Seit 1. Mai leitet Prof. Christopher Brandt als geschäftsführender Präsident die Geschicke der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK), bis in einem ordentlichen Wahlverfahren voraussichtlich Ende dieses Jahres ein neuer Präsident gewählt wird. Brandt, der einstimmig durch den Hochschulsenat bestätigt wurde, übernimmt die Führung des Hauses – gemeinsam mit den weiteren Präsidiumsmitgliedern Angelika Gartner (Kanzlerin) und Prof. Ernst August Klötzke (Vizepräsident). Nach zwölf Jahren und zwei erfolgreichen und prägenden Amtszeiten war Thomas Rietschel nicht wieder zur Wahl des Präsidenten angetreten.
Christopher Brandt kennt die HfMDK bereits seit seinem Gitarren-Studium etwa in der Klasse von Prof. Michael Teuchert und Prof. Michael Sagmeister. Seit mehreren Jahren ist er in die hochschulpolitischen Entwicklungen von Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz aktiv eingebunden – seit 2014 als Vizepräsident. Darüber hinaus hat er als Leiter des HfMDK-Ausbildungsbereiches Instrumentalpädagogik die Entwicklung des Masterstudiengangs „Instrumentalpädagogik“ verantwortet und sich maßgeblich in der Konzeption des Bachelorstudiengangs „künstlerische Instrumentalausbildung“ engagiert. Christopher Brandt konzertiert außerdem regelmäßig mit den führenden Ensembles der zeitgenössischen Musik und erhielt mehrere Preise als Gitarrist und Komponist. Im Gespräch mit Sylvia Dennerle stellt er sich und seine Ziele beziehungsweise Schwerpunkte der nächsten Monate vor.
Herr Prof. Brandt, Thomas Rietschel hat vor zwölf Jahren als Kulturmanager sein Amt angetreten; die damalige bildungs- und gesellschaftspolitische Situation forderte insbesondere Managementkompetenzen, vor allem durch die durch das damals neue Hessische Hochschulgesetz (aus dem Jahr 2000) entschieden größere Autonomie der Hochschule, die dringend erforderliche Öffnung der Hochschule, den Aufbau eines professionellen Fundraisings und den Bolognaprozess, um nur einige Herausforderungen zu nennen. Wie haben sich die Hochschullandschaft im Allgemeinen und die HfMDK im Besonderen zwischenzeitlich verändert?
Die HfMDK ist heute eine für die Rhein-Main-Region zentrale kulturelle Institution. Das war sie in diesem Ausmaß vor zwölf Jahren sicher nicht, und dass sie heute als bedeutend und prägend für das kulturelle Leben der Stadt wahrgenommen wird, ist sicherlich das zentrale Verdienst von Thomas Rietschel, der diese Positionierung der Hochschule mit großem Engagement und Arbeitseinsatz in seinen beiden Amtsperioden vorangetrieben hat. Ich bin der Hochschule ja schon sehr lange verbunden, weil ich sozusagen ein Eigengewächs bin und selber hier studiert habe. Aus meiner jetzigen Position, aus der ich ja nochmals neu über unsere Ausbildungsstätte nachdenke, werden mir natürlich die Kontraste zur damaligen Situation besonders bewusst. So gab es zum Beispiel vor 12 Jahren eine Handvoll öffentliche Veranstaltungen, heute sind es über 300 im Jahr, was die Hochschule auch als Konzertveranstalter zu einer kulturellen Größe macht. Hausintern waren längst nicht alle Regelkreise durchdefiniert, alle nötigen Arbeitsabläufe professionalisiert; jeder, der an einer Institution wie der HfMDK arbeitet, weiß, dass das zu gewissen Unverbindlichkeiten führen kann und ständige Improvisationen erfordert.
Daneben gab auch die damalige bildungspolitische Situation klare Aufgaben vor.
Ja, es waren zwei zentrale Stichworte, die die gesamte Hochschullandschaft gezwungen haben, ihre Strukturen zu überdenken und zu professionalisieren: der sogenannte Bologna-Prozess und der aus der Wirtschaft entlehnte Begriff des Qualitätsmanagements. Die Umstellung fast aller unserer Studiengänge auf Bachelor und Master hatte zwangsläufig dazu geführt, dass alles auf den Prüfstand kam und die Studieninhalte und Strukturen neu formuliert wurden. Über Bologna wurde und wird ja viel diskutiert – wir widmen auch die nächste Ausgabe unseres Hochschulmagazins „Frankfurt im Takt“ diesem Thema: Wie hat Bologna unsere Studiengänge und -inhalte zum Positiven oder zum Negativen verändert? Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Definition von Studienleistungen über Credit Points das Studium ja nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich verändert hat und der Verwaltungsaufwand, unsere Studiengänge zu organisieren und zu betreuen, dadurch unglaublich gestiegen ist. Ähnlich der gesamte QM-Komplex: Wenn man eine Hochschule als einen Regelkreis ansieht, der sich aus vielen untergeordneten Prozessen speist, und darüber hinaus alle relevanten Bereiche der Hochschule prozesshaft oder strukturell abbildbar sein sollen, dann erfordert dies natürlich von einer so kleinen Hochschule wie der unseren einen enormen Aufwand an Zeit und Energie.
