„Kennen Sie Brahms?“ Unter diesem Motto in Anlehnung an den Romantitel „Lieben Sie Brahms?“ von Françoise Sagan lädt die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig zu einem Zyklus von zehn Abenden ein. Von Februar bis Dezember 2008 wird das komplette Kammermusikwerk von Johannes Brahms aus Anlass seines 175. Geburtstages erklingen.
Das Vorhaben ist einmalig in der langen Geschichte der Hochschule und vereint Studierende und Lehrende der Fachrichtungen Dirigieren/Korrepetition, Klavier, Streichinstrumente und Blasinstrumente als Interpreten in dieser ehrgeizigen Aufgabe. Die einzelnen Programme werden bereichert durch Einführungsvorträge und Lesungen aus Briefen und Zeitdokumenten. Von dem Scherzosatz der F-A-E-Sonate (1853) bis zu den beiden Klarinettensonaten op. 120 (1894) werden sämtliche 24 (bzw. 25) Werkschöpfungen von den Duosonaten für Violine, Violoncello und Klarinette über die Klaviertrios und -quartette und das Klavierquintett, die Streichquartette, -quintette und -sextette bis zum Klarinettentrio und Klarinettenquintett erklingen.
Das Anliegen der Veranstalter ist es, neben den häufig gespielten Werken wie den drei Streichquartetten, dem Klavierquintett, den Violin- und Violoncellosonaten die ganze Ideenwelt der Brahms’schen Kammermusik zu erschließen. Die Kammermusik stand zeitlebens im Zentrum seines kompositorischen Schaffens; von ihr aus erschloss er sich auch die große sinfonische Form. Brahms sah sich hineingestellt in den ästhetischen Meinungsstreit, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen „Neudeutschen“ und „Konservativen“ entbrannt war. Heute hat man längst erkannt, dass er die aus der Wiener Klassik tradierten Gattungen auf ganz eigenständige Weise weiterentwickelte und so auch die Brücke zum 20. Jahrhundert schlug. Es war Arnold Schönberg gewesen, der als einer der Ersten auf zukunftsweisende Tendenzen im Werk von Brahms in seinem bedeutsamen Vortrag „Brahms, der Fortschrittliche“ von 1933 hingewiesen hat und damit dem Klischee vom konservativen Brahms entgegengetreten ist. Es war gerade die angeblich überholte, wenn nicht sogar schon totgesagte Kammermusik, von der um und nach 1900 die Musikentwicklung, insbesondere die Zweite Wiener Schule, neue Impulse empfing.
Inzwischen fand am 1. Februar im Großen Saal der Leipziger Hochschule das gut besuchte Eröffnungskonzert statt. Der elfjährige Elin Kolev aus der Kinderförderklasse imponierte mit dem auswendigen Vortrag des Scherzos aus der F-A-E-Sonate, souverän begleitet von Julian Dreßler. Mit der Interpretation des H-Dur-Trios op. 8 (2. Fassung) lösten der Franzose Olivier Lioansi (Klavier), der Argentinier Rodrigo Bauza (Violine) und die Zwickauerin Marie-Elisabeth Hecker (Violoncello) wahre Begeisterungsstürme aus. Den krönenden Abschluss bildete dann das Klavierquintett f-Moll op. 34 in ebenfalls internationaler Besetzung: Am Klavier die aus Istanbul stammende Serra Tavsanli, die Amerikanerin Paige Kearl und die Südkoreanerin Eun-Ji Angela Kim saßen am Pult der Violinen, Amanda Anderson aus Kanada spielte den Violoncellopart. Ebenfalls eine ganz hervorragende Leistung! Diese Internationalität prägt heute, fast zwei Jahrzehnte nach dem Fall von Mauer und Eisernem Vorhang, das Bild der Leipziger Hochschule für Musik und Theater, einst 1843 von Mendelssohn als ältestes deutsches Konservatorium gegründet, dem schon zu Brahms’ Zeiten die studierfreudige, musikalische Jugend aus Europa und Amerika zuströmte. Ein verheißungsvoller Auftakt jedenfalls war es!
Idee, Konzeption und Leitung der Veranstaltungsreihe liegt in den Händen von Serra Tavsanli, Prof. Hanns-Martin Schreiber und Prof. Dr. Johannes Forner, der auch für die Einführungen und Textlesungen verantwortlich zeichnet.