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Gesellschaftliche Teilhabe durch Kunst

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Kulturdezernentin Ina Hartwig im Gespräch mit Präsident Elmar Fulda
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Es war ein Treffen, das parallele Überzeugungen offenbarte: Hochschulpräsident Prof. Elmar Fulda lud Frankfurts Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig zu einem Gespräch über das Selbstverständnis von kultureller Teilhabe ein. Was die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK) im Leitbild verankert hat und durch offenen, kostenfreien Zugang zu vielen Veranstaltungen realisiert, findet sein Pendant im freien Eintritt für Studierende, Kinder und Jugendliche in die städtischen Museen Frankfurts. Hartwig und Fulda diskutieren, was ihnen wichtig ist: die Türen zu den unterschiedlichen Künsten für alle zu öffnen.

Prof. Elmar Fulda: Kulturelle Teilhabe war schon in den 1970er Jahren ein großes Thema. Da hieß es: Arbeiter und Kinder an die Kunst! Dazu gab es viele Initiativen: Stadtteilhäuser entstanden, um mit der Kultur aus den heiligen Tempeln zu den Menschen vor Ort zu gehen. Was ist aus Ihrer Perspektive seither passiert?

Dr. Ina Hartwig: Der Kunstbegriff hat sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt, denn Kunst hat glücklicherweise ihre Eigendynamik und tut, was sie für richtig hält. Was den Zugang zu ihr angeht, hat es in der Zwischenzeit so etwas wie ein „roll back“ gegeben. In Zeiten der kommunalen Finanznot sind die Zugänge teilweise wieder zurückgebaut worden. Ich bin froh, dass ich in meiner Amtszeit diese Entwicklung wieder umdrehen konnte: Ich arbeite konsequent an der kulturellen Teilhabe für alle. Mir ist es wichtig, Zugänge zu öffnen, damit Kinder und Jugendliche möglichst früh in Kontakt mit kulturellen Einrichtungen kommen und der Kunst ohne Schwellenangst begegnen. Ich bin davon überzeugt, dass das wachsende Selbstbewusstsein, das mit der frühen Beschäftigung von Kunst einhergeht, für die biografische Entwicklung der jungen Menschen prägend ist. In den 70er Jahren wurden diesbezüglich die richtigen Entscheidungen getroffen, an die ich anknüpfen möchte.

Fulda: War der Aufbruch damals nicht auch eine Illusion, verbunden mit emotionalem Überschwang? Stimmte die Annahme, dass es reichen würde, alle Türen der Kulturinstitutionen aufzumachen, damit alle mit Kunst in Berührung kommen? Kunst hat ja immer auch eine eigene Sprache, die man erlernen muss, und kann daher vertieft oft nur mit spezifischen „Sprachkenntnissen“ verstanden und genossen werden, oder?

Hartwig: Naiv und illusionär war der Ansatz durchaus. Er vollzog sich aber auch in einer gänzlich anderen Gesellschaft als der heutigen. Gegenwärtig haben wir es mit einer größeren sozialen Schere zu tun, zudem mit einer Einwanderungsgesellschaft. Das Miteinander ist bunter und vielfältiger geworden, damit einher gehen Chancen und Herausforderungen. Auch hat sich das Selbstbild der Kinder und Jugendlichen gewandelt. Ihre Behauptung, dass man Kunst anders rezipiert, wenn man das dazugehörige Handwerk – oder die Sprache – erlernt hat, ist sicher richtig. Aber ich beharre darauf, dass auch Laien Zugang zur Kunst haben sollen und können. Ein womöglich schwärmerisches oder naives Bild von Kunst ist doch in Ordnung. Ich verteidige den unbedarften Zugang.