Da fragt man doch ganz pragmatisch: Wozu das Ganze?
Das Ziel der HfMDK ist ja letztlich die Systemakkreditierung, ein Prozess, der erhebliche Kapazitäten und Energien bündeln wird; zumal ja auch die Anforderungen an unsere Lehrenden im Bereich der akademischen Selbstverwaltung in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind, und wodurch sich das berufliche Profil der hauptamtlichen Hochschullehrer erheblich gewandelt hat. Das sind zentrale Veränderungen der letzten zwölf Jahre, die dazu geführt haben, dass sich die Hochschule in entscheidenden Bereichen neu aufstellen musste. Um es mal etwas verkürzt zu sagen: Vor zwölf Jahren war vieles noch eher „selbstgestrickt“ und improvisiert, während die HfMDK heute in den meisten Bereichen gut aufgestellt ist.
Haben Sie konkrete Beispiele dafür?
Viele Bereiche innerhalb der Hochschule wurden professionalisiert oder neu eingerichtet: die Öffentlichkeitsarbeit, das Fundraising, das Künstlerische Betriebsbüro, die Veranstaltungstechnik und das Qualitätsmanagement. Darüber hinaus dokumentieren neue und zeitgemäße Studienangebote wie die Institute für zeitgenössische Musik und für historische Aufführungspraxis, die Ensemble-Modern- und die Kronberg-Akademie, die Masterstudiengäne Musikpädagogik, Instrumentalpädagogik und MA CoDE (Contemporary Dance Education) ein schlüssiges Ausbildungsprofil im Spannungsfeld von Kunst, Pädagogik und Wissenschaft. Aber ich sehe das alles auch sehr ambivalent. Je mehr sich die Dinge ausdifferenzieren, desto komplexer werden natürlich die Vorgänge, und wir müssen aufpassen, dass wir bei aller Ambition unseren Studierenden und Lehrenden den Rücken freihalten.
Sie kennen die HfMDK bereits seit Jahren aus unterschiedlichen Perspektiven und Funktionen. Inwiefern beeinflusst das Ihre neue Aufgabe als Präsident?
Ich habe an der HfMDK ja alle Stationen vom Studierenden über den Lehrbeauftragten und Professor bis zum Vizepräsidenten und jetzt zur kommissarischen Hochschulleitung durchlaufen – was übrigens so nicht geplant war; daneben war ich eigentlich auch immer in der Gremienarbeit und Selbstverwaltung aktiv, im Fachbereichsrat, im Senat, als Ausbildungsdirektor für Instrumentalpädagogik. Das hat natürlich den Vorteil, dass man viele Perspektiven kennt und sich gut in Situationen und Vorgänge hineinversetzen kann. Vielleicht habe ich dadurch eine größere Nähe zu vielen Vorgängen im Haus, aber auch zu manchen Hochschulangehörigen als jemand, der von außen kommt. Ich hoffe darum, dass das für die Konflikte und Probleme, die es ja an allen Hochschulen zwischen Hochschulleitung und den übrigen Gremien geben kann, ein Vorteil ist. An so einem kleinen Institut wie dem unseren sind steile Hierarchien ohnehin nicht sehr hilfreich, und eine Nähe zu den Kollegen entschärft die Konflikte vielleicht nicht inhaltlich, erleichtert aber bisweilen die Kommunikation. Andererseits habe ich das auch schon als Nachteil empfunden: Als ich als Vizepräsident anfing, hat mir der Gegensatz zwischen meiner Zugehörigkeit zur Hochschulleitung und meinen Interessen als Hochschullehrer und Teil eines Kollegiums ziemlich zu schaffen gemacht –, und diese Erfahrung teile ich mit vielen Kollegen. Aber insgesamt ist es sehr schön, eine Institution zu führen, die man so gut kennt und der man so lange verbunden ist.
Haben Sie sich für die kommenden Monate eventuell schon Ihre persönlichen inhaltlichen Schwerpunkte als geschäftsführender Präsident gesetzt?
Wir haben es ja schon angesprochen, und das ist ein zentrales Problem in der Hochschulentwicklung der vergangenen Jahre: Irgendwann sind die Studiengänge für die Studierenden nicht mehr studierbar, für die Verwaltung nicht mehr zu bewältigen, und die hauptamtlichen Lehrenden kommen vor lauter akademischer Selbstverwaltung nicht mehr zum Unterrichten. Das sind natürlich Probleme, die sich nicht allein auf Hochschulleitungsebene lösen lassen, aber ein erster Schritt wird sein, zentrale Studiengänge zu überarbeiten, zu verschlanken und zu entrümpeln. Das betrifft den Bachelor in der künstlerischen Instrumentalausbildung – diese ist ja vor allem geprägt durch die Spannung zwischen künstlerischer Exzellenz und instrumentalpädagogischer Kompetenz –, die Lehramtsstudiengänge und die Gesangsausbildung. Wir brauchen wieder mehr Freiräume für die Studierenden, damit diese ihren Studienverlauf individuell gestalten und ihre eigenen Wege gehen können und die Zeit finden, sich wirklich in die Inhalte zu vertiefen. Und wir brauchen Lehrende, die sich selbstbewusst ihren Kernkompetenzen widmen können, statt sich zwischen Selbstverwaltung und Projektarbeit aufzureiben. Das zentrale Element der Hochschulausbildung ist der Unterricht, nicht die Senatssitzung und nicht das Leuchtturmprojekt.
