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Meister der Bewegungseffizienz

Untertitel
Schlagzeuger im Motoriklabor
Publikationsdatum
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Professionelles Schlagzeugspiel erfordert die zeitgenaue sensomotorische Kontrolle und präzise Koordination von bis zu vier Gliedmaßen bei gleichzeitig auf minimale körperliche Anstrengung optimierten Bewegungsabläufen. Vor allem hohe Spieltempi stellen beträchtliche Anforderungen im Berufsbild des Schlagzeugers dar – das gilt im klassischen ebenso wie im Jazz-Rock-Pop-Bereich.

Akzentuierte Schläge, das heißt einzeln ausgeführte Schläge mit „Ausholbewegung“, sind wissenschaftlich bereits gut untersucht und zeichnen sich durch einen typischen, peitschenartigen Bewegungsablauf aus. Über nicht-akzentuierte und insbesondere rhythmisch wiederholte Schläge, die die überwiegende Mehrzahl der musikrelevanten Schlagbewegungen ausmachen, ist dagegen aus musikphysiologischer Sicht bisher nur wenig bekannt. Am Institut für Musikermedizin (IMM) der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden wurde nun eine Studie zur Erfassung der Bewegungsabläufe beim unakzentuierten Schlagzeugspiel durchgeführt und lieferte aufschlussreiche Befunde zu den Bewegungsstrategien am Schlagzeug.

Im Rahmen der Studie wurden an 22 Schlagzeugern detaillierte Bewegungsdaten während des Spiels unter realistischen Bedingungen erhoben. Die Teilnehmer rekrutierten sich aus Studierenden und Dozenten der Schlagzeugabteilung der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber („Experten“) sowie aus aktiven Amateurschlagzeugern aus dem Dresdner Raum („Amateure“ als Vergleichsgruppe). Während des Experiments im Motoriklabor des IMM spielten die Teilnehmer auf einem der Kleinen Trommel nachempfundenen Übungspad technisch anspruchsvolle ein- und beidhändige Aufgaben. Dabei wurde ein weiter Tempobereich zwischen 80 und 400 Schlägen pro Minute pro Hand abgedeckt. Bei wechselhändigem Spiel wurde somit ein maximales Tempo von 800 Schlägen pro Minute (d.h. mehr als 13 Schläge pro Sekunde) erzielt – ein Wert, der mit sehr hohen Anforderungen an die Spieltechnik einhergeht.

Weitestgehend ohne Einschränkung eines realistischen Spielgefühls wurden mehrere Messmodalitäten parallel erfasst. Unter anderem wurden aus 6 simultanen Kameraperspektiven zeitlich und räumlich hochaufgelöste 3D-Bewegungsabläufe von 21 Punkten am Körper und am Instrument erfasst, davon 9 auf jeder Seite zwischen Schulter und Stockspitze. Des Weiteren wurden Muskelpotenziale von Handbeuger- und Handstreckermuskulatur, Stoßkräfte der Stockspitze auf der Trommeloberfläche, Tonaufzeichnungen des Spiels und des Metronoms sowie Schalldruckpegelverläufe und Highspeed-Videos registriert.

Diese Informationsdichte erlaubte einen detaillierten Blick auf die schlagzeugerische Bewegungskontrolle. Die Analyse der Bewegungsabläufe führte zu einer Identifizierung unterschiedlicher Bewegungsstrategien in verschiedenen Spieltempi. Während über einen weiten Tempobereich eine so genannte „gleichphasige“ Bewegung vorherrschte (bei der sich Arm, Hand und Stock simultan nach unten – bzw. oben – bewegten), verfielen einige der Teilnehmer bei hohen Tempi (jenseits der 240 Schläge pro Minute) in ein scheinbar paradoxes „gegenphasiges“ Bewegungsmuster: Paradox deshalb, weil sie Unterarm und Handgelenk nach oben bewegten, um den Stock zum Schlag nach unten zu befördern – und umgekehrt. Dabei behielt die Hand ihre Lage im Raum bei und drehte sich um eine feste Drehachse, so dass eine Wippbewegung entstand und alle  Punkte körpernah der Achse sich „gegenphasig“ (um 180 Grad versetzt) zu  allen Punkten körperfern der Achse bewegten. Kinetisch gesehen ist dies sinnvoll: Modellrechnungen zeigen, dass die Wippbewegung zum einen weniger mechanische Arbeit erfordert als die gleichphasige Schlagbewegung (und damit kraftsparender ist), dass sie zum anderen die mechanische Grenze eines mit dem gleichphasigen Standardschlag maximal erreichbaren Tempos zu höheren Tempi hin erweitert. Ein weiterer, durch die Modellüberlegungen vorausgesagter und durch die Messdaten bestätigter Vorteil der „paradoxen Bewegung“ ist zudem aus musikalischer Sicht relevant: Die zeitliche und dynamische Präzision dieser Bewegung im Hochtempobereich ist gegenüber der Standardbewegung signifikant höher.

Wie sich zeigte, wurde im hohen Tempo die gegenphasige Wippbewegung vor allem von den Experten (Studierenden und Dozenten) ausgeführt. Demgegenüber kam in der Amateurgruppe die gleichphasige Bewegung – die Standardbewegung niedrigerer Tempi – überwiegend auch im Hochtempobereich zum Einsatz. Die Wippbewegung könnte also ein Verhaltensmuster darstellen, das eng mit langjähriger Expertise am Instrument einhergeht.

Angesichts der Vorteile – verbesserte Präzision, verbesserte Spielökonomie/Ausdauer, höhere erreichbare Tempi – kann die empirische Beschreibung des Phänomens der Wippbewegung für die Schlagzeugdidaktik interessant werden: In der Unterrichtssituation könnten Visualisierung und Verbalisierung der biomechanischen Vorgänge möglicherweise dazu beitragen, den Erwerb der Wippbewegung zu unterstützen und somit die spielerleichternden und musikalischen Vorzüge zu erzielen. Ob und inwieweit die visuelle und verbale Rückmeldung das Erlernen der Wippbewegung erleichtert, muss jedoch in weiteren Untersuchungen geklärt werden. Aus musikermedizinischer Sicht könnten sich daraus Perspektiven zur Prävention spielbedingter Überlastungsverletzungen bei Schlagzeugern ergeben.

Den Absolventen Jochen Benckert und Fabian Junk, die ihre Diplomarbeiten der Datenerhebung widmeten, den Schlagzeugdozenten Eric Schaefer und Prof. Sebastian Merk sowie allen teilnehmenden Schlagzeugern sei an dieser Stelle für ihre Unterstützung herzlich gedankt!

Dr. Marc Bangert, Prof. Dr. Hans-Christian Jabusch, Institut für Musikermedizin der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden

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