Im späteren Berufsalltag von Elementaren Musikpädagoginnen und -pädagogen gewinnt das Musizieren mit älteren Menschen zunehmend an Bedeutung. Daher bieten mittlerweile immer mehr Musikhochschulen in ihrem Studienbetrieb Lehrpraxisgruppen mit Senioren an, bei denen die Studierenden der Elementaren Musikpädagogik erste Erfahrungen mit dieser Zielgruppe sammeln können.
So zum Beispiel auch die Hochschule für Künste Bremen. Etwa 15 Personen zwischen 60 und 75 Jahren, die Lust auf einen neuen Zugang zur Musik hatten, folgten einem Zeitungsaufruf und kamen wöchentlich für eine Stunde in die Hochschule, um gemeinsam mit Studierenden und Lehrenden zu singen, zu tanzen, auf Instrumenten zu spielen und Musik zu hören. Die Motivationen der älteren Menschen, die Musikgruppe zu besuchen, waren dabei vielfältig: Einige wollten an ihren Instrumentalunterricht aus früheren Lebenszeiten anknüpfen, andere bewusst etwas für ihre körperliche und geistige Gesundheit und Fitness tun. Es kamen auch immer wieder Neugierige, die durch Freunde von der Gruppe gehört haben: „Das macht so viel Spaß, da musst du unbedingt auch mal hin!“ Natürlich gibt es auch Vorbehalte und Ängste, das eigene Können betreffend. Einigen Teilnehmenden war schon in der Jugend die Freude am Singen ausgetrieben worden. Andere wiederum brauchten lange, um neue Bewegungsformen koordinieren zu können. Gerne wird das Alter als Ausrede für langsameres Lernen genutzt. Die Mitglieder des Kurses merken jedoch, dass die Studierenden beim Vormachen auch nicht immer perfekt sind und sich und der Gruppe „Fehler“ zugestehen. Es geht immer in erster Linie darum, sofort gemeinsam ins Musizieren einzusteigen und daran Freude zu haben, anstatt lange zu reden und trocken zu üben. Durch methodisch durchdachte, schrittweise Anleitungen kommt es aber meistens zu bemerkenswerten musikalischen Ergebnissen, so dass am Ende der Stunde von den Teilnehmenden öfter zu hören ist: „Dass wir das können, hätten wir nie gedacht. Was ihr hier so alles mit uns macht…“
Die Stundeninhalte in einer Seniorengruppe unterscheiden sich im Prinzip nicht von denen einer Elementaren Musikpraxisstunde mit Kindern. Dazu gehören Stimmbildung, Singen, Tanzen und Bewegung, elementares Instrumentalspiel und Bodypercussion genauso wie Musikhören, Instrumentenkunde und Musiklehre. Dabei legen die Senioren großen Wert auf eine ausgiebige Stimmbildungsphase. Sie merken, dass diese sich lohnt und hörbar zu besseren Ergebnissen beim Singen führt. Lieder werden immer ohne Noten oder Textblatt eingeführt, was anfänglich schwierig ist, da die Gruppe sich das Auswendigsingen oft nicht zutraut. Später ist es aber möglich, nicht nur auswendig mehrere Strophen zu singen, sondern dazu auch eine Stabspielbegleitung zu spielen. Nach einiger Zeit kam aus der Gruppe der Wunsch nach mehrstimmigem Singen, was sich mit Hilfe von Kanons und einfachen zweistimmigen Liedern leicht realisieren lässt. Die Inhalte sind dabei stets miteinander verknüpft, zu einem Lied gibt es zum Beispiel auch ein Bodypercussion-Muster, eine Instrumentalbegleitung oder Tanzschritte. Auf diese Weise werden verschiedene Wahrnehmungskanäle und Ausdrucksformen des Körpers angesprochen, die sich beim Erlernen von neuen Musikstücken und Liedern ergänzen. Besonders große Freude kommt immer beim Tanzen auf.
So konnten im Laufe der Zeit einige Kreistänze erarbeitet und oft auch mit eigenen Ideen erweitert und variiert werden. Über die Bewegung erkennen die Teilnehmenden schnell Formabschnitte der Musik. Daran lassen sich differenziertes Hören und Formenkunde anschließen. Die Senioren haben großes Interesse an solchen theoretischen Inhalten, dazu gehören auch musikgeschichtliche Informationen. Die Musikbeispiele reichen von Alter Musik bis Neuer Musik und werden auch in einen Kontext mit Lyrik oder Bildender Kunst gestellt. Die Senioren lassen sich gespannt auf alles ein und staunen immer wieder über ihre eigenen musikalischen Möglichkeiten. Dies wird besonders deutlich beim Improvisieren mit Instrumenten und Bewegung.
Die Flexibilität, Neugier und Begeisterungsfähigkeit der Gruppe löste auch bei den Studierenden Staunen aus. Die Sorgen bezüglich des Alters der Teilnehmer hatten sich schon nach der allerersten Stunde aufgelöst. Hier muss angemerkt werden, dass die Situation in der Hochschule natürlich insofern besonders ist und sich von einer Musiziergruppe in einem Seniorenheim unterscheidet, als die Teilnehmenden im Durchschnitt jünger und fitter sind. Außerdem entsteht durch den ständigen Wechsel der Lehrpersonen über die Inhalte hinaus Abwechslung und Lebendigkeit. Manche Stunden werden beispielsweise von der gesamten studentischen Gruppe gestaltet und angeleitet. Dadurch ist es auch möglich, die Teilnehmenden in Kleingruppen aufzuteilen, etwa um Instrumentalspiel intensiv zu üben oder um Improvisationen zu erarbeiten und sie sich zum Schluss gegenseitig vorzuspielen.
Regelmäßige Rückmelderunden sorgen darüber hinaus dafür, dass die Lehrenden aus der Gruppe unmittelbar Lob und Kritik erhalten, um ihr Lehrverhalten zu verbessern. Die Senioren sind sich dabei bewusst, dass ihre Anmerkungen wichtig sind und ernst genommen werden. Sie genießen es, auf diese Weise den Studierenden auch etwas geben zu können und gehen sehr selbstbewusst mit der Tatsache um, dass sie „Versuchskaninchen“ sind, wie sie sich selbst manchmal bezeichnen. Eine weitere Besonderheit ist, dass alle Lehrenden und Studierenden am Gruppengeschehen aktiv teilnehmen. Es gibt normalerweise kein Zusehen vom Rand aus. Das hat auch den Vorteil, dass sich die Senioren nicht beobachtet fühlen, sondern sich vielmehr am gemeinsamen Musizieren mit den jungen Menschen erfreuen. Das gegenseitige Geben und Nehmen und Voneinanderlernen trägt auch dazu bei, dass die persönlichen Beziehungen zwischen Senioren, Studierenden und Lehrenden besonders herzlich sind. Die Arbeit mit „jüngeren“ Senioren ermöglicht den Lehrenden außerdem die Möglichkeit, Erfahrungen im Bereich einer breit gefächerten Erwachsenenbildung zu sammeln, die auch auf Fort- und Weiterbildungsangebote für weitere Zielgruppen übertragbar ist.
Von dem Kurs „Elementares Musizieren“ inspiriert, haben sich die Senioren nun weitere persönliche Wege zur Musik gesucht. Sie nehmen Klavier- und Gesangsunterricht, singen im Chor und besuchen häufiger Konzerte. Auch eine Stimmbildungsgruppe unter der Leitung einer Studentin ist daraus hervorgegangen. Das Fazit der Gruppenmitglieder war dennoch: „So eine tolle Mischung wie in der Elementaren Musikpädagogik bekommt man sonst nirgends.“