Fulda: Wer ein Konzert für neue Musik anbietet, erreicht in der Regel eher ein Spezialistenpublikum. Wenn die gleiche Musik aber im Rahmen eines Blockbusters erklingt, hört ein Millionenpublikum zu und versteht sie! Nur weil der Rezeptionskontext ein anderer ist, wird die Musik auch anders akzeptiert. Es muss also darum gehen, den Rahmen für Kunstrezeption so zu gestalten, dass beides möglich ist: ein spontaner, intuitiver Kunstzugang sowie ein vertiefter, reflektierter. Beide Zugänge sind möglich, nötig und bestehen nebeneinander, siehe in der Oper, um einmal ein Beispiel aus meinem „früheren Leben“ als Opernregisseur zu nennen: Das, was die Regisseure und Kritiker an einer Inszenierung interessiert, ist häufig etwas anderes als das, was das Publikum bewegt.

Hartwig: Klar. Das Frankfurter Opernpublikum ist allerdings über viele Jahre und Jahrzehnte musik­ästhetisch gewissermaßen erzogen worden und bringt eine gewachsene Hör- und Seherfahrung mit. Die Ansprüche an experimentelleren Formen der Regie sind hier durchaus vorhanden. Wenn man den Frankfurtern mit einer zu konventionellen Inszenierung käme, würde das Publikum rebellieren.
Fulda: Und wie ermöglicht man dem Nicht-Stammpublikum einen niedrigschwelligen Zugang zur Kunst? Ich frage grundsätzlicher: Warum beschäftigen sich Menschen überhaupt mit Kunst? Ich glaube, sie tun es deshalb, weil sie dort etwas erleben wollen, was sie sonst nicht erleben.

Hartwig: Was Sie eben über die Rahmung gesagt haben, halte ich für einen klugen Ansatz. Wer nicht vom Elternhaus her gewohnt ist, ins Konzert zu gehen, für den kann ein Konzertbesuch unerwartet zu einer Offenbarung werden. Besonders kleinen Kindern sagt man ja nach, ein Sensorium dafür zu haben, Exzellenz intuitiv zu erkennen. Die andere Aufgabe jedoch ist es, ein Angebot für diejenigen bereitzustellen, die erst über einen Umweg den Zugang finden, weil der Konzertbesuch bei ihnen zunächst angstbesetzt ist oder als langweilig gilt. Sie muss man anders an die Hand nehmen, und dafür braucht man gute Pädagogen.

Fulda: Wenn nichts mehr selbstverständlich ist – und in unserer Gesellschaft ist eigentlich immer weniger selbstverständlich, eben als die Folge und vielleicht auch Kehrseite unserer Freiheit –, wird Vermittlung tatsächlich immer wichtiger. Und immer noch das direkte Erlebnis: Meine Tochter erlebte im Konzert eine junge Pianistin gleichen Alters und war baff, fand darüber einen Zugang zu einer Musik, die sie sonst eher selten hört. Es entstand ein unmittelbarer Eindruck, den ich für unersetzlich halte.

Hartwig: Das unmittelbare Erlebnis ist in der Tat ganz wichtig. Und deshalb freue ich mich, ein Kunstprojekt auf den Weg gebracht zu haben namens „You&Eye“, in dem Kinder und Jugendliche aus zwei Frankfurter Schulen – oft mit Migrationsgeschichte und aus nicht sehr begüterten Familien stammend –  das Angebot wahrnehmen, einmal in der Woche mit Künstlern zusammenzuarbeiten. Das Spektrum reicht von Musik und Malerei bis zu Gestaltung, Mode und Design. Die Kinder werden von fachkundigen freien Künstlerinnen und Künstlern angeleitet. Das Projekt ist ein großer Erfolg. Für Kinder und Jugendliche, für die Kunst und vieles andere nicht selbstverständlich ist, kann es ganz viel bedeuten, ein Vertrauensverhältnis zu jemandem aufzubauen, der ihnen kreative Freiräume bietet.

