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Das „Lübecker Modell“ verzahnt Klassik und Popularmusik
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Die kulturelle und ökonomische Eigendynamik der Popularmusik hat in den letzten Jahrzehnten zu Werteverschiebungen geführt. Nicht nur durchdringen Elemente aus Jazz, Tango, Klezmer, Rock oder Folklore zeitgenössische Kompositionen, sondern auch die Gestaltung dieser Genres selbst hat sich in der Musikausbildung etabliert. An der Musikhochschule Lübeck (MHL) können Studierende, horizontal zu allen Studiengängen, Module aus dem Bereich Popularmusik wählen und entsprechende Bachelor- und Masterabschlüsse erwerben.

Beginn und Konzept

Popularmusik und ihre Stilmittel sind heute selbstverständlicher Bestandteil der Musikvermittlung wie auch der klassischen Programmplanung. Mit der Berufung von Bernd Ruf als Professor für Popularmusik, Jazz und Weltmusik nahm die MHL das Thema 2004 auf ihre Agenda. Von vornherein war klar, dass Popularmusik nicht wie andernorts einen unabhängigen Status haben, sondern vorhandenen Ausbildungsprofilen zugeordnet werden sollte. Deshalb entwickelte Bernd Ruf ein Konzept, das Popularmusik als Querschnittsmodule in die klassischen Studiengänge integriert. Ihre Geschichte, Theorie und Praxis (Improvisation, Gehör- und Gesangsbildung und verschiedene Konstellationen aus Pop, Weltmusik und Jazz) können nun komplementär studiert werden. Die MHL bezeichnet ihr Konzept als „Lübecker Modell“, weil es in dieser Form eine Besonderheit in der deutschen Musikhochschullandschaft ist.

Revuen in Eigenverantwortung der Studierenden

„An der MHL sind die Strukturen durchlässig“, sagt Bernd Ruf. „Klassische und populäre Genres sind in der Ausbildung verzahnt.“ Künstlerische Bilanzen dieser Interdisziplinarität und Vernetzung der Sparten sind zum Abschluss jedes Sommersemesters unter anderem öffentliche Revuen. Sie haben jeweils bestimmte Sujets, so war 2016 unter dem Motto „Irgendwo auf der Welt“ dem Repertoire der 1920er- Jahre gewidmet. „Diese Musik war zwar populär, dennoch im Gesangs- als auch Instrumentalstil von klassischen Komponenten geprägt. So konnten sich auch klassisch ausgebildete Sängerinnen und Sänger in den Hauptrollen und das gemischt besetzte Hochschulorchester angemessen darstellen“, erzählt Ariane Jahn. Und Katharina Schwerk ergänzt, dass Bachelor of Arts-Studierende, also angehende  Musikvermittler nicht nur in den Planungsteams für die Revues mitarbeiten und auf der Bühne mitspielen, sondern die Songs selbst arrangieren, die Proben leiten und sogar dirigieren, also eine große Verantwortung übernehmen. Dennoch: stets werden diese Aktivitäten von Bernd Ruf und anderen MHL-Dozierenden angeleitet, die die Studierenden beraten und unterstützen. „So zu lernen, ist für uns sehr angenehm“, sagt Katharina Schwerk. Die beiden angehenden Musikpädagoginnen studieren im 8. und 9. Fachsemester im Studiengang „Musik Vermitteln“ an der MHL mit dem Schwerpunkt Popularmusik. Zusätzlich zur pädagogischen Tätigkeit sehen sie sich weiterhin selber auf der Bühne und möchten ihre eigene Musik weiterverfolgen. „Durch die Vermittlung von Popularmusik findet man schnelle Anknüpfungspunkte zur Lebens- und Musikwelt der Schüler. Und der Popgesang hat mich darin geschult, selbstbewusst vor einer Gruppe von Menschen aufzutreten - eine Schulklasse macht da keine Ausnahme“, fasst Ariane Jahn die sich gegenseitig befruchtende Wirkung von Schulerfahrung und eigener künstlerischer Betätigung zusammen.

Eigene Bands und künstlerische Authentizität

In diesem Kontext entstanden sukzessive semiprofessionelle und professionelle Gruppen wie die MHL-Big Band, das Gamelan Ensemble, Projeto do Samba, The Lübeck Jazz Strings und mit mehreren publizierten Alben als bisher erfolgreichste die Klezmer-Band „Yxalag“. Deren sieben Musiker repräsentieren par excellence das „Lübecker Modell“: sie haben klassisch studiert, dann Jazz oder Klezmer als Schwerpunkt gewählt und sind mittlerweile in Orchestern wie den Münchner und Lübecker Philharmonikern und beim RSO Berlin erfolgreich. „Wenn jemand das klassische und das populäre Genre zugleich bedienen kann, bedeutet das in schwierigen Zeiten für Musikberufe so gut wie eine Arbeitsplatzgarantie nach dem Studium“, ist sich Bernd Ruf sicher. Auch Ariane Jahn ist mit ihrer Band „Never Come Rain“ an der Schwelle, sich professionell auf dem Markt zu präsentieren, ein Video ist bereits produziert und das Debütalbum geplant. Als Sängerin und Songwriterin künstlerische Authentizität zu erreichen“, beschreibt sie als ihr nicht einfach zu erreichendes Ziel. „Mir Repertoire von anderen anzueignen und zu singen, ist manchmal schwierig, aber die größere Herausforderung ist es, eigene Lieder zu gestalten, die aus mir herausgekommen sind. Das ist viel aufregender und ich habe mehr Lampenfieber, weil ich mich nicht mehr verstecken kann. Durch solche Erfahrungen bin ich aber selbstbewusster geworden.“ Ein Gefühl von Unbehagen empfindet Katharina Schwerk, wenn sie auf der Bühne steht: „Dann kann es passieren, dass ich mich steif und unbeweglich fühle, obwohl ich gerne die Emotionen der Musik ohne Fassade vermitteln möchte. Schauspielunterricht könnte mir sicher helfen, souveräner zu werden.“ Um diesem Ziel näher zu kommen, nimmt Katharina Schwerk an einem akademischen Austauschprogramm mit dem McNally Smith College in St. Paul (Minnesota, USA) teil, mit dem die MHL kooperiert. Die junge Musikerin erwartet, dort neue Perspektiven und andere Methoden kennen zu lernen und sich persönlich weiter zu entwickeln.

