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Lucas Fels. Foto: HfMDK
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Für die Sache, nicht für den Markt ausbilden

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Lucas Fels im Gespräch über seine neue Funktion als Professor für Interpretation und Vermittlung Neuer Musik in Frankfurt
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Zeitgenössische Musik gehört an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) zum Pflichtprogramm. Die Hochschule reagiert damit auf Veränderungen im Konzertbetrieb, die zunehmend eine professionelle Erfahrung von Instrumentalisten mit Repertoire und Spieltechniken zeitgenössischer Musik erforderlich machen. Ende Juni stellte die Hochschule eine zu diesem Zweck neu geschaffene Professur zusammen mit ihrem prominenten Inhaber vor. Der Lehrstuhl für „Interpretatorische Praxis und Vermittlung Neuer Musik“ hat ein im deutschen Musikhochschulwesen bis dato noch nicht vertretenes Format, und es ist der Cellist Lucas Fels, Mitbegründer des Ensemble Recherche, der Ensemble Akademie Freiburg und unter anderem seit 2006 Mitglied des Arditti Quartetts, der diesen nun ausfüllen wird. Mit ihm sprach Hans-Jürgen Linke.

neue musikzeitung: Herr Fels, zeitgenössische Musik ist an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst kein Fach für Spezialisten, sondern integraler Bestandteil der Instrumentalisten-Ausbildung, und dazu tragen Sie fortan entscheidend bei.

Lucas Fels: Es gibt hier eine unglaubliche Offenheit für zeitgenössische Musik, und man hat nirgends das Gefühl, man sei unerwünscht. Ich bin der Ansicht, dass eine Instrumentalausbildung so vielseitig sein muss wie nur irgend möglich. Jeder Musiker ist heute irgendwann in der Situation, dass er Neue Musik spielen muss, selbst im Barockorchester. Und die großen Sinfonieorchester erweitern ohnehin in großen Schritten ihre zeitgenössischen Repertoires. In meiner Generation gab es noch eine Polarisierung, ein klares Dafür oder Dagegen, aber unter den Musikern, die jetzt ausgebildet werden, spüre ich keine Vorbehalte mehr. Es gibt andere Probleme. Zum Beispiel gibt es ein riesiges Potential für Frustration, wenn ich als Musiker Noten auf dem Pult liegen habe, die ich nicht lesen kann; wenn ich beim Spielen mit Dingen konfrontiert bin, bei denen ich nicht weiß, wie ich sie auf dem Instrument realisieren kann; oder wenn eine Art von Zusammenspiel gefordert ist, wo ich nicht weiß, wie das funktionieren soll. Aber wenn man so etwas einmal gemacht hat, wenn man kapiert hat, worum es geht, dann geht es eben doch. Ich kann zwar nicht dafür sorgen, dass die Musiker alles lernen, aber ich kann Impulse dafür geben, dass sie selbst weitermachen und weiterdenken. Das ist das, was ich bei den Bachelor-Studenten im vierten Semester machen kann.

nmz: Praxis ist ein recht klar umrissenes Arbeitsfeld. Aber der zweite Teil Ihrer Stellenbeschreibung sieht „Vermittlung“ vor. Worum geht es dabei?

