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Mit positiver Energie auf die Heterogenität schauen

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Das Netzwerk Kultur und Inklusion legt Empfehlungen für künstlerische Hochschulen vor
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Seit 2015 trägt das „Netzwerk Kultur und Inklusion“ als Dialog- und Fachforum Expertenwissen und Informationen rund um die Umsetzung des gesellschaftlichen Auftrags Inklusion in verschiedenen Bereichen des Kulturlebens zusammen. Das Netzwerk wird als eine der Maßnahmen der Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan 2.0 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufgeführt und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Organisatorisch verortet ist es an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW in Remscheid. Hier finden auch die jährlichen Tagungen der Expertenrunde statt. Bisherige Themen waren – immer unter dem Vorzeichen der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen am kulturellen Leben – Arbeitsmarkt, Aus- und Weiterbildung, Medien und Künstlerische Qualität, dokumentiert jeweils auf der Homepage des Netzwerks https://kultur-und-inklusion.net/

Das Thema des Jahres 2019 war die Umsetzung der UN-BRK an den künstlerischen Hochschulen der Bundesrepublik. Um mehr darüber herauszufinden, wie Inklusion an künstlerischen Hochschulen gestaltet wird, hat das Netzwerk im Sommer 2019 mit Unterstützung der Konferenz der Kulturminister einen Fragebogen an die Hochschulen versandt, der einen hundertprozentigen Rücklauf verzeichnen konnte.  Die Fragen bezogen sich auf die vier Bereiche Personal, Lehre, Studierende/Aufnahmesituation/Prüfungen und Infrastruktur.

Personelle Sachkompetenz

Ein „Behindertenbereich“ existiert schon seit Jahrzehnten: die Schwerbehindertenvertretung. „In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung vertritt“, so  § 177 des Sozialgesetzbuchs IX, das die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen regelt. Die Schwerbehindertenvertretung ist zuständig für Belange der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule. Sie wird bei Berufungs- und Einstellungsverfahren beteiligt und vertritt die Angelegenheiten schwerbehinderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Funktion nach dient eine solche Stelle natürlich der Teilhabegerechtigkeit und Inklusion –  der Fragebogen hatte freilich weitere Ebenen im Sinn. In ihm ging es um Fragen nach Lehrenden und ihrer Kompetenz der Vermittlung inklusionsorientierten Handelns, um Stellenanteile mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Inklusion, um persönliche Aus- und Weiterbildung der Lehrenden in Sachen Inklusion.

Wenn 71 Prozent der künstlerischen Hochschulen und 83 Prozent der Musikhochschulen einen Bedarf an Fort- und Weiterbildungen für ihre Lehrenden zum Thema Inklusion sehen, so ist dies ein Signal für ein deutlich wahrgenommenes Kompetenzdefizit. Kultur und Inklusion ist  (noch) kein Studienfach. Die Frage ist also: Wer kann eigentlich Inklusion? Eine erste Antwort: Die Basis. Inklusion können die Künstlerinnen und Künstler, die seit Jahren in Projekten, Stiftungen und Institutionen mit Menschen mit Behinderung arbeiten. Inklusion können natürlich auch Menschen mit Behinderung, die seit Jahren künstlerisch arbeiten und sich für Teilhabegerechtigkeit einsetzen. Die Hochschulen tun gut daran, sich diese Kompetenz für Aus-, Fort- und Weiterbildung ins Haus zu holen. Eine zweite Antwort: Wenn zumindest in der Lehrerbildung Professuren mit einem Stellenprofil Inklusion besetzt werden, gibt es einen langsamen Aufwuchs an Kolleginnen und Kollegen, die auch vor ihrer Berufung  in schulischer oder außerschulischer, inklusiv engagierter Praxis tätig waren, einer Praxis, die nun der der Lehre zu Gute kommt. Der Bedarf an Kompetenzzuwachs der Lehrenden in Sachen Inklusion wird noch eine Weile bleiben.

