Vom 19. bis 21. Dezember 2022 fand das 34. internationale Nachwuchssymposium des Dachverbands der Studierenden der Musikwissenschaften (DVSM) zum Thema „Women in Music – Zwischen Fame und Vergessenheit” am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg statt. Ziel dieses jährlich stattfindenden Symposiums von und für Studierende ist, den Austausch unter Studierenden und Nachwuchswissenschaftler:innen zu fördern und einen Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit musikwissenschaftlichen Fragestellungen zu bieten. Mit ihrer Themensetzung „Women in Music” wollten die Heidelberger Studierenden in diesem Jahr Frauen und ihrem Wirken in der Musik eine Stimme geben. Ein besonderes Anliegen war es, den Arbeiten von bislang weniger bekannten Künstlerinnen nachzuspüren. 18 Referent*innen, sowie bis zu 45 Gäste nahmen teil – zumeist in Präsenz, einige online.
Zum Einstieg in das Thema interviewte Prof. Dr. Christoph Flamm (Universität Heidelberg) die beiden ukrainischen Komponistinnen Karmella Tsepkolenko und Kira Maidenberg-Todorova, die über ihr Komponieren im und über den Krieg in der Ukraine berichteten. Durch das Interview erhielten die Teilnehmer*innen einen zutiefst persönlichen und berührenden Einblick in die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf das Leben und das künstlerische Schaffen von im Exil lebenden, als auch im Land verbliebenen ukrainischen Kunstschaffenden. Der anschließende Vortrag von Janica Dittmann (Hochschule für Musik, Tanz und Medien Hannover) untersuchte Handlungsräume von Frauen in der Musikkultur des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Musikschriftstellerin und -pädagogin Anna Morsch. Der Vortrag lieferte nicht nur Einblicke in das Schaffen und Wirken von Anna Morsch, sondern kritisierte exemplarisch auch die mangelnde musikgeschichtliche Aufarbeitung der Beiträge von Frauen zur Musikkultur des 19. Jahrhunderts. Leona Ludwig (Universität Tübingen) warf am Beispiel der Hamburger Musikpädagogin, Komponistin und Dirigentin Caroline Wichern ebenfalls ein kritisches Licht auf die erschwerte Erforschung von Künstlerinnen und weiblichen Persönlichkeiten mit einem Vortrag zur biographischen Frauenforschung durch Kontextualisierung der Publikationen bei geringer Quellenlage.
Komponistinnen
Die meisten Vorträge widmeten sich dem Leben und Schaffen einzelner Komponistinnen. So präsentierte Constance de Glimes (Universität Kiel) eine Analyse von Maddalena Casulanas Madrigal „Morir non può’l mio core“ unter den Aspekten des Könnens und der Individualität der Künstlerin, die als eine der ersten Komponistinnen der Renaissance ihre Werke veröffentlichte. Der Kampf einer kunstschaffenden Frau, in einer von Männern dominierten Musikszene Gehör und Ansehen zu erlangen, wurde auch in der Vorstellung der Konzertpianistin und Komponistin Leopoldine Blahetka von Marianne Curschmann (Universität Tübingen) thematisiert. Der Vortrag befasste sich unter anderem mit der Frage, wie die Biographien von Frauen, die im Laufe der Geschichte vergessen wurden, aufgearbeitet werden können und zwar ohne sie dabei stereotypen Sichtweisen auszusetzen. Das Problem einer von geschlechtlichen Stereotypen geprägten Rezeption, das nicht nur zeitgenössisch, sondern auch heute noch besteht, wurde auch von Quinn Funk (Universität Köln) diskutiert. Erörtert wurde dies am Beispiel von Emilie Mayer, einer Komponistin des 19. Jahrhunderts. Der Vortrag von Laura Schmalfuß (Universität Hamburg) über die Komponistin Maria Bach zeigte, dass auch trotz durchaus positiver zeitgenössischer Rezeption ihr im letzten Jahrhundert entstandenes kompositorisches Œuvre beinahe vergessen wurde.
