Jedes Jahr im Mai öffnet die Universität der Künste Berlin (UdK) ihre Türen, um dem Publikum bei ihrem Musikfestival crescendo rund zwei Wochen lang die gesamte Vielfalt der künstlerischen Ausbildung an Berlins traditionsreichster Musikhochschule zu präsentieren. Es musizieren Professor*innen, Studierende und internationale Gäste gemeinsam in vielfältigen, teils interdisziplinären Konzertformaten und geben spannende Einblicke in die Arbeit an der UdK Berlin. In Willkommenskonzerten stellen sich neu berufene Professor*innen gemeinsam mit ihren Klassen vor. Es werden Jubiläen gefeiert, wie in diesem Jahr das 200-jährige Bestehen des einst von Carl Friedrich Zelter gegründeten heutigen Instituts für Kirchenmusik, oder Gesprächskonzerte veranstaltet. In den Konzerten von crescendo ist eine enorme musikalische Bandbreite zu erleben, von der Alten über die Neue und neueste Musik bis hin zum Pop- und Jazzbereich, wenn sich die Studierenden des Studiengangs Musical/Show oder die Big Band des Jazz-Instituts Berlin (JIB) präsentieren. Regelmäßig mit dabei ist auch der musikalische Nachwuchs mit den Jungstudierenden des Julius-Stern-Instituts sowie den Mitgliedern des Staats- und Domchores.
Das Programm von crescendo wird kuratiert von den beiden Künstlerischen Leitern Markus Groh (Klavier) und Konstantin Heidrich (Cello), beide sind Professoren an der UdK Berlin. Konstantin Heidrich: „Mit crescendo haben wir die großartige Gelegenheit, dem Publikum – ob jung oder alt – auf unterschiedlichste Weise das breite Spektrum der exzellenten Arbeit im Bereich Musik an der Universität der Künste Berlin zu zeigen und einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen.“ Markus Groh ergänzt: „Es ist eine tolle Chance, mit diesem Festival einerseits besonders herausragende künstlerische Momente einer größeren Öffentlichkeit präsentieren zu können. Gleichzeitig bieten wir die Gelegenheit, uns bei der Arbeit über die Schulter schauen zu lassen, wie beispielsweise bei der öffentlichen Masterclass, die in diesem Jahr mit dem Cellisten Jens Peter Maintz stattfand. Gleichzeitig ist es aber auch ,Spielwiese‘ für interdisziplinäre Projekte und eröffnet Möglichkeiten, sich über die Musik hinaus mit aktuellen menschlichen, gesellschaftlichen und politischen Problemen gemeinsam auseinanderzusetzen oder einfach mal Verschiedenes auszuprobieren.“
crescendo 2022 – Motto „aufgefühlt“
Ein entscheidender Aspekt bei crescendo ist stets, dass die Professor*innen mit ihren Studierenden und auch internationalen Gästen vielfach gemeinsam musizieren. Konstantin Heidrich: „Festivalzeit ist Ausnahmezeit für Künstler und Publikum. Wir feiern zusammen die Musik! Das heißt, dass man über sich hinauswächst, sich an Neues wagt und Altbekanntes neu erlebt. Manchmal lernt man durch ein Konzert viel mehr als während 1000 Stunden des Übens und des Unterrichts! Das Konzert selbst ist ein Lehrmeister, egal ob für Studierende oder Professor*innen. Für die Studierenden ist es enorm wichtig und spannend, ihre*n Instrumentallehrer*in in Aktion neben sich zu erleben. Und andersherum lernt man noch einmal mehr über den Schüler, wenn man gemeinsam als Kammermusikpartner agiert.“ Markus Groh: „Absolut! Gemeinsames Musizieren verbindet. Bei Studierenden und Lehrenden ist im Unterricht oft eine gewisse natürliche Distanz zu beobachten. Der Lehrende wird dann manchmal nur als reiner Dozent und nicht als Musiker erlebt. Für viele Studierende kann es deshalb befreiend wirken, mit Professor*innen gemeinsam musizieren zu können.“
Mit den Konzerten von crescendo 2022 wird nach zwei pandemiebedingt sehr schwierigen Jahren – 2020 musste crescendo komplett abgesagt werden und 2021 gab es eine rein digitale Version des Festivals ohne Publikum vor Ort – die wiedergewonnene Freiheit gefeiert. Endlich kann man sich wieder zusammenfinden in „gefüllten Sälen, in denen Musiker*innen und Hörer*innen gemeinsam die Musik durchleben, auffühlen und Gänsehaut bekommen“, wie die Festivalleiter im Vorwort zum Programm schreiben. Das Motto des Festivals lautet dementsprechend sehr doppeldeutig und vielsagend „aufgefühlt“ und stellt damit das gemeinsame Erleben und Erfühlen der Musik ins programmatische Zentrum. Wie wichtig für das Publikum ebenso wie die Musizierenden der direkte Austausch im Saal ist, beschreibt Markus Groh wie folgt: „Musik ist in ihrem Ursprung ein emotionales Ausdrucks- und auch Kommunikationsmittel von Mensch zu Mensch, also der Drang, sich anderen Menschen künstlerisch sozusagen durch die Schallwellen ,geformter Luft‘ direkt mitzuteilen.
