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Wischen, Tippen, Hören: Tagungsteilnehmer beim App-Test. Foto: Stefan Graefe
Wischen, Tippen, Hören: Tagungsteilnehmer beim App-Test. Foto: Stefan Graefe
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Expansionsphänomen Musik-App

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Zur Fachtagung „Mobile Music in the Making 2017“
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Die Idealfigur des allzeit kreativen Hipsters und der Rollifahrer. Noch einen Schluck aus der Kaffeetasse, dann schnell die ersten Beats gelegt, bevor man sich auf den Weg macht, unterwegs, wie nebenbei, immer mal wieder Pattern hinzufügt, verändert, verdichtet, um dann zu Hause, oder wo auch immer, das Smartphone an eine ausladende Studioanlage stöpselt – soundangemessen für den inzwischen musikalisch komplexen Track. Oder: ein schwerstbehinderter Junge aus der inklusiven IBand Saar, der nur noch mit einem großen Zeh sein iPad zu spielen in der Lage und offensichtlich ganz zufrieden ist mit seinem musikalischen Wirken.

Im zweitägigen Symposium Mobil  Music in the Making 2017 waren das Nebeneinander von solchen und anderen thematischen Differenzen und Spannungsbögen nicht nur ohne Bedeutung, sondern geradezu gewollt: Die Veranstaltung war auf ihre Art eine weitgefasste Leistungsschau aus der Welt der Musik-Apps und der mobilen Endgeräte wie iPad und Smartphone. Mittlerweile sind 50.000 Musik-Apps erhältlich, und jedes dieser Musikinstrumente wird – gewissermaßen voraussetzungslos – mit dem „Alltagsfingersatz“ wischen und tippen gespielt.

Initiiert und durchgeführt wurde das Symposium von der am Career College der Universität der Künste Berlin angesiedelten „Forschungsstelle Appmusik – Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis (FAM)“, geleitet von Matthias Krebs und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Mark Godau (siehe hierzu https://www.udkberlin.de/forschung/forschungseinrichtungen/Forschungsst…).

Mit im Boot saß auch die Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Beide Einrichtungen, Forschungsstelle und Bundesakademie führen gemeinsam das mit Bundesmitteln geförderte Verbundprojekt „TOUCH:MUSIC“ durch, eine mehrphasige Fortbildung zum „Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“ für künstlerisch professionell arbeitende Musiker/-innen und Kulturschaffende, woraus wiederum das „Netzwerk tAPP“ im Entstehen begriffen ist. In diesem Kontext geht es um die Potenziale der mobilen Digitaltechnologien für kulturelle Bildungsangebote einschließlich von Musik- und Sozialpädagogik. Im weiteren geht es um die Perspektiven eines neuen Berufsfeldes einschließlich der Frage, wie dieses curricular in den Hochschulen zu etablieren sei.

Diesem Themenkreis Pädagogik und Vermittlung widmet das Symposium eine ganze Reihe an Veranstaltungen. In einer wurde etwa die Ausbildung von Medienkompetenz im Lehramtsstudium untersucht (und für unzureichend analysiert). Eine Musikpädagogin berichtete über ihr App-Projekt in einer Montessori-Kita zusammen mit einer professionellen Orchestergeigerin unter der Fragestellung, in welchen Methoden sich der Einsatz der Technik der App als sinnvoll bewährt. Andere Referentinnen und Referenten berichteten über ihre Arbeit an Musikschulen, Schulklassen, in der freien Kulturbildung, in der Arbeit mit Behinderten.