Pianistinnen, Dirigentinnen
Auffallend viele der vorgestellten Künstlerinnen lebten und wirkten im 20. Jahrhundert. Eine von ihnen war die Dirigentin Gertrud Herliczka, die internationale Erfolge feierte, welche von Jera Petricek (Universität für Musik und darstellende Künste Wien) im Rahmen ihres laufenden Dissertationsprojekts erforscht wird und beim Symposium vorgestellt wurde. Auch die Pianistin Paula Hedwig Marx-Kirsch, deren Leben in einem Vortrag von Moritz Michel und Annabelle Woycke (Universität Heidelberg) fragmentarisch rekonstruiert wurde, genoss Zeit ihres Lebens große Anerkennung; sie geriet nach ihrem Tod ebenfalls zunächst in Vergessenheit. Ihr bibliothekarischer Nachlass bildete den Grundstock der Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Heidelberg und wird dort im Rahmen eines Seminars derzeit aufgearbeitet. Mit einem weiteren, bisher nicht aufgearbeiteten Nachlass befasste sich ein Proseminar der Universität Marburg unter der Leitung von Jakob Uhlig. Dieser berichtete von den studentischen Forschungen zur Biographie und dem Schaffen der Komponistin Felicitas Kukuck, die unter der Verfolgung des NS-Regimes litt. Unter dem NS-Terror litt auch die Komponistin Rosy Geiger-Kullmann. Jeruscha Strelow (Universität der Künste Berlin) stellte in ihrem Vortrag die Komponistin vor und untersuchte, welchen Einfluss Emigration und Exil auf ihr Schaffen hatten.
Der Vortrag von Valeska Maria Müller (Universität Wien) befasste sich mit der Komponistin Galina Ivanovna Ustvolskaja und rückte ihre Verbindung und musikalischen Einfluss auf Schostakowitsch in den Vordergrund. Den Wirkungskreis von Komponistinnen auf ihre männlichen Kollegen erörterte auch Tobias Haueise (Universität Heidelberg) am Beispiel von Lili Boulanger. Besonders stach die These des Pariser Dreiecks (Boulanger – Debussy – Ravel) heraus.
Orchestermusikerinnen
Neben den musikhistorisch orientierten Vorträgen wurden auch Projekte, welche mit qualitativen Forschungsmethoden arbeiten, vorgestellt. So beschäftigte sich Rena Janßen (Universität Oldenburg) mit Safer Spaces für FLINTA* und verfolgte in dem vorgestellten Projekt das Ziel, aus einer intersektionalen Perspektive diese zu untersuchen. Franziska Schoch (kreHtiv Netzwerk Hannover) untersuchte die Chancen und Potenziale von Frauen- und FLINTA*-Musiknetzwerken für Musikbrancheakteur*innen und feministische Bestrebungen. Auch für Gesprächsformate jenseits der klassischen wissenschaftlichen Vorträge war Platz. So lud Christian Brohm (Universität Heidelberg) den Fotografen Johannes Strassl ein, mit dem er über dessen Ausstellung ,,Zwischen den Pulten“ sprach, die für die Dauer des Symposiums im Musikwissenschaftlichen Seminar in Heidelberg zu sehen war. Ziel der Heidelberger Ausstellung war es, die Sichtbarkeit von Musikerinnen im Orchester zu fördern. Von Dr. Henrike Rost bekamen die Zuhörenden das „FCQ – Female Composers Quartets“ vorgestellt. Das FCQ ist eine Spiele-App, welche an das traditionelle Quartett-Kartenspiel anknüpft, aber eben nun digital Neugier wecken und Wissen über Komponistinnen der Vergangenheit und Gegenwart aus allen Enden der Welt vermitteln will.
Dass es hier noch viel zu entdecken gibt, hat das Heidelberger Symposium durchaus gezeigt. Im Mittelpunkt standen hier schwerpunktmäßig Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Vielleicht nimmt ein zukünftiges Symposium musikschaffende Frauen aus weiteren Jahrhunderten sowie dem außereuropäischen Raum in den Blick.
Den Abschluss der dreitägigen Veranstaltung bildete ein Konzert in der Aula der Alten Universität. Auf dem Programm standen, ganz im Sinne des Symposiums, ausschließlich Werke von Komponistinnen. Zu hören waren neben Werken für Violine und Klavier von Lili Boulanger unter anderem Lieder der brasilianischen Komponistin Chiquinha Gonzaga für Gesang und Klavier. Weiterhin standen Werke der zeitgenössischen Komponistin Lera Auerbach für Solo-Violine auf dem Programm. Interpret*innen waren Philipp Hänisch, Charlotte Sosa, Sua Noh und Melissa Leão.
- Annabelle Woycke, Lara Bräuninger (Universität Heidelberg)