Fels: Eigentlich um alles Mögliche. Die Vermittlungsarbeit ist ja nicht unbedingt auf Neue Musik begrenzt. Wir reden da eher über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es geht um Fragen wie: Was sind Kriterien für die Neue Musik? Wie spricht man über Neue Musik? Was ist ihr Kontext? Man versteht recht bald, dass es in der Musik nach 1950 keine verbindlichen Regeln mehr gibt, keinen Stil und auch nicht zwanzig Stile, sondern im Prinzip unendlich viele. Das ist eine neue Situation, mit der ich auch als Musiker erst einmal klar kommen muss. Das ist das Erste. Das Zweite aber ist: Jeder Musiker, egal ob Solist oder Ensemble-Musiker, steht heute irgendwann vor einer Schulklasse oder einer Gruppe von Musikliebhabern, die etwas erklärt haben wollen. Um solche Situationen sinnvoll zu gestalten, kann man sich nicht darauf beschränken zu sagen, wie das Stück aufgebaut ist und was sich der Komponist dabei gedacht hat. Man muss ein bisschen weiter gehen. Man kann Kriterien finden für die  Beurteilung von Musik. Man kann Kriterien entwickeln, wie man hört, wer was hört. All das bietet Berührungsstellen zwischen Theorie und Praxis. Wir reden im Seminar zum Beispiel über Adorno und seine Typologie der Hörer, die ich als Modell vorstelle. Man kann als Musiker viel daraus lernen, wer mit Vermittlungsarbeit betraut ist, sollte sich damit auseinandergesetzt haben. Wir sind als Musiker die einzigen, die praktische Erfahrung mit der Musik haben und gleichzeitig zurückblicken können. Dadurch verfügen wir über etwas, was ein Musikwissenschaftler oder ein Komponist nicht vermitteln könnten. Wir können das Musikmachen – was ja eine handwerkliche, aber auch eine emotionale und intellektuelle, also eine sehr umfassende Tätigkeit ist – damit verbinden, dass wir einen Schritt zurücktreten und über das Stück reden können, über verschiedene Möglichkeiten der Interpretation, über Kontexte, über die Interpretationsgeschichte und unsere aktuelle Position darin. Wir sind nicht Musikwissenschaftler, wir sind nicht Musikpädagogen, aber wir sind auch nicht einfach Moderatoren. Wir sind etwas Anderes, was wir selbst herausfinden müssen.

nmz: Wer sich mit Musikvermittlung beschäftigt, sollte also seinen eigenen Zugang zu dieser Tätigkeit schaffen.

Fels: Ich finde ja. Aber man muss bedenken, dass heute ein Bachelor-Student im vierten Semester ziemlich jung ist, vielleicht gerade 21 Jahre alt. Manche – nicht alle, vielleicht nicht einmal die Meisten – kommen mit der Erwartung in die Lehrveranstaltung, dass sie einen fertigen Lehrinhalt oder ein Rezept geliefert bekommen, wie sie das von der Schule her kennen. Das will und kann ich nicht. Ich will und kann sie nur dazu anregen, selber zu denken. Das schafft eine permanente Verbindung zur Praxis. Was wir auch machen werden, ist ein intensiver Workshop über alle möglichen Arten von Notation. Ich habe dazu einen Komponisten eingeladen, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Noten verdient und sich sehr gut auskennt. Im nächsten Semester wird es mehrere solcher Veranstaltungen mit verschiedenen wichtigen Themen geben, zu denen ich Spezialisten einladen möchte. Auch für die Vermittlungsarbeit werden Gäste eingeladen.

nmz: Also geht es im Grunde darum, dass auch Vermittlung Teil künstlerischer Praxis ist und damit eine eigenverantwortliche Arbeit.

Fels: Helmut Lachenmann hat in einem frühen Text, in dem er über alte und neue Musik spricht, Begriffe wie „Tradition“ und „Kunstwerk“ problematisiert und ihnen das Begriffspaar „Freiheit“ und „Risiko“ gegenüber gestellt. Wir haben den Text gemeinsam gelesen, ich habe die Frage in den Raum gestellt, was Freiheit und Risiko heute für einen Interpreten heißen können. Da kam von jemandem, der sehr aktiv in der Neuen Musik ist, ganz ernsthaft die Antwort: Das gibt es für einen Interpreten nicht. Er war der Meinung, er sei nur so kurz an der Hochschule, da müsse er tun, was die Hochschule vorschreibt. Freiheit bleibe ihm da nicht. Und später müsse er machen, was sich verkaufen lasse, also der Ökonomie seines Berufes gehorchen, um das Risiko zu minimieren. Das klingt sehr realistisch, aber da liegt ja ein sehr schwerwiegendes Problem. Ich sehe einen Teil meiner Aufgabe darin zu vermitteln, dass es noch etwas Anderes gibt.

nmz: Repräsentieren Sie nicht auch selbst etwas von diesem Anderen?