Haben Sie sich daneben auch Themen gesetzt, die eher nach außen wirken?
Natürlich. Ein zentrales Thema ist der Kulturcampus in Frankfurt, der auf dem Areal der Universität an der Bockenheimer Warte geplant ist. Dort wird die HfMDK das Herzstück eines Ensembles sein, in dem sich führende Kulturinstitutionen der Stadt (wie das Ensemble Modern) vernetzen und ein einzigartiges kulturelles Zentrum bilden. Aber der Weg dorthin ist noch sehr lang, Baubeginn ist frühestens 2020, und ohne Unterstützung durch die Stadt Frankfurt können wir das sowieso nicht stemmen. Hier ist es meine Aufgabe, das Thema präsent zu halten, die Vorbereitungen voranzutreiben und mit den verschiedenen Partnern zu kommunizieren. Der Kulturcampus wird aber vor allem für die Hochschulleitung, die Ende des Jahres gewählt wird, ein zentrales Thema sein.
Vor Thomas Rietschel wurden immer auch gleichzeitig Hochschuldozenten und damit Künstler an die Spitze der Hochschule gewählt; mit Ihnen wird diese Tradition fortgesetzt. Wo sehen Sie hier vielleicht besondere Chancen?
Nun, man sollte nicht verschweigen, dass die HfMDK sich vor Thomas Rietschel schwer getan hat, eine Hochschulleitung zu finden und zu halten. Sicherlich hat ein Hochschullehrer andere Schwerpunkte als ein Kulturmanager, kann andere Kompetenzen und Sichtweisen einbringen. Vor allem aber unterscheiden sich die Personen ja über ihre Defizite, die bei einem Künstler andere sind als bei einem Manager. Man sollte auch nicht vergessen, dass ich vorerst nur für ein Jahr dieses Amt bekleide und es ein wichtiger hochschulinterner Prozess sein wird, sich darauf zu einigen, welche Präsidentenpersönlichkeit gut für dieses Haus ist.
Als Konzertgitarrist stehen Sie ja eigentlich für die Musik, die HfMDK ist aber ein Dreispartenhaus, das heißt neben der Musik als künstlerische Ausbildung und im Rahmen der Lehrämter bildet sie auch Schauspieler und Tänzer aus – mit teilweise anderen Ansprüchen und Vorstellungen als ein Musiker.
Zuerst einmal sollte man von einem Präsidenten nicht erwarten, dass er in Personalunion alle unterschiedlichen Bereiche kompetent abdeckt, sonst bräuchten wir einen promovierten Musiker mit Tanzausbildung, der sich auch als Regisseur hervorgetan hat, einige Jahre an Musikschulen und Gymnasien unterrichtet hat und sich außerdem an der Abendschule zum Kulturmanager, Bauherren und Architekten fortgebildet hat. Das war übrigens ein bisschen das Problem der Wahl im vergangenen Dezember, man hatte zwischenzeitlich das Gefühl, eine geeignete Person müsse alle Interessen aller Fachbereiche verkörpern, um überhaupt wählbar zu sein. Für mich persönlich kann ich nur sagen, dass es mir immer um eine Balance zwischen Professionalisierung der eigenen Fähigkeiten und Vielseitigkeit der Interessen ging – ich habe ja nicht nur als Gitarrist gearbeitet, habe Schulmusik studiert, immer gerne unterrichtet, komponiert und gestaltet. Darüber hinaus war viele Jahre das Theater mein zweites Standbein, ich habe etliche Bühnenmusiken komponiert und Produktionen musikalisch betreut und bin mit einer Schauspielerin verheiratet. Insofern sind mir viele Bereiche nicht fremd. Aber man sollte das für die Arbeit mit den verschiedenen Fachgruppen nicht überschätzen.
Die HfMDK hat sich nicht zuletzt während ihres partizipativen Leitbildprozesses ein klares Profil erarbeitet. Welche Bedeutung hat das für Ihre Arbeit in den kommenden Monaten?
Zwei Aspekte unseres Profils haben für mich eine zentrale Bedeutung: das zeitgenössische Kunstschaffen und der Einsatz für die Teilhabe aller Menschen an den Künsten. Das wäre mein Ideal einer Hochschule: ein Haus, an dem alle in innerer Freiheit und ohne Angst ihre Profession vervollkommnen, die inhaltlich fest in der Gegenwart verankert ist, und die gesellschaftlich wirkt, indem sie als Regulativ der allgemeinen Verblödung und Verrohung den Gedanken von Schönheit in die Welt trägt.