Popularmusik im Schulunterricht  

Eine gewichtige Option im Bereich Popularmusik ist das Lehramt. Abgesehen von Gymnasien, ist klassische Musik in anderen Schulformen nach Einschätzung von Bernd Ruf bestenfalls ein rudimentäres Thema. Im Bewusstsein der jungen Lehrergeneration und der Schüler ist gemäß des Zeittrends Popularmusik dominant. „Jetzt“, meint Bernd Ruf, „geht es um ein Gesamtverständnis der Musik und eine kritische Distanz zu dem, was wir hören. Es ist nicht einfach, dieses heterogene Repertoire zu vermitteln, wenn die Grundlagen dafür bei Schülerinnen und Schülern fehlen.“ Einige Erfahrungen gibt es schon. Obwohl die Studierenden über die mangelnden Noten- und Instrumentalkenntnisse der siebten Klasse an einer Lübecker Gemeinschaftsschule zunächst erschrocken waren, gelang es durch Motivations- und Disziplinarbeit, vier Bands zu formen. Sie studierten jeweils einen, ihnen vertrauten Chartsong ein und führten ihn bei einem Schulkonzert sogar respektabel auf. Ein aktuelles Projekt in progress ist das Musical „Elvis - Follow That Dream“, das am Ostsee Gymnasium Timmendorfer Strand seit Oktober 2016 mit Schülerinnen und Schülern aus drei Jahrgangsstufen vorbereitet und am 17. Mai 2017 Premiere haben wird. Zuerst einigten sich die Studierenden auf eine Geschichte, die von der Ära des Post-Faschismus und Rassismus einen Bogen zur Flüchtlingsmigration der Gegenwart schlägt. Sie schrieben das Libretto, suchten Songs der Zeit, arrangierten sie und organisierten eine Schülerband mit Streichern und Bläsern. Jetzt betreuen sie die Gesangsproben der Solisten und kümmern sich um die Choreographie der Tänze. Die Studierenden konnten in diesem komplexen Projekt nicht nur ungeahnte Talente entdecken, sondern auch nachhaltige pädagogische Erkenntnisse sammeln, nämlich welche große Dimension so ein Musical für Schüler hat und welche Energie notwendig ist, ihnen die Songs beizubringen und sie zu regelmäßigem Probenbesuch zu motivieren. Das waren und sind für alle Beteiligten wertvolle Erfahrungen.

Resümee

Die Facetten der Popularmusik haben eine breite Resonanz und Wirkung. Indem in der MHL die Spartenabgrenzung durchbrochen wird, können Studierende sich Qualifikationen auf allen Ebenen erwerben. Das Niveau, wenn sie sich für Popularmusik als Schwerpunkt oder Ergänzung ihres Studiums entscheiden, ist dabei in jeder Hinsicht vergleichbar mit der klassischen Ausbildung. In zahlreichen eigenständig konzipierten Projekten können sich die Studierenden praktisch bewähren. Darüber hinaus haben sie die Chance, sich entweder mit eigenen Bands zu profilieren oder im Lehramt für die Musik bewusstseinsfördernde Projekte und Unterrichtseinheiten kreativ zu gestalten. Dabei soll Popularmusik keine Konkurrenz oder gar ein Ersatz für die Rezeption klassischer Werke sein, sondern im Gegenteil dazu beitragen, das Interesse daran überhaupt erst wieder zu wecken. Das „Lübecker Modell“ zum Studium der Popularmusik bietet dafür die besten Voraussetzungen.

Überblick zum „Lübecker Modell“

Popularmusik (Pop, Rock, Jazz, World Music) ist wie folgt in die klassischen Studiengänge integriert:
• Bachelor of Arts (Musik Vermitteln) / Bachelor of Music (Musikpraxis) mit dem Profil Popularmusik ab dem 3. Studienjahr
• Master of Education (Musik Vermitteln) / Master of Music, Musikpädagogik mit dem Profil Popularmusik
• Hauptfachinstrument oder Gesang aus der Popularmusik in den Studiengängen Bachelor of Arts (Musik Vermitteln), Master of Education (Musik Vermitteln) und Master of Music (Musikpädagogik)
• Ensembles und Wahlfächer aus Popularmusik-Theorie, -Wissenschaft, -Praxis in allen Studiengängen
Terminplan
einiger aktueller Projekte

• Mai bis Juni 2017: Bands der Musikhochschule Lübeck spielen in der „Mass“ von Leonard
Bernstein, einer Produktion des Theaters
Lübeck
• 1. / 2. Juli 2017: Rock-Revue
„Stairways To Heaven“ an der MHL
• 16. Juli 2017: Musical-Gala mit den
Popgesangsklassen, dem Pops-Chor und
Bands der MHL, eine Kooperation mit
den Eutiner Festspielen
• Oktober 2017: Taiwan-Tour der MHL-Big Band, Einladung zum Taichung Jazzfestival
• November 2017: Tango-Projekt mit dem Bandoneon-Meister Raul Jaurena

www.mh-luebeck.de

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