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Es wird alles vermessen. Probenfoto zu einen Musiktheaterstück von Chico Mello. Foto: Hufner
Es wird alles vermessen. Probenfoto zu einen Musiktheaterstück von Chico Mello. Foto: Hufner
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Künstlerische Forschung: Eine zusätzliche Note in Gottes Koffer

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Was macht Musik zum Erlebnis? Ob eine herausragende Interpretation, die Bühnenpräsenz des Künstlers oder der Sound im Konzertsaal: Musik ist mehr als Noten. Darum geht es auch bei Künstlerischer Forschung.

Wenn der Pianist Florian Uhlig Beethovens Variationen der englischen Nationalhymne spielt, wirkt das Finale geradezu erhebend. In der letzten Variation gibt es eine kleine Sequenz, in der Beethoven in sein „God save the King“ Doppelstriche einfügte, um so Musikern Raum für eine Kadenz zu lassen. Uhlig spielt hier ein kurzes Medley diverser Nationalhymnen – selbst das „Auferstanden aus Ruinen“ der DDR-Hymne von Hanns Eisler ist dabei.

Uhlig hat an der Royal Academy of Music in London studiert. Die Idee mit der hymnischen Kadenz kam dem gebürtigen Düsseldorfer bei seiner Dissertation, als er viel über die musikalische Form der Variationen nachdachte. Was der 43-Jährige da in London ergründete, war jedoch keine musikwissenschaftliche Arbeit im eigentlichen Sinne. Am ehesten lässt sich seine Doktorarbeit als Artistic Research (AR) bezeichnen – Künstlerische oder auch Ästhetische Forschung.

Deutschland gilt bei AR bisher noch als Entwicklungsland – anders als Österreich, die Schweiz oder skandinavische Länder. Für Stefan Gies, Generaldirektor der in Brüssel ansässigen Vereinigung europäischer Konservatorien, Akademien und Musikhochschulen, hängt das nicht zuletzt mit der stark auf historische Aspekte gerichteten deutschen Musikwissenschaft zusammen. „In Ländern wie Schweden gehen Musikwissenschaftler immer auch der Frage nach, was ihre Disziplin zur Weiterentwicklung der Gesellschaft insgesamt leisten kann.“

Eine allgemein gültige Definition für AR gibt es nicht. Während sich die Musikwissenschaft meist dem vollendeten Werk oder Komponisten/Musiker widmet, geht es bei der Künstlerischen Forschung um den schöpferischen Prozess an sich. „Was kann mir die Wissenschaft geben, um mich selbst als Künstler zu vervollkommnen?“, beschreibt Uhlig den Kern. Die Ansatzpunkte könnten dabei ganz verschieden sein. Manch einer befasse sich mit den historischen Quellen des Werks, andere gingen zum Instrumentenbauer oder Materialforscher.

„Es gibt viele Künstler, die von sich aus Partner in der Wissenschaft suchen“, sagt Gies und erzählt die Geschichte eines Kontrabassisten, der den Geräuschanteil seines Bogens beim Spiel mit Hilfe eines Physikers ergründen und optimieren wollte. „Für viele Interpreten geht es zunehmend um Fragen des Sounds. Der wird bislang von der Musikwissenschaft vernachlässigt, spielt aber beispielsweise beim Jazz eine große Rolle.“ Gies sieht Naturwissenschaftler und Musiker dabei an einem Strang ziehen: „Beide streben nach Perfektion.“

Auch Florian Uhlig, der sich als Prorektor für Künstlerische Praxis an der Dresdner Musikhochschule auch um Belange der Ausbildung zu kümmern hat, weist AR eine bedeutende Rolle für die Zukunft zu: „Sie ist ein wesentlicher Aspekt, jungen Musikern weitere Fähigkeiten mit auf den Weg zu geben.“ Gerade heute sei man als Musiker gut beraten, sich „auf mehreren Schauplätzen zu tummeln und kein reines Spezialistentum zu pflegen“, sagt der Pianist und erinnert an Große seines Fachs wie Robert Schumann und Franz Liszt.

„Sie konnten nicht nur komponieren und dirigieren, sondern waren auch Geschäftsleute und pflegten eine Korrespondenz zu den großen Geistern ihrer Zeit“, sagt Uhlig. Diese Vielseitigkeit sei im 20. Jahrhundert jedoch im Zusammenhang mit der Industrialisierung der Musik und damit einhergehender Verdienstmöglichkeiten verloren gegangen.

„Künstlerische Forschung hat nicht den Zweck, Künstler aus dem Elfenbeinturm herauszulocken. Aber wenn sie den Turm einmal verlassen, dann hilft ihnen Künstlerische Forschung draußen zu überleben“, meint Stefan Gies.

Gern verweist er auf einen Spruch des Schlagzeugers Günter Sommer. Ein Künstler sei nur dann ein Künstler, wenn er im Laufe seines Lebens eine „zusätzliche Note in Gottes Koffer lege“, zitiert Gies den Weltklasse-Drummer sinngemäß. Etwas beizutragen, was über die Noten hinausgeht – auch so könnte man den Anspruch formulieren.

Genau das will AR erreichen. Für den 24. und 25. November hat die Dresdner Hochschulrektorin Judith Schinker Kollegen aus dem In- und Ausland zu diesem Thema eingeladen: „Wir wollen alle ins Boot holen, um unsere Aktivitäten zu bündeln.“


Artistic Reseach ist auch ein Themenschwerpunkt in der nächsten Ausgabe unseres Hochschulmagazins, das mit der nächsten Ausgabe der nmz erscheinen wird.

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