„Wer will fleißige Handwerker seh’n...“ Kein einziger der Senioren im Kreis, der das Lied nicht mitsingen könnte. Auch die Kinder stimmen ein. In der Kita haben fast alle das Lied gelernt. Die meisten der Sechs- bis Neunjährigen wissen sogar ungefähr, was ein Handwerker ist. „Und euer Papa? Was macht der denn?“, fragt Barbara Metzger während der Intergenerativen Musizierstunde in die Runde. „Also, meiner macht was mit Computern“, sagt ein Junge. Worunter sich die Senioren wenig vorstellen können.
Vor 15 Jahren begann Barbara Metzger, Professorin für Elementare Musikpädagogik an der Musikhochschule Würzburg, sich mit generationenverbindendem Musizieren zu beschäftigen. In jedem Sommersemester begeben sich seither einige ihrer EMP-Studierenden in ein Altersheim nahe Würzburg, um mit Senioren sowie Kindern einer benachbarten Förderschule zu musizieren. Eine Menge Erfahrung zum „Intergenerativen Musizieren“ kam in den letzten eineinhalb Jahrzehnten zusammen. Dieses Wissen will Barbara Metzger nun weitergeben: Seit Jahresbeginn berät sie Musikschulen, die in das Thema „Intergeneratives Musizieren“ einsteigen möchten.
Im Zeitalter der Inklusion sind Musikschulen nach Metzgers Überzeugung verpflichtet, Menschen in allen Lebensphasen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Also gerade auch im Alter. Das geschieht im Sinne der Inklusion am besten so, dass die Generationen miteinander verbunden werden und voneinander lernen können. „Es geht also nicht um generationen-übergreifende Angebote“, verdeut- licht die Professorin. Denn allein die Tatsache, dass Jung und Alt in einem Raum zusammenkommen und gleichzeitig etwas tun, etwa ein Blasinstrument spielen oder singen, heißt noch lange nicht, dass man viel voneinander erfährt.
Die meisten Elementaren Musikpädagogen sind heutzutage so flexibel ausgebildet, dass sie sowohl mit Senioren als auch mit Kindern musizieren können. Musikschulen, die intergenerative Angebote außerhalb ihres eigenen Hauses, etwa in einem Altenheim, auf die Beine stellen wollen, stehen dennoch vor vielen Fragen. Das beginnt bei der Organisation: Wer soll in das neue Angebot eingebunden werden? „Es ist wichtig, dass sowohl von Seiten der beteiligten Schule als auch von Seiten des Altenheims eine verantwortliche Person bei den Musizierstunden dabei ist“, sagt Metzger. Denn es kann durchaus zu heikleren Situationen kommen, die gut aufgefangen werden müssen. Metzger erinnert sich an eine Musizierstunde, an der eine Seniorin aus der Kurzzeitpflege neu teilnahm: „Sie saß im Rollstuhl und hatte keine Beine mehr.“
Die Kinder waren weniger geschockt als neugierig: „Sag mal, wo sind denn deine Beine geblieben?“ Zum Glück hatte die Seniorin gut damit umgehen können: „Wisst ihr, die waren krank, deshalb sind sie jetzt nicht mehr da.“ Die Sache hätte aber auch anders ausgehen können. Dann wäre es wichtig gewesen, dass die Lehrkraft das Thema „Behinderung“ nach der Musizierstunde mit den Kindern aufgearbeitet hätte.
Intergenerativ zu musizieren bedeutet, die Stunden so vorzubereiten, dass wirklich alle voneinander lernen können. In der Stunde, als der kleine Junge von seinem Vater, dem Computerfachmann, erzählte, ging es um das Thema „Berufe“. Über Geschichten und Lieder lernten die Kinder Handwerksberufe kennen. Die Senioren tauchten in die Welt der künstlichen Intelligenz ein. „Wir ahmten nach, wie sich Roboter bewegen“, schildert Metzger. Das taten nicht nur die Kinder. Auch die Senioren wurden zu eckigen, roboterhaften Bewegungen animiert. Was allen viel Spaß machte.
Vor zwei Jahren begann Barbara Metzger, ihre bis dahin gesammelten Erfahrungen auch auf andere Musikbereiche zu übertragen. Denn intergeneratives Musizieren funktioniert nicht nur in der Elementaren Musikpädagogik, sondern auch im Instrumental- und Vokalbereich. Zusammen mit ihrer Kollegin Barbara Busch von der Würzburger Musikhochschule konzipierte sie eine berufsbegleitende Fortbildung für Musiklehrkräfte.
Im April 2016 wurde eine erste Fortbildung als Pilotprojekt unter dem Titel „Intergeneratives Musizieren – Einblicke in ein neues musikpädagogisches Arbeitsfeld“ für Musiklehrkräfte an der Bundesakademie in Trossingen angeboten. Aktuell werden die gewonnen Erfahrungen ausgewertet. Für Dezember 2019 ist eine zweite Fortbildung geplant. Gleichzeitig engagiert sich Metzger deutschlandweit dafür, dass sich Musikpädagogen für das Arbeitsfeld „Musizieren mit Älteren“ fit machen können. Ab März 2018 organisiert der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen einen neuen Zertifikatskurs, an dem Metzger konzeptionell und als Dozentin beteiligt ist. Die Teilnehmer erfahren, wie sich demenzielle Erkrankungen auswirken, welche Sinnesbehinderungen im Alter häufig auftreten und was musikdidaktisch beim Musizieren mit Kindern und Senioren beachtet werden muss.
Breiten Raum nimmt die Musikpraxis ein, angefangen von der Liedgestaltung über Sitztänze bis hin zur Einführung in das Spiel mit der Veeh-Harfe. Der Kurs findet an sieben Wochenenden statt und umfasst 112 Stunden. Wer die Prüfung besteht, erhält das Zertifikat als „Musikgeragoge“ der Fachhochschule Münster und der drei bayerischen Musikhochschulen.