Lehre

Lehre zum Thema Inklusion heißt nicht nur da und dort ein Lehrauftrag zum Thema, Lehre zum Thema Inklusion heißt die kontinuierliche Vermittlung von Inhalt und Haltung. Inklusion muss eine Rolle spielen in Studiengängen zwischen künstlerischem Lehramt und Konzertexamen, in Veranstaltungen zwischen Chorleitung und Musikjournalismus, zwischen Bildnerischem Gestalten und Kunstpädagogik, zwischen Freiem Gestalten und Textildesign, zwischen Choreografie und Tanzpädagogik. Inklusion muss ein Prüfungsthema sein, mit dem sich alle Studierenden auseinandersetzen.

An der Anton Bruckner-Universität in Linz gibt es seit einigen Jahren ein neues Lehrformat: Die Studierenden der Instrumental- und Gesangspädagogik – sie kommen aus aller Welt – sind verpflichtet, unabhängig von ihren Studiengängen, an einer Seminarveranstaltung teilzunehmen, innerhalb derer sie Dinge tun, die in ihrem üblichen Studiengang und auch in ihrer Lernbiografie meist nicht vorkommen: Improvisation, Spielen ohne Noten, Spielen von Liedern nach Gehör, Entwicklung neuer und eigener Musizierformen. Bianka Wüstehube, Leiterin des Instituts für Musikpädagogik (IMP) beschreibt unter anderem in der Dokumentation der Netzwerktagung, aber auch in der Zeitschrift Üben und Musizieren das neue Lehrformat, das über Eigenerfahrung eine inklusive pädagogische Grundhaltung vermittelt. Kommentar eines serbischen Schlagzeugers: „So eine Lehrveranstaltung bringt jeder Schülerin und jedem Schüler positive Energie und Lust mitzuwirken. Das gemeinsame Musizieren ohne Noten hat mir am besten gefallen und hat mir gezeigt, wie wichtig Teamwork sein kann. Die gesamte Lehrveranstaltung ‚Elementares Musizieren‘ wird mir sehr viel für meine Zukunft bringen, da ich verschiedene Dinge anders sehe und anders angehe und ich vor allem sehr viel dazu gelernt habe. Ich sehe die Welt anders!“

Mit positiver Energie auf die Heterogenität der Welt schauen, die Menschen anders sehen – dazu kann niemand gezwungen werden – aber zur Auseinandersetzung mit der Thematik durchaus. Lehrveranstaltungen, die das Thema Inklusion vermitteln, sind in der künstlerischen Hochschullandschaft unerlässlich. Auch wenn eine Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit Beeinträchtigung, wenn inklusiv orientierter Unterricht und Musizieren in inklusiven Ensembles nicht im Focus der einzelnen Studierenden steht – ein „Musenkuss“ in Form einer prüfungs- und teilnahmerelevanten Veranstaltung eröffnet zumindest den Blick auf ein potentielles zukünftiges Berufsfeld.

Etwa ein Drittel der Hochschulen bietet keinerlei Veranstaltungen zum Thema Inklusion an. Und was machen die anderen? Es mehren sich kooperative Veranstaltungen, meist Praxisseminare, die mit diversen Einrichtungen zwischen Schule, Wohnheim und Werkstatt zusammenarbeiten und mit gemeinsamen Aufführungen enden. Das ist die richtige Richtung. 

Nachteilsausgleich

Wie viele Studierende mit Beeinträchtigung studieren an künstlerischen Hochschulen? Das ist gar nicht so leicht herauszufinden, denn es gibt die sichtbare Beeinträchtigung und die unsichtbare chronische Erkrankung. Und manche Studierende möchten gar nicht über ihre Beeinträchtigung sprechen. Unter dem Begriff Nachteilsausgleich sind die Hilfen für Menschen mit Behinderungen zusammengefasst. In Schule und Hochschule bedeutet Nachteilsausgleich die Unterstützung der Lehre mit notwendigen Hilfsmitteln und das Ablegen von Prüfungen unter angemessenen Bedingungen. Hier haben sich an vielen Hochschulen differenzierte Systeme entwickelt – ein Beispiel für ein „Großsystem“ ist die mehrfach ausgezeichnete Einrichtung DoBuS an der TU Dortmund.

