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Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen

Untertitel
Eine Umfrage unter Studierenden dokumentiert zahlreiche Fälle von teils schwerwiegendem Machtmissbrauch
Vorspann / Teaser

Es sind 80 schwer verdauliche, vielfach erschütternde Seiten: Auf eine Anfang Juni 2023 vom Studierendenrat der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar online gestellte Umfrage hin waren bis Anfang März von über 160 Studierenden aus dem deutschsprachigen Raum mehr als 600 Vorfälle von Machtmissbrauch gemeldet worden. Indirekt öffentlich gemacht wurden diese Erfahrungsberichte durch die studentische „Initiative gegen Machtmissbrauch an Musikhochschulen“,  die sich ausgehend von der Weimarer Umfrage gebildet hat. Zu den Medien, die einen Großteil dieser Dokumente einsehen konnten, gehört auch die nmz.

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Das Spektrum der nicht nachprüfbaren, aber glaubhaft beschriebenen Fälle, bei denen Lehrpersonen ihre Machtposition missbrauchten, ist weit gefächert: Studierende sollten ihre Zeitpläne an die unregelmäßigen Unterrichtsangebote anpassen, wurden gegen ihren Willen in private Gespräche (auch über Dritte) verwickelt, bekamen flapsige bis sexistische Bemerkungen zu Kleidung und Aussehen zu hören und mussten statt konstruktiver Kritik demoralisierende bis erniedrigende Beurteilungen über ihre Fähigkeiten oder über sie als Persönlichkeiten über sich ergehen lassen. Auch das Überschreiten körperlicher Grenzen wird geschildert, der Großteil der Berichte handelt jedoch von unsensibler, schwarzer Pädagogik und von psychischem Druck, an dem einige der Betroffenen auch zerbrachen.

Im Gespräch mit zwei Vertreter*innen der Initiative ist zunächst einmal bezeichnend, dass diese ihren Namen nicht veröffentlicht sehen wollen. Sie möchten lieber nicht wissen, welche Folgen dies andernfalls im Studium oder im Musikbetrieb für sie hätte. Ihnen ist bewusst, dass es sich bei der Umfrage nicht um eine repräsentative, wissenschaftliche Studie handelt und dass manche sich möglicherweise deshalb nicht entschließen konnten, sich in diesem Rahmen zu öffnen. Sie gehen aber fest davon aus, dass es sich bei den Berichten nicht um bloße Einzelfälle handelt, sondern dass diese ein weit verbreitetes Klima widerspiegeln, das durch Hochschulstrukturen begünstigt wird: „Wenn kleine Entgleisungen nie Konsequenzen haben, sondern als scheinbar normal und tolerabel erfahren werden, entwickelt sich nach und nach auch Schlimmeres.“ 

Scheinargument Berufsalltag

Deshalb bekommt die Initiative auch viele positive Rückmeldungen von Betroffenen, die sich durch die Bericht­erstattung erstmals ernst genommen fühlen. Die Verantwortlichen sind dankbar, „dass das Thema als solches erkannt wird und eben nicht einfach nach dem Motto abgetan wird: Habt euch mal nicht so, stellt euch nicht so an!“ Mit dem Gang an die Öffentlichkeit hat es sich die Initiative nicht leicht gemacht. Man habe aber die Erfahrung gemacht, dass an Hochschulen oft versucht werde, Probleme intern, „im kleinen Kreis“ zu klären: „Für einzelne Fälle wird dann eine Lösung gefunden, nicht selten auch zulasten der betroffenen studierenden Person, aber grundsätzlich ändert sich nichts.“ 

Dem häufig als Rechtfertigung vorgetragenen Argument, die Studierenden müssten auf das vorbereitet werden, was im harten Berufsalltag auf sie zukäme, treten die Vertreter*innen der Initiative vehement entgegen: „Ich halte das für eine ganz schlimme Argumentation, gerade angehenden Musikern gegenüber“, sagt eine*r von ihnen und führt aus: „Natürlich wissen wir, dass es auch in Theatern oder Orchestern teilweise eine ungute Kultur gibt, miteinander umzugehen, oder dass Führungspersonen sich furchtbar verhalten können. Umso wichtiger wäre es, Studierenden beizubringen, wie man sich in diesem Machtgefälle auf eine gesunde Weise bewegen kann: Wie darf ich mich benehmen und wie nicht? Wie komme ich mit dem Leistungsdruck und den Anforderungen klar? Aber wie erkenne ich eben auch, an welcher Stelle Grenzen überschritten werden, die nicht überschritten werden dürfen?“

