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Fordern geht nicht ohne fördern

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Musikhochschulen sind seit jeher Orte internationaler Begegnungen. Schon beim Blick zurück in die Geschichte wird das besonders deutlich. Als Felix Mendelssohn Bartholdy 1843 in Leipzig das Konservatorium als erste Musikausbildungsstätte gründete, zog dies Studierende aus aller Welt an. Mit einem Anteil von über 50 Prozent bei den Studierenden und 24 Prozent bei den Lehrenden hält die Hochschule für Musik Detmold den höchsten Anteil internationaler Hochschulangehöriger in der Region. Menschen aus 50 Nationen zeigen, wie ein Zusammenleben auf dem Campus gelingen kann. Um dieses Zusammenleben zu unterstützen, wurde im Sommersemester 2023 das Programm zum Spracherwerb für internationale Studierende neu aufgesetzt.  

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Sprachkenntnisse spielen für die Integration von Studierenden eine wichtige Rolle. Spätestens wenn es darum geht, den Anweisungen eines Regisseurs auf der Bühne zu folgen, den Interpretationsansatz einer Dirigentin zu verstehen und nicht zuletzt die eigenen Rechte und studentischen Pflichten im Alltag zu erkennen. All das erfordert nicht nur die Auseinandersetzung mit Sprache, sondern auch deren Anwendung im entsprechenden Kontext. Doch wie steht es um den Spracherwerb bei internationalen Studierenden?

„Das Thema beschäftigt uns an der Hochschule seit über 25 Jahren“, berichtet Wolfgang Tiemann, Prorektor für Studium und Lehre. Und das kommt nicht von ungefähr. Das Musikhochschulsystem im Land der Dichter und Denker ist bei internationalen Studierenden beliebt. Zum einen wegen des Ausbildungsniveaus bei gleichzeitiger staatlicher Finanzierung, zum anderen wegen der beruflichen Anschlussfähigkeit in einem Land, das über die Fläche mehr Theater und Kulturorchester besitzt als das übrige Europa. Wer ohne das erforderliche Sprachzertifikat an die Hochschule kommt, erhält zwar Unterricht im Hauptinstrument, in den sprachlich anspruchsvolleren Begleitfächern aber noch nicht. Laut Einschreibungsordnung, die im letzten Jahr vom Hochschulsenat verabschiedet wurde, ist die Vorlage eines sprachlichen Zertifikats nach einem Semester Pflicht. Doch fordern geht nicht ohne zu fördern.

Violetta Shynkarenko ist 21 Jahre alt und stammt aus der Ukraine. Ein Gesangsstudium hatte sie begonnen. Doch der Krieg machte ihre Pläne in ihrem Heimatland zunichte. Und so kam sie im Frühling 2022 nach Bielefeld. Dort erfuhr sie von der Hochschule für Musik Detmold, wo sie ihr Studium seitdem fortsetzt. Zuerst als Kontaktstudentin, ist sie seit dem Sommersemester 2023 nun im Studien­gang Oper/Konzert eingeschrieben. Umgehend darf sie auf der Bühne des Landestheaters Detmold stehen und im Opernchor zu Thomas Mittmanns Inszenierung von Vincenzo Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ singen. Neben ihrem Studium ist ihr noch eine andere Sache wichtig: Deutsch zu lernen. Einmal pro Woche besucht sie mit anderen internationalen Studierenden den Sprachkurs von Prof. Dr. Iryna Cherniaieva. Diese stammt aus Odessa und ist als Gastwissenschaftlerin seit letztem Jahr im Rahmen eines Stipendiums der Volkswagenstiftung zum Thema „Onboarding of International Students“ nach Detmold gekommen. Iryna Cherniaieva ist Sprachwissenschaftlerin. Genauer gesagt unterrichtet sie das Fach Deutsch als Fremdsprache und forscht außerdem zum Thema Fremdsprachenerwerb in der musikalischen Ausbildung. „Ich mag Musiker, weil sie unser Leben schöner machen und uns inspirieren“, begründet sie ihre Entscheidung, die sie nicht zuletzt als Prorektorin für Internationales an die Nationale Musikakademie Odessa führte.  „Eine glückliche Fügung für die Hochschule“, sagt Wolfgang Tiemann. Denn schließlich ist das Thema Spracherwerb in der Ukraine fest im Curriculum verankert. Anders als in Deutschland, wo man einen extern bestandenen Test auf B1-Niveau vorlegen muss, um Musik zu studieren.

Tiemann selbst hat sich des Themas Spracherwerb von internationalen Studierenden besonders angenommen. Sein Ziel: Die Fördermöglichkeiten zu verbessern. Und das geht am besten mit einem System, deren Bestandteile sukzessive aufeinander aufbauen. Los ging es schon zu Beginn des letzten Studienjahres mit einem Intensivsprachangebot noch vor Semesterbeginn. „Das hatte den Vorteil, dass sich die Studierenden aus den verschiedenen Nationen bei der Immatrikulation schon kannten“, erzählt Tiemann. Zu Beginn des Semesters waren alle Studierenden zu einem informellen Austausch geladen. An diesem Intensivsprachkurs nahm Violetta Shynkarenko teil und entschied sich, auch den semesterbegleitenden Kurs zu besuchen. Denn Iryna Cherniaieva setzt das Angebot mit mehreren Sprachkursen für verschiedene Niveaustufen jeweils einmal pro Woche für aktuell 51 Teilnehmende fort. Dabei ist ihr wichtig, dass die Gruppen möglichst klein sind, damit jeder auch sprechen kann. Unterhalten wird sich nur auf Deutsch. Inhaltlich teilt die Professorin ihr Angebot in zwei Module auf: Deutsch als Fremdsprache und Deutsch für Musiker*innen. Denn das ist Cherniaieva nachhaltig in Erinnerung geblieben, als sie bei einer Lehrendenvollversammlung die Stimme eines Kollegen wahrnahm, der die unterschiedlichen Sprachkompetenzen bei den internationalen Studierenden problematisierte. Dafür führt Iryna Cherniaieva folgende Erklärung an: Musikstudierende sind für sie persönlich ganz besonders begabte Menschen, die den Hauptteil ihres Lebens der Musik widmen und somit wenig Zeit haben, sich um anderes zu kümmern. Es ist wichtig, für Musikstudierende besondere Bedingungen fürs Sprachbeherrschen zu schaffen, die sie beim Studium fördern und nötige Sprachkompetenzen entwickeln. Daher möchte sie die Inhalte ihres Kurses auf die Bedürfnisse des Musikerberufs zuschneiden. Dazu dient ihr der speziell vom Goethe-Institut erstellte Sprachkurs „Deutsch für Musiker“ als wertvolle Unterstützung. Nicht zuletzt ist es ihr wichtig, dass sie im Miteinander über Konzerte sprechen, musikalische Werke charakterisieren oder auch ein Telefongespräch praktisch erproben. „Ja, wir lernen im Deutschkurs wichtige Themen für Studium und Beruf. Schritt für Schritt gehen wir von leichten zu schwierigen Themen“, bilanziert Violetta Shynkarenko, die den Deutschkurs nicht als lästige Pflicht, sondern als Bereicherung empfindet, zumal erste Erfolge in der Verständigung schnell einsetzten. Die Hochschule möchte nun regelmäßig auf den wachsenden Bedarf an Sprachangeboten reagieren. Es steht außer Zweifel, dass diese Initiative für den Studienalltag eine sinnvolle Bereicherung darstellt.

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