18 Jahre alt.