Forderungen der Studierenden

Schon Ende des vergangenen Jahres, also vor ihrer Presseoffensive, hat sich die Initiative gegen Machtmissbrauch – unterstützt von rund 40 Studierendenvertretungen – mit konkreten, ausführlich begründeten „Forderungen zur Prävention und Intervention“ an die einzelnen Rektorate und die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen (RKM) gewandt. Die Studierenden wollen unter anderem erreichen, dass Machtmissbrauch als strukturelles Problem erkannt und als solches auch angegangen wird, dass die Lehre, insbesondere der Einzelunterricht, verpflichtend evaluiert wird, dass Studierende umfassend über ihre Rechte sowie über Beratungs- und Anlaufstellen informiert werden und dass Lehrkräfte zu sensibilisierenden Weiterbildungen verpflichtet werden.

Sicht der Rektorenkonferenz

Christian Fischer, Rektor der Hochschule für Musik Trossingen und Vorsitzender der RKM, begrüßt gegenüber der nmz das hochschulpolitische Engagement der Studierenden. Es sei gut, dass jetzt ein gewisser Druck entstehe, um in einen konkreten Austausch zu gehen. Den Forderungskatalog bezeichnet er als ein „durchaus ausgewogenes Papier“, für das er Sympathien habe, bei dem er aber auch viele Deckungsgleichheiten mit den Empfehlungen der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sehe (siehe nmz 10/2023). 

Ausführlich diskutieren müsse man aber, was tatsächlich strukturelle Probleme seien, im Gegensatz zu Problemen der Sozialisation und des Charakters einzelner Lehrender: „Man muss“, so Fischer, „eine Kultur implementieren, in der klar ist, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten werden dürfen, selbst wenn man in einem Hochleistungsbereich unterrichtet“. Er betont aber auch: „Die Regel ist, dass wir Kolleginnen und Kollegen haben, die empathisch und sensitiv unterrichten.“

Was das Thema Evaluation betrifft, so gibt es Fischer zufolge die entsprechenden Instrumente längst. Es sei aber nicht so einfach wie bei großen Universitäten, wo man große Gruppen und per se eine Anonymität habe. „Wir müssen spezielle Formate entwickeln und da vermute ich, dass die Musikhochschulen noch unterschiedlich weit sind.“ In Sachen Anlaufstellen hat Christian Fischer von einigen Kolleg*innen die Erfahrung berichtet bekommen, dass die Studierenden über die vorhandenen Beschwerdestrukturen nicht immer Bescheid wüssten: „Was an Informationen rausgeht, wird oft nicht gelesen. Die Studierenden schauen nicht auf die Website, was wir anbieten und dann wird es nicht genutzt.“ Ein besonderes Problem sieht Fischer in der Ansprache von Studierenden aus Kulturkreisen, in denen es nicht üblich ist, Autoritäten zu hinterfragen: „Auch diese müssen wir empowern, den Mut aufzubringen gegebenenfalls ‚Stopp!‘ zu sagen.“ Kompliziert wird es, wenn es um dienst- und beamtenrechtliche Fragen geht, also darum, welche Verpflichtungen schon bei der Einstellung auferlegt werden können. Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Ländern könne die RKM hier meist nur Empfehlungen abgeben, so Fischer.

Es gibt also Gesprächs- und Handlungsbedarf und Christian Fischer bedauert, dass eine schon bei der RKM-Tagung im Januar diskutierte gemeinsame Antwort auf den Forderungskatalog noch nicht verabschiedet werden konnte. „Es gab dann den dringenden Wunsch, dass wir uns bei der Tagung im Mai noch einmal ausführlich in Präsenz damit beschäftigen.“ Bis dahin wird auch die wissenschaftliche Studie vorliegen, die das Institut für Praxisforschung und Projektberatung zu Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt an der Hochschule für Musik und Theater München erstellt hat und die am 18. April der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

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