Ja, an etwa zwei Dritteln der befragten Hochschulen gibt es Studierende mit Beeinträchtigung, die offenbar die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Vorbedingung für gelingenden Nachteilsausgleich ist zunächst einmal die Information für Studieninteressierte: Tatsächlich unterrichtet etwas weniger als die Hälfte der Hochschulen auf ihrer Homepage aktiv über diese Möglichkeit. Etwa 80 Prozent der Hochschulen berichten allerdings von der Berücksichtigung des Nachteilsausgleichs in in ihren Prüfungsmodalitäten. Die etwa 20 Prozent der Hochschulen, die dies nicht tun – nun, das mögen die Hochschulen sein, die ohnehin keine Studierenden mit Beeinträchtigungen unterrichten.

Barrierefreiheit

Barrierefreiheit von Gebäuden meint, dass alle Bereiche eines Gebäudes ohne Inanspruchnahme von helfender Unterstützung erreichbar sein müssen. Da die Gebäude künstlerischer Hochschulen oft in historischen und sogar denkmalgeschützten Gebäuden untergebracht sind, ist Barrierefreiheit nicht so einfach herzustellen – zumindest nicht mit den haushaltsüblichen Mitteln.

Barrierefreiheit ist aber nicht nur ein Gebäudethema, es ist auch ein Thema der personellen Verortung und Ansprechbarkeit. Wesentliche Bedingung gelingender Inklusion in jeder Institution ist der oder die Inklusionsbeauftragte – eine Person, die dann auch als erster Ansprechpartner auf der Homepage genannt wird. Diese Person braucht je nach Größe der Institution natürlich Unterstützung in der Umsetzung ihrer Aufgaben, sie muss mit Kompetenzen ausgestattet sein, die denen der oder des Gleichstellungsbeauftragten entspricht. Wer ist also Ansprechpartner für Inklusion in Studium und Lehre? Manche der Hochschulen wie etwa die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden haben mit einem Aktionsplan zur Umsetzung der Inklusion die Institution einer Inklusionsbeauftragten eingerichtet. Das Bundesland Sachsen ist hier im Übrigen Vorreiter: Das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hat nicht nur an alle Hochschulen Sachsens Mittel zur Umsetzung der Inklusion vergeben, sondern auch die Erstellung von Aktionsplänen verlangt. Dieser Aufforderung sind die Einrichtungen bis 2018 nachgekommen. „Bauliche Barrierefreiheit“, „Kommunikative Barrierefreiheit“ und schließlich „Information und Beratung“ sind die Handlungsfelder, in denen in den Aktionsplänen am häufigsten hochschulangepasste Maßnahmen entwickelt wurden.

Vier Schwerpunkte

Die Empfehlungen des Netzwerks haben vier Schwerpunkte. Übergeordnete Maßnahmen meinen strategischen Austausch im Rahmen der Rektorenkonferenzen der Musik- und Kunsthochschulen sowie die Bündelung von Lösungswegen und Techniken für eine inklusiv orientierte Lehre an einer der Hochschulen über eine feste Anlaufstelle. Für den Bereich der Hochschulleitung wird explizit die Verortung der Verantwortlichkeit für Inklusion im Präsidium empfohlen, ebenso die grundsätzliche Entwicklung von Aktionsplänen sowie die Weiterentwicklung auf den Gebieten der Fortbildung und der Barrierefreiheit. Im Bereich der Lehre und des Nachteilsausgleichs werden neben verpflichtenden Anteilen des Themas Inklusion in Lehre und Prüfungsrelevanz Kooperationen mit externen künstlerischen Ensembles empfohlen. Um das System Nachteilsausgleich zu verbessern, wird die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in Prüfungsjurys, insbesondere in den Jurys der Aufnahmeprüfung vorgeschlagen.

Die Empfehlungen, die sich nicht unmittelbar an die Hochschulen, sondern an die Kultur- und Finanzpolitik richten, meinen auch die Ausschreibung von Inklusionsprogrammen etwa nach dem Vorbild Sachsens in allen Bundesländern. Allein die vergleichsweise kleine Umfrage des Netzwerks hat die vielen Varianten der Umsetzung von Inklusion in den Bundesländern gezeigt. Varianten sind natürlich nicht das Problem – es ist nur schade, wenn die Arbeit in den Bundesländern nicht nur doppelt, sondern sechzehnfach getan wird. Deshalb soll eine „Sammelstelle“ Wissen und Erfahrungen bündeln und zur Verfügung stellen.

Die gesamten Empfehlungen sind auf der oben erwähnten Homepage https://kultur-und-inklusion.net/ zu finden.
 

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