Fulda: Ein ähnliches Angebot ist „Musik Monat Mai!“, das unsere Hochschule alljährlich initiiert und zu dem sie alle großen Musikinstitutionen der Stadt an einen Tisch holt. 300 Musikerinnen und Musiker musizieren dabei für 4.000 Schülerinnen und Schüler aus 40 Frankfurter Schulen, besuchen sie in ihren Klassen oder laden sie in ihre Probenräume und Konzertsäle ein.
Hartwig: Das setzt die Stadt für Studierende fort: Die HfMDK profitiert seit Herbst letzten Jahres vom Kulturticket der Stadt Frankfurt. Ebenso mit dabei sind die Goethe-Universität sowie die University of Applied Sciences. Es ist ein Kooperationsprojekt mit den Studierendenvertretungen der Universitäten und ermöglicht über 60.000 Studierenden den kostenfreien Eintritt in 18 Frankfurter Museen. Darüber freue ich mich sehr, weil ich es sehr wichtig finde, dass es einen Austausch der Künste gibt.

Fulda: Denken Sie, dass es eine gesellschaftliche Aufgabe gibt, dass junge Menschen bestimmte Dinge kennenlernen sollten und müssten, auch wenn es gegebenenfalls zur Konfrontation von Wertevorstellungen kommt?

Hartwig: Ja. Und mir gefällt der Gedanke, dabei frei von Bedenken und ideologischen Vorgaben zu sein. Bemerkenswert ist übrigens, dass einige der aktuellen gesellschaftlichen und ethischen Debatten in den Museen abgebildet werden. Der Bedeutungszuwachs, den Museen gerade erleben, ist interessant. Tatsächlich sind Museen ein guter Erfahrungsraum, um die Beweglichkeit von kulturellen Gütern und künstlerischen Energien zu studieren, nämlich das Phänomen, dass kultureller Austausch  in der Geschichte noch nie vor Landesgrenzen Halt gemacht hat. Kunst geht über Grenzen, so wie die Menschen auch.

Fulda: Wir leben ja in einer Zeit, in der die Erfahrung mit dem Fremden von vielen negativ bewertet wird. Doch eigentlich muss man sagen, dass Kunst und Kultur sich immer aus der Begegnung mit dem Fremden speiste.

Hartwig: Ja, und vieles ehemals „andere“ ist längst zur eigenen Kultur geworden. Die Kaffeehäuser in Wien beispielsweise, sie sind ja bekanntlich durch die Türken „importiert“ worden und prägen heute das Straßenbild ganz Westeuropas.

Fulda: Kunst ist in meinem Selbstverständnis eine Kulturtechnik, die schon immer extrem wichtig war. Wir sollten daher als Künstler und auch Kunstinstitution sehr selbstbewusst sein, dass wir zur Gesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Wir tun das mit in Kunst gegossenen Zustandsbeschreibungen unserer Welt, und die bieten wir den Menschen an, damit sie sich daran reiben, teilhaben, dass sie sie kritisieren und ergänzen – dadurch entsteht ein Dialog. Wir als Hochschule führen solch einen Diskurs schon allein durch die vielen Menschen, die aus aller Welt mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen zu uns kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir ihn noch mehr nach draußen tragen und in die Stadtgesellschaft aktiver einbeziehen und umgekehrt als Ort der Verhandlung von gesellschaftlich relevanten Themen wahrgenommen werden. Aber vielleicht gelingt uns das ja, wenn wir in Bockenheim auf dem Kulturcampus sind, wenn dort ein neues Stadtquartier mit Wohnen, Forschen und Kunsterleben gewachsen ist.

Hartwig: Der Begriff der Kulturtechnik gefällt mir sehr. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht nur auf die Hochkultur kaprizieren, wobei ich diesen Begriff gar nicht verwende, denn: Was wäre das Gegenüber von Hochkultur, wenn es sie wirklich gäbe? Die Sphären von „E“ und „U“, wie man früher sagte, sind doch längst durchmischt. Die politische Botschaft zu diesem Thema ist für mich: Sich mit Kunst zu beschäftigen, bietet eine gute Möglichkeit, im Leben unabhängig zu sein.

Fulda: Ja, vielleicht ist das die faszinierendste Eigenschaft von Kunst: Freiheit des Geistes zu schaffen und darüber Menschen zu verbinden, Identität und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stiften! – Liebe Frau Hartwig, ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch!

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