Fels: Ich gehöre einer anderen Generation an. Ich habe zum Beispiel nie ein Probespiel absolviert. Ich wollte von Anfang an Kammermusik machen und habe probiert, mich damit durchzuschlagen. Wir haben das ensemble recherche gegründet, das hat funktioniert. Natürlich gab und gibt es da auch heute nur einen Bruchteil der Bezahlung, die man als Orchestermusiker bekommen hätte. Aber wir haben uns dafür entschieden, weil wir mit Leidenschaft und Begeisterung bei der Sache waren. Unsere Rolle als Interpreten kann einflussreicher und vielseitiger sein, wenn wir das machen, was wir machen wollen. Das klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber es geht ganz zentral um einen Freiheitsbegriff. Wenn man sieht, was es heute an verschiedenen Ensembles gibt, die im Laufe der vergangenen Jahre entstanden sind, kann man darin auch eine Folge dessen sehen, was zum Beispiel wir in Freiburg oder was die Musiker des Ensemble Modern hier gemacht haben. Diese Ensembles bilden immer noch eine Art Enklave des Musikbetriebs, aber das, meine ich, muss nicht unbedingt so bleiben.

nmz: Ist auch der Markt, auf dem sich die Musiker werden bewegen müssen, Gegenstand Ihrer Lehrtätigkeit?

Fels: Wohl oder übel. Das Musikinformationszentrum hat kürzlich die Information verbreitet, dass in Deutschland im Jahre 2011 allein in den Fächern der Instrumental- und Orchestermusik fast 2.200 Studierende ihren Abschluss gemacht haben. Das ist eine Zahl, in der keine Musikpädagogen enthalten sind, sondern nur Musiker, die spielen wollen. Überschlagen Sie mal, wie viele Sinfonieorchester man jedes Jahr mit diesen Absolventen gründen könnte. Dem steht eine Anzahl von etwa 9.800 ausgewiesenen Planstellen in den deutschen Orchestern gegenüber. Daneben gibt es die ungefähr 200 freien Ensembles in Deutschland – das ist ein Markt, der nach meiner Wahrnehmung gerade wächst. Es ist eine Marktregion, in der es eine Reihe halbwegs kontinuierlicher Arbeitsverhältnisse wie auch vor allem viele Freiberufler gibt. Damit kommt man am besten klar, wenn man so viel wie möglich kann und weiß. Aber wir sind hier ein künstlerischer Studiengang, wir bilden nicht für den Markt aus, den wir ohnehin nie ganz kennen und vorausahnen können, sondern für die Sache. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass die Kunst nie genau das tut, was der Markt gern hätte.

nmz: Wobei der so genannte Markt in diesem Fall in Deutschland sinnvollerweise ein subventioniertes Gebilde ist. Wie man an Ihrer Professur sieht, geht das auch mit privaten Mitteln, also Stiftungsgeldern. Wie sehen Sie die Perspektive Ihrer Professur über die nächsten drei Jahre hinaus?

Fels: Ich gehe von einer Verlängerung aus. In drei Jahren kann man noch nichts Neues aufbauen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mindestens sechs Jahre brauche für eine sinnvolle Aufbauarbeit. Es gilt auch, so etwas wie Repertoires aufzubauen. Es geht ja so viel Musik verloren. Die spezialisierten Ensembles sind mit Uraufführungen beschäftigt, und dabei gerät sehr viel Musik in die Gefahr des Vergessenwerdens. Selbst Komponisten wie der junge Boulez, der frühe Berio, der frühe Stockhausen, Dallapiccola, Karl Amadeus Hartmann, um nur mal ein paar herauszugreifen, kommen im Konzertleben kaum vor. Ich finde, dass da ein Problem liegt. Natürlich kann man die Schuld immer den Veranstaltern zuschieben. Aber auch Musiker können hier etwas ausrichten. Dazu müssen sie das Repertoire kennen. Dann können sie auch auf die so genannte Nachfrage Einfluss nehmen. Das ist etwas, was ich den Musikern beibringen möchte: dass sie aus ihren Möglichkeiten mehr machen.

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