Ein zweiter Komplex des Symposiums war, im weitesten Sinn verstanden, den technischen Aspekten der virtuellen Klangerzeugung gewidmet. Hierunter waren sowohl die grundsätzlichen Fragen dieser Musikpraxis erfasst – so beleuchtete Peter Kern in seinem einleitenden Vortrag die Dimensionen der Mobilität nichtanaloger Musikgeräte in einem historischen Abriss von seiner technischen Seite aus – als auch die ganz pragmatische Frage nach der geeigneten Musik-App für diesen oder jenen Zweck. Letztere spielte in fast alle Vorträge hinein. „Gute Apps – schlechte Apps“ waren von allgemeinem und großen Interesse. Wahrscheinlich stimmten Viele jenem Teilnehmer zu, der bemerkte, beim Ausprobieren einer neuen App komme er sich oft vor wie ein Versuchskaninchen.

Abgesehen davon, dass hinter jeder neuen App eine kreative Energie steckt, um musikalisches Denken oder musikalische Strukturen auf andere Darstellungssysteme zu übertragen, waren auf dem Symposium mehrere große Entwicklungen zu verfolgen. So zum Beispiel in Richtung Visualisierung von Musik, also die Verknüpfung mit einer interaktiven Videoprojektion oder die Steuerung einer App durch  Köperbewegungen. Eine weitere Entwicklung zielt auf unterschiedliche Komplexitäten: So ist ein neu gestalteter Würfel aus Weichplastik (worauf gedrückt wird) mit etwa 15 Zentimetern Kantenlänge und auf den fünf sichtbaren Flächen bespielbar als niedrigschwellig und für die Arbeit mit Schwerbehinderten gedacht. Wohingegen das sogenannte „LinnStrument“ zur Überwindung der Defizite von herkömmlichen Instrumenten (bedingte Mehrstimmigkeit bei Streich-, strikte Einstimmigkeit bei Blasinstrumenten, Mehrstimmigkeit aber nur kurze Klangdauer bei Klavier) mit einer Anlage von 200 drucksensitiven Buttons eher zu den komplexeren Apps zählt.

Komplex waren auch die rein technischen Fragen beziehungsweise zur Schnittstellen-Technologie, der Verknüpfung von mehreren Tablets oder zur Technik, Audiodaten zwischen beliebigen Apps live zu streamen oder zuzuspielen. Der musikalischen Praxis war eine dritte Veranstaltungsreihe eingeräumt, in einer vierten beschäftigte man sich mit allgemeinen Fragen zur Kreativität im Kontext der Musik-App.

Nach rund 50 je 20-minütigen Sessions, gehalten von fast ebenso vielen Referentinnen und Referenten, und vier längeren Diskussionsrunden demonstrierten im abschließenden Konzert die Meister ihres Fachs, darunter mit dem DigiEnsemble Berlin gewissermaßen das Hausorchester des Veranstalters, die musikalischen Potentiale des zweitägigen Gesprächsstoffes.

Der Eindruck, den das Symposium beim Autor hinterlassen hat, ist der, einem boomenden Metier beigewohnt zu haben. Das dürfte zunächst der Situation des Aufbruchs und der Legitimität des neuen Mediums Appmusik geschuldet sein, alles zu probieren und die je eigenen Errungenschaften verbreiten zu wollen. Es scheint jedoch, dass das Phänomen App schon im Grundsatz auf Expansion hin angelegt ist. Eine App ist „nur“ ein Programm ohne materielle Bedingungen und somit verhältnismäßig leicht austauschbar. Hierin ist die App von jedem der herkömmlichen Musikinstrumente (einschließlich Synthesizer) unterschieden. Denn jedes dieser Instrumente hat im Laufe seiner Entwicklung musikalische wie technologische Normierungen und Standardisierungen durchlaufen, womit immer auch Fragen seiner Erlernbarkeit verbunden waren, also auch die der Erfahrbarkeit von spieltechnischen Grenzen sowie die ästhetischen Vorgänge, die mit der Geschmacksbildung seiner Nutzer einher gehen. Es dürfte spannend werden, ob sich vergleichbare Fragen und Vorgänge auch in der Welt der Musik-Apps herauskristallisieren werden, und wenn ja, wohin die Reise geht.

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