Hamburg - Rolf Zuckowski hat als Kind noch auf der Straße gespielt. «Wir haben Orte ganz selbstverständlich zu Spielplätzen gemacht», erinnert sich der Kinderliedermacher an sein Heranwachsen in den 50er Jahren in Hamburg. Heute mache das schnelle Streben nach Erfolg in der Gesellschaft nicht mal vor der Generation von morgen halt. «In einer rasant dahinschwindenden Kindheit sind gute Kinderlieder Wurfanker in eine Zukunft», sagt Zuckowski. Der 62-Jährige und weitere 150 Musiker, Komponisten und Texter treffen sich ab Freitag (25. September) zum Kinderlied-Kongress in Hamburg, der sich auch mit der Veränderung der Kindheit befasst.
Stephan von Löwis und der Verein KinderKinder veranstalten die nach 1998 und 2001 dritte Auflage des Kongresses. In den vergangenen zehn Jahren sind Kinderliedfestivals etwa in Nürnberg und Kiel gegründet worden und haben neue Künstler bundesweite Bekanntheit erlangt. Wie für Zuckowski ist es für Löwis zur Lebensaufgabe geworden, Kinder an Musik und Theater heranzuführen. «Kultur hilft, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu reifen», sagt er. Kämen Mädchen und Jungen damit in Berührung, «verändern sich ihre Augen, ihre Stimmung, ihre ganze Ausstrahlung». Dann seien sie wach und lebendig, ganz bei sich, voller Freude und nicht gelangweilt.
Um diesen schrumpfenden Entfaltungsraum zu schützen, prangern Kinderliedermacher die gesellschaftliche Entwicklung an. «Unseren Kindern kommt immer mehr und früher die Kindheit abhanden», sagt Linard Bardill. Der Schweizer hat polarisierende Thesen zu Verlust und Wiederentdeckung der Kindheit formuliert, die sich auch in der Forschung wiederfinden: So hat der Nachwuchs laut Studien immer weniger Freiräume, in denen er mit anderen Kindern spielen und entdecken kann. Immer mehr Kinder bewegten sich zu wenig, würden vor diverse Bildschirme gesetzt. Zudem fehlten Kindern Bezugspersonen, die außerhalb der Kleinfamilie lebten und ihr Dasein mitgestalteten.
Laut Löwis werden Kinder weitgehend verplant, fern jeder Fantasie und Unbekümmertheit. Statt auf der Wiese nebenan zu kicken, spielten sie Fußball im Verein. «Die Pubertät setzt ebenso früher ein wie das Abschwirren in die Popkultur und Erwachsenenwelt», sagt der57-Jährige. Löwis verurteilt die Popkultur nicht grundsätzlich. «Aber so, wie sie bei Viva oder MTV gezeigt wird, hebt sie oft Sexualität hervor. Das ist schädlich für die Entwicklung von Kindern», kritisiert er. Es sei schrecklich, wenn sich Kinder bei Aufführungen in den Schritt fassten oder erotisch posierten.
Zuckowski zufolge führt dies zu einer Verrohung der Sprache und zu einem rauen Umgang miteinander. «Durch Genres wie Gangsta-Rap wachsen Kinder in eine Textwelt hinein, die sie innerlich verletzt in ihrer Entwicklung - oft in ihrer direktesten und wichtigsten Beziehung zur Mutter oder Schwester», sagt der dreifache Vater und zweifache Großvater. Ohnehin sei Kindheit heute voller Druck und Erwartungen sowie eine fragwürdige systematische Abfolge von: «Du musst erwachsen, klug und erfolgreich werden!»
Die Liedermacher wollen Kinder davor schützen, dass sie nicht mehr ausreichend Kinder sein dürfen. Dazu gehöre auch, sie nicht zu früh in die Popkultur hineinzuziehen. «Sie werden massiv damit konfrontiert, erliegen dem Reiz», sagt Zuckowski. Dieses Phänomen habe sich verstärkt. Schon der junge Michael Jackson war laut Zuckowski ein Magnet, der auch Kinder enorm anzog. Das hat das Kinderlied beeinflusst, das sich mit den bereits vorhandenen Texten an ein noch jüngeres Publikum wenden und Popeinflüsse verarbeiten muss.
Dennoch sind die Angebote für einen altersgerechten Umgang mit Musik vorhanden. Singbare, tanzbare, spielbare Lieder für Kinder komponieren hierzulande mehr als 100 Künstler. Die Szene um Zuckowski, Bardill, Fredrik Vahle, Gerhard Schöne und Newcomer wie Toni Geiling ist groß, obwohl der Kinderfunk auf den Nebengleisen der Sender angekommen ist. «Es gibt Texte, die für Kinder sofort klar sind oder anfangs rätselhaft und gerade deshalb lohnend», sagt Zuckowski, den Songs wie «Du da im Radio» und «Wie schön, dass du geboren bist» bekanntmachten. Und diese prägende Musik schaffe Nähe zwischen Kindern und Eltern, eine «substanziell andere Beziehung».
Bis Sonntag (27. September) diskutieren die Kinderliedermacher in Hamburg in Workshops, Vorträgen und Konzerten mit großen und kleinen Besuchern.