Ein Handy hat heute so ziemlich alles, was man braucht, um Musik zu produzieren. Zwar kommen dabei keine Meisterwerke heraus, aber es ist spielend leicht. Bei manchen jungen Leuten wird dadurch der Wunsch geweckt, Musikproduzent zu werden. „Doch das ist gar nicht so einfach“, sagt Robert Lingnau. Eben weil Musikproduktion etwas sehr Komplexes ist, rief der Prorektor der Berlin School of Popular Arts 2010 den Studiengang „Musikproduktion“ ins Leben. Rund 350 junge Leute haben ihn bisher absolviert.
Sehr gute Audiodesigner können mit geradezu pedantischer Genauigkeit ein bestimmtes Mikrofon so einmischen, dass es keine Spur zu leise oder zu laut ist. Auch verstehen sie es, Räume rasch zu beurteilen. All das Lernen auch die 20 Studierenden, die pro Semester aufgenommen werden. Der Studiengang selbst ist technisch ausgerichtet, wobei die künstlerische Ausbildung nicht zu kurz kommt. „Wir bieten einen Dreisprung an“, erläutert Lingnau. Die Studierenden werden als Komponisten, Interpreten und Tonmeister in spe angesprochen. Sämtliche Rollen im Musikproduktionsprozess werden somit trainiert.
Natürlich taucht die Frage auf, inwieweit sich mit Musikproduktion Geld verdienen lässt. Diese Frage hat das Team des Studiengangs stets im Blick. „Wir gehen davon aus, dass unsere Studierenden ihren Beruf bis zur Rente machen“, so Lingnau. Eben dafür sollen sie „gut gerüstet“ werden. Mit Blick auf die Zeit seit April 2010, als die ersten Studierenden starteten, bilanziert der Arrangeur und Komponist: Das Konzept ging auf. „Ich war in all den Jahren immer sehr glücklich, beobachten zu können, dass das, was wir den jungen Leuten inhaltlich und praktisch beibringen, für sie wirklich von Bedeutung ist“, so der Professor für Musiktheorie.
Damit das eigene Unternehmen später einmal floriert, sind jedoch nicht nur gute Kenntnisse in Audiotechnik, Funktionsweisen von Sequencern oder Harmonielehre wichtig. „Es werden auch hohe Anforderungen an das Zeit- und Selbstmanagement gestellt“, sagt Lingnau, der den Studierenden eben diese Themen vermittelt. Rund die Hälfte der Absolventen übt den Beruf freiberuflich aus. Das bedeutet: „Man kann nicht dasitzen und warten, bis das Telefon klingelt, sondern muss die Füße hochkriegen.“ Und es ist notwendig, sich zu zeigen, also, sich selbst zu vermarkten. Das ist in der Kunstszene nach wie vor etwas verpönt. Aber existenziell notwendig.
Die Bewerber um die 20 Studienplätze haben in ihrer Jugend schon viel Musik gemacht. Im Auswahlverfahren präsentieren sie, was sie bereits können. „Natürlich sind sie nicht schon gleichzeitig gute Komponisten, Interpreten und Tonmeister“, sagt Lingnau. Doch in einem dieser drei Bereiche sollte eine besondere Stärke liegen. In der Zugangsprüfung werden musiktheoretische Fragen gestellt, außerdem beweisen die Studierenden ihre praktischen Fertigkeiten, indem sie zwei Titel vortragen.
Einer von drei schafft es
Nicht zuletzt Motivation ist eine elementare Voraussetzung dafür, in den Studiengang aufgenommen zu werden. Lingnau: „Die Bewerber nach ihrem Wollen zu fragen, ist für mich heute noch wichtiger als vor zehn Jahren.“ Im Durchschnitt der letzten Jahre schafft es von drei Bewerbern einer, einen Studienplatz zu ergattern. Die Corona-Krise hat keinen Einbruch der Bewerberzahlen zur Folge: „Für das nächste Semester, das am 1. Oktober beginnt, sind die Zahlen total erfreulich.“ Das erstaunt fast ein bisschen: „Denn man könnte sich ja fragen, wer in diesen Zeiten einen so unsicheren Beruf ergreifen möchte.“ Doch nach wie vor träumen viele davon, Musikproduzent zu werden.
Im Studium wird alles dafür getan, damit dieser Traum nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Die Studierenden erhalten zahlreiche Gelegenheiten, Kontakte in die Wirtschaft, zu künftigen Kollegen und allgemein zur Musikszene zu knüpfen. „Wir bieten eine Menge Praxiscontainer an“, so Lingnau. So werden Songs nach Briefings aus der Musikindustrie produziert. Theoretisch befassen sich die Studierenden mit grundlegenden Prozessen der Projektorganisation, um später einmal künstlerische Live-Produktionen selbstständig planen zu können. Das Abschlusskonzert im künstlerischen Hauptfach bietet eine tolle Gelegenheit, das erworbene Können zu beweisen.
Nicht jeder hält die Belastungen, die der Jobs mit sich bringt, gesundheitlich durch. Sollte es im Laufe der Karriere Probleme geben, können sich die Absolventen an die von der School of Popular Arts gegründete „Pop-Ambulanz“ wenden. Während ihres Studiums lernen sie diese medizinisch-psychologische Sprechstunde für Musikerinnen und Musiker aus Berlin kennen. „Unsere Absolventen sind später nicht nur hinter den Kulissen tätig, sondern stehen oft selbst auf der Bühne“, erläutert Lingnau. Das ist immer mit Stress verbunden. Doch auch, wer als Musikproduzent „unsichtbar“ arbeitet, kann phasenweise unter starken Druck geraten: „Man hat ja feste Deadlines.“
Gefragte Beschaller
Wo man alles als Musikproduzent seinen Lebensunterhalt verdienen kann, ist dem Kompositionspreisträger des Hessischen Rundfunks zufolge extrem weit gefächert. Lingnau denkt an eine Sängerin, die aufgrund ihrer im Studium erworbenen Kompetenzen einen tollen Job bei einem Verlag fand. Ein ehemaliger Pianist ist inzwischen weltweit als Live-Beschaller unterwegs. Gerade das Geschäftsfeld der Live-Beschallung ist Lingnau zufolge stark im Kommen. Das bestätigt eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Demnach wurden 2016 rund 3,7 Milliarden Euro für mehr als 70 Millionen Tickets zu Musikveranstaltungen ausgegeben.
Die Musikproduktion hat Schnittstellen mit der Cineastik, es gibt vielerlei Berührungspunkte mit der Welt des Theaters sowie dem boomenden Gaming-Sektor. Wie bunt die Welt des Musikproduzenten ist, spiegelt sich in den Bachelor-Arbeiten wider. Eine besonders spannende Arbeit, die derzeit in der Mache ist, beschäftigt sich facettenreich mit dem Thema „Soundcheck“. Dabei geht es nicht nur um den Soundcheck als Einrichtungsprozess, so Lingnau, „sondern auch um die Frage, wie man dabei Wohlbefinden erzeugt“.