„Welche Stücke von einer Komponistin haben Sie schon gespielt?“ – In der Welt der klassischen Musik ist es üblich, Werke von Komponisten zu spielen, beispielsweise von Gustav Mahler, Robert Schumann, Felix Mendelssohn und Gustav Holst. Aber was ist mit ihren Frauen, ihren Schwestern oder ihren Töchtern: Alma Mahler-Werfel, Clara Schumann, Fanny Hensel oder Imogen Holst? Wir hören nicht nur ihre Musik viel zu selten, sondern grundsätzlich die Musik von Komponistinnen.
Hear her!
Als ich mir selbst diese Frage gestellt habe, musste ich ertappt innehalten. Danach kam ein Gefühl der Fassungslosigkeit, als ich erkannte, wie wenig Werke von Komponistinnen mir in den Kopf kamen und vor allem wie selten ich selbst Kompositionen von Frauen gespielt hatte.
Deshalb entschloss ich mich, mein Antrittskonzert als Professorin für Trompete, Blechbläserkammermusik und -didaktik an der Hochschule Osnabrück unter dem Titel „hear her” zu veranstalten – ein Konzertabend, an dem ausschließlich Werke von Komponistinnen erklingen würden.
Im Programm präsentierten wir Kompositionen der deutschen Prinzessin Anna Amalia von Preußen, der weltberühmten Russin Sofia Gubaidulina, von Denise Roger aus Frankreich, der Walliserin Grace Williams, der Amerikanerin Joan Tower und der jungen deutschen Kathrin Denner. Zusammen mit den Trompeterinnen Noemi Makkos (Staatskappelle Berlin), Marina Fixle (Staatsorchester Darmstadt), Cecile Glemot (Sydney Symphony Orchestra), der Pianistin Hanna Kim sowie Studierenden meiner Trompetenklasse der Hochschule Osnabrück und als weitere Gäste die japanische Trompeterin Michiko Sugizaki und der australische Trompeter Michael Olsen gestalteten wir einen einzigartigen Konzertabend.
Die Reaktionen auf das Konzert waren bewegend. Meine Mitspielerinnen, Studentinnen und Konzertbesucherinnen waren vom „hear her”-Projekt begeistert. Aber nicht nur sie, sondern auch meine männlichen Studenten, Kollegen und Zuhörer. Was aber völlig unerwartet kam, war die Vehemenz, die das Projekt in mir ausgelöst hat. Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu diesen Werken, diesen Frauen gespürt. Ich fühlte mich gestärkt, verstanden, frei und wollte nicht aufhören, noch mehr Stücke von Frauen für Trompete und andere Blechblasinstrumente zu entdecken, zu üben und aufzuführen.
Ich überlegte: Würden Studentinnen dieses Gefühl von Empowerment auch spüren, wenn sie öfter Werke von Frauen spielen würden? Könnten sie vielleicht sogar in ihren musikalischen Stimmen noch aussagekräftiger werden? Könnte sie das auf ihrem musikalischen und beruflichen Weg stärken?
Am Institut für Musik leben die Ideen und Impulse des Projektes „hear her” weiter. Dadurch haben wir in den letzten Semestern spannende Entwicklungen erlebt. Studierende spielen viel öfter Werke von Komponistinnen und recherchieren sogar selbst nach Stücken von Frauen. Sie legen bei der Programmauswahl und Gestaltung ihrer Examenskonzerte Wert auf mehr Abwechslung von männlichen und weiblichen Komponist*innen und auch Künstler*innen. Nicht nur die Trompetenklasse, sondern auch andere Klassen beschäftigen sich mit Komponistinnen, die Musik für ihre Instrumente geschrieben haben.
Und nicht zuletzt in den Bachelorarbeiten, die die Studentinnen schreiben, zeigt sich: Sie haben keine Scheu, über weibliche Themen in der Musik zu schreiben.
Mit Begeisterung schaue ich auf Projekte wie das studentisch organisierte „Feminale” Festival an der HfMT Hamburg oder das von Prof. Dr. Lena Haselmann-Kränzle (ehemalige Professorin für Klassischen Gesang an der Hochschule Osnabrück) ins Leben gerufene „Voices of Women“-Projekt an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Dadurch habe ich große Hoffnung, dass die Entwicklung der intensiven Beschäftigung mit Werken von Komponistinnen der Vergangenheit und Gegenwart sich an vielen Musikhochschulen in Deutschland weiter fortsetzt.
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