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„Komponieren ist erweiterte Philosophie“

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Porträt Zara Ali
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Vor zwei Jahren haben wir an dieser Stelle ein Interview mit dem Detmolder Kompositionsprofessor Dr. Mark Barden veröffentlicht. Inzwischen hat er erfolgreich eine eigene Klasse an der HfM Detmold aufgebaut. Seine Masterstudentin Zara Ali gewann in diesem Jahr den 1. Preis beim Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb in Berlin. Ein Portrait über die Komponistin und ihre Arbeit.

Komponieren ist für Zara Ali eng mit Philosophie verbunden. „Man kann die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und ein musikalisches Werk ist für mich ein Mittel, die Realität aus meinem persönlichen Fokus zu sehen“, sagt sie. Dieser Fokus ist für sie eng mit ihrer eigenen musikalischen Geschichte verbunden. Im Alter von 10 Jahren begann Zara Ali mit dem Klavierunterricht. Das tägliche Üben des klassischen Repertoires stellt sie allerdings nicht zufrieden. Und so begann die Suche nach neuen Wegen, um in der Musik Erfüllung zu finden. Schnell erfand sie eigene Improvisationen auf dem Klavier, die sie dann zu Kompositionen weiterführte.

Im Alter von 15 Jahren erstellte sie erste Partituren für mehrere Instrumente. Komponistin werden wollte Zara Ali nach einem erfolgreichen Sommerkurs am Tanglewood Music Center, wo sie jede Woche eine neue Komposition schreiben musste und Meisterkurse besuchte. Seitdem rückten ästhetische und philosophische Fragestellungen in den Vordergrund: Die Frage nach dem Unaussprechbaren von Musik und die Suche nach Wahrheit.

Das brachte sie dazu, mit dem Kompositionsstudium an der Columbia University zu beginnen, wo sie 2018 ihren Bachelor machte. Dort arbeitete sie auch mit den Komponisten Zosha Di Castri, Georg Friedrich Haas und David Bird zusammen. Die Erkenntnisse aus ihrem begleitenden Physik- und Philosophiestudium sind für sie bis heute eine wichtige Inspirationsquelle, aus der sie für ihre eignen Werke schöpft. So auch bei ihrem Stück „behave“, mit dem sie Anfang des Jahres den Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb in der Kategorie „Komposition“ gewann. In „behave“ geht es um die Verbindung zwischen Menschen und Technik. „Unser gesamtes Verhalten wird zum Teil durch technologische Entwicklungen bestimmt“, legt Zara Ali dar. „Wir leben in einer Zeit, in der die Technologie mit fortschrittlichen Algorithmen unsere Gedanken infiltrieren kann.“ Themen wie Kontrolle und Selbstbestimmung durchziehen das Werk wie ein roter Faden. Ganz besonders bemerkbar machte sich das bei der Performance der Musiker*innen des Ensemble Earquake, die das Stück im Finale des Wettbewerbs am 15. Januar auf der Bühne des Konzerthaus Berlin präsentieren durften. Synchrone Kopfbewegungen der Ensemblemitglieder werden dabei scheinbar durch die Musik gesteuert.

Die Möglichkeit, mit dem Ensemble und dessen musikalischer Leiterin Merve Kazokoglu über einen längeren Zeitraum hinweg zu arbeiten, ist für Zara Ali ein zentrales Element gewesen. Seitdem sind weitere Ensembles auf die junge Komponistin pakistanischer Abstammung aufmerksam geworden. Derzeit arbeitet sie an einem Auftragswerk für das JACK Quartet – ein Streichquartett, das bereits mit Werken zeitgenössischer Musik in der Berliner Philharmonie, der Carnegie Hall und bei den Donaueschinger Musiktagen auf sich aufmerksam machte. Die Arbeit an ihrem neuen Werk für Streichquartett, das Virtual-Reality-Elemente enthalten soll, beschreibt Ali als Entstehen im Prozess. „Ich präsentiere den Musikern Ideen und wir diskutieren gemeinsam, wie das musikalisch umzusetzen ist.“

Zwei Jahre hat die Komponistin dafür eingeplant. Ein Semester hat sie sich nur mit dem Thema Virtual Reality beschäftigt und das Programmieren gelernt. Zugute kam ihr dabei auch das elektronische Studio der Hochschule für Musik Detmold. Überhaupt genießt sie die Vorzüge des Studiums, sich in Detmold frei entfalten zu können und ausgewählte Aspekte dabei zu vertiefen. Im Einzelunterricht bespricht sie mit ihrem Professor, den sie bei einem Meisterkurs in Frankreich kennenlernte, Details wie Struktur, Form und Harmonie in ihrer Musik. Gelegenheit zum größeren Austausch hat sie im Kolloquium mit ihren Kommiliton*innen. Dort wird der Unterricht um theoretische Aspekte wie Texte zur Psycho­akustik des Gehirns ergänzt. Denn „die Frage, wie das menschliche Gehirn auf eine bestimmte Art von Musik reagiert, ist wesentlich für das Komponieren“, meint Zara Ali.

Im Mai wurde eines ihrer Werke von dem Freiburger Ensemble Aventure an einem ungewöhnlichen Ort aufgeführt: in der Bibliothek der Detmolder Musikhochschule. Das Verschieben von Büchern, das Umblättern von Seiten sowie das Schreiben mit dem Stift wurde dabei per Mikrophon unterstützt. Pläne für den Herbst stehen auch bereits im Raum: Das Göttinger Barockorchester präsentiert Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in einer Version von Zara Ali, ihrem Professor Mark Barden und ihrem Kommilitonen Carlo Tosato. Die Aufführung ist Teil eines wissenschaftlichen Projekts, in dem Forschende den Einfluss des Klimawandels auf die Jahreszeiten erklären und mit mehreren Konzerten in ganz Europa ein breites Publikum für das Thema sensibilisieren wollen.

Auch das sei ein Aspekt, bei dem Musik hilft, die Realität unter einem bestimmten Blickwinkel zu betrachten, so Zara Ali. Und sie hofft, dass dieser dabei nicht nur ihren eigenen widerspiegelt.

Das Video, mit dem sich Zara Ali für den Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb beworben hat, ist auf dem YouTube-Kanal der Hochschule einsehbar:
www.youtube.com/watch?v=HA-1dO23DC8

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