Wer das Wort Bundeswehr hört, denkt an Waffen, den Ukraine-Krieg, Auslandseinsätze und Tarnanzüge. Natürlich, das gehört alles dazu. Aber die Truppe hat auch eine musische Seite. Bei der Bundeswehr kann man sich auch zum Musiker oder zur Musikerin ausbilden lassen. Das ermöglicht das Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr in der Waldkaserne in Hilden, das eng mit der Robert Schumann Hochschule zusammenarbeitet.
Kameradschaft ist einfach ein großes Wort
Sanft näselnd taucht die Musik auf aus der Stille. Die Melodie schwingt sich auf, gewinnt an Fahrt und benimmt sich schon bald wie eine Kugel im Flipper. Mal schießt sie in die Höhe, dann gibt sie sich höchst kapriziös. Es ist Musik von Paul Creston, die da auf dem Notenpult von Kiara-Joy Molitor liegt. Bei seiner Sonate für Altsaxophon muss man sich das begleitende Klavier allerdings mitdenken, wenn die junge Musikerin ihre Stimme probt. „Es gibt Standardliteratur, die jeder mal gespielt haben sollte. Und dieses Stück gehört dazu. Es macht sehr viel Spaß zu spielen, ist aber manchmal nicht sehr spaßig zu üben.“
Für Molitor ist es zunächst ungewohnt gewesen, sich beim Spielen im Spiegel zu beobachten. Egal, welchen der über 90 Überäume im Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr man betritt, man begegnet sich selbst. „Der Spiegel ist sehr wichtig. Habe ich zuerst auch nicht gedacht. Das ist für mich etwas ganz Neues gewesen, beim Saxophon auf die Fingerhaltung und die Mundhaltung zu achten. Doch das bringt einen sehr weit nach vorne.“
In das elegant geschwungene, golden schimmernde Instrument hat sich Kiara-Joy Molitor in der Bläserklasse ihrer Schule verliebt. „Und dann bin ich schnell in unseren Musikverein im Dorf gekommen, wo ich meine Fähigkeiten verbessern konnte. Auf die Bundeswehr bin ich durch den Dirigenten unserer Dorfkapelle aufmerksam geworden, er hat mich auf Konzerte mitgenommen.“
Im Jahr 2018 hat das Ausbildungsmusikkorps innerhalb der Hildener Waldkaserne neue Gebäude bezogen. Ein sechseckiger Kubus bildet das Herzstück. „Ich persönlich sage immer: Die Hildener Philharmonie“, meint Oberleutnant Paul Stöher, Musikdienstoffizier im Musikkorps. „Unser Zentrum ist natürlich der große Probesaal mit der goldenen Fassade.“ Dazu gesellen sich ein Unterkunftsgebäude in rotem Backstein für bis zu 140 Lehrgangsteilnehmende.
Klangsegel und Tonstudio
Im großen Probenraum finden auf dem Podium alle Besetzungen Platz, von der Kammermusik bis zum 80 Mann und Frau starken sinfonischen Blasorchester. Die akustischen Ergebnisse von Proben und Konzerten können in einem externen Tonstudio überprüft und aufgezeichnet werden. „Das ist ein hochmoderner, professionell ausgesteuerter Raum, alles genau ausgemessen für unsere Bedürfnisse. An der Decke sind Klangsegel, die den Schall reflektieren, damit die Musiker sich auch gut hören. Ich selber habe als Dirigent die Erfahrung machen können, dass jedes Instrument zentriert wird und gut beim Dirigenten ankommt“, meint Paul Stöher. An den großen Probenraum grenzt der lichtdurchflutete Kammermusiksaal. Ein Ort der Prüfungen, aber auch der Konzerte. „Hier haben wir Platz für bis zu 80 Besucher.“
Kiara-Joy Molitor mag diesen Raum sehr. Hier hat sie ihre Aufnahmeprüfung absolviert, hier wird sie auch ihre Feldwebelprüfung ablegen, nach 5 Jahren. „Und dann bin ich offiziell Musikfeldwebel. In dieser Laufbahn verpflichtet man sich 13 Jahre. Das fand ich super, weil ich weiß, dass ich dreizehn Jahre einen festen Platz haben werde. Neben dieser Feldwebelprüfung hat man dann noch diese ganz normale Bachelor-Prüfung im Studium, das wird dann direkt hintereinander passieren.“ „Die Dozenten von der Hochschule kommen hierhin“, erläutert Molitor, „oder man fährt nach Düsseldorf, wo man dann Hauptfachunterricht bekommt, also Unterricht auf seinem Instrument“. Zusätzliche Kurse können an der Hochschule belegt werden, ansonsten laufen die Prüfungen so wie dort gewohnt.
In den 32 Ensembleräumen des Ausbildungsmusikkorps warten die wertvollsten Instrumente auf die Studenten und Studentinnen. Die Bundeswehr stellt sie ihnen zur Verfügung, wenn nötig auch alle anderen, die zur Ausbildung erforderlich sind. Hier kann jeder studieren, auch wenn er sich zu Beginn der Karriere noch keine teuren Instrumente leisten kann. Klavierspielen können ist für das Studium an der Hochschule verpflichtend. Voraussetzung für eine Einstellung bei der Bundeswehr ist es nicht.
Mit Kompass und Karte
An manchen Tagen fährt man zur Hochschule. Dann kommen natürlich die Ensemblearbeiten dazu und die Orchesterproben. Es gibt allerdings einen sauren Apfel, in den alle Studierenden beißen müssen. Er nennt sich Grundausbildung: Kompass, Karte, Leben im Felde, Waffenputzen und Schießen. „Zum Glück konnte man das mit dem Musizieren gut verbinden“, erinnert sich Molitor. „Da wurde Rücksicht drauf genommen: OK, das sind Musiker, die müssen trotzdem noch ihr Instrument spielen. Im Nachhinein fand ich das alles super. Kameradschaft ist hier einfach ein großes Wort. Das hat in der Grundausbildung angefangen, besteht aber später immer noch weiter und wird auch immer so bleiben.“
Für angehende Musiker ist in der „freien Wildbahn“ die Konkurrenz groß und das musikalische Dasein nicht selten prekär. „Witzigerweise ist das eines der Dinge, warum ich überhaupt hier bin“, meint Molitor. „Hier in Hilden gibt es das nicht. Jeder hat seinen gesicherten Platz, deswegen braucht man hier kein Ellenbogenverhalten. Jeder möchte sein Bestes geben.“
Auch die Musikkorps der Bundeswehr halten derzeit nach Nachwuchs Ausschau. Für die vielbeschworene „Generation Z“ – wenn es sie denn gibt – wäre eine Musikausbildung in Hilden der ideale Deal. Monetäre Sicherheit, keine Karrierekämpfe, vernünftige Work-Life-Balance: Darauf ließe sich ein Leben gründen. Und vielleicht gibt es so manchen, der wie Kiara-Joy Molitor hier das Hobby zum Beruf machen kann.
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