Der Versuch, während der Pandemie das komplette Leben ins Digitale zu verlegen, war ein Experiment. Im Falle von ,klassischer‘ Musik und Konzerten hat dies zwar einige neue Formate hervorgebracht, dabei letztendlich jedoch klar gezeigt, dass ein Leben im digitalen Raum ein nicht vollständiges Leben ist. Denn natürlich kennen wir Musiker alle diese ,Gänsehautmomente‘, wenn in einem voll besetzten Konzertsaal die Zeit stillzustehen scheint. Wir alle, Ausführende und Publikum leben genau dafür: für diesen direkten Austausch von Gefühlen und Erlebnissen miteinander im selben Raum.“ Konstantin Heidrich: „Im Konzert ist man besonders wach mit allen Sinnen. Ein Publikum ist für mich als Musiker spürbar. Ohne genau erklären zu können, wie es passiert, merken wir auf der Bühne sehr genau, wie empathisch, wie offen und wie wach die Menschen um uns herum sind, wie groß die Teilhabe ist. Diese besonders intensive Nähe zum Werk während des Konzerts, die man von sich selber verlangt und auch vom Publikum erwartet, kann schon dazu führen, dass man selber spontan noch ergriffener ist, als man es bei den Proben erlebt hat. So ging es mir beispielsweise bei einer Aufführung des Tschaikowsky Klaviertrios op. 50 a-Moll, dem Andenken eines großen Künstlers gewidmet. Der Schmerz des Verlusts eines geliebten Menschen war im Konzert so unmittelbar, dass es für mich schwer war, die Noten noch lesen zu können…“
Kleines Finale Anfang Juni
crescendo 2022 läuft schon seit dem 20. Mai und geht nun dem Festivalende entgegen. Vor dem großen Abschlusskonzert am 19. Juni in der Berliner Philharmonie sind im Juni noch drei Konzerte im Konzertsaal der UdK Berlin, Hardenbergstraße/Ecke Fasanenstraße bei freiem Eintritt zu erleben:
Mittwoch, 1. Juni, 19.30 Uhr: Unter dem Titel „SHOWTIME: MUSICAL!“ präsentieren Studierende des Studiengangs Musical/Show ein Feuerwerk an Gefühl mit Tanz, Schauspiel und Gesang.
Donnerstag, 2. Juni, 19.30 Uhr: Mozart – Kla4 „a quattro“ heißt es, wenn die Klavierkonzerte Nr. 11, 12, 13 und 14 von Wolfgang Amadeus Mozart nicht wie gewohnt von einem großen Orchester begleitet werden, sondern kammermusikalisch „a quattro“, ohne die obligaten Bläserstimmen, wie Mozart selbst in Briefen schreibt. Die Solist*innen des Abends sind vier herausragende und preisgekrönte Konzertexamensstudierende der UdK Berlin, begleitet von dem neugegründeten und mit zahlreichen UdK-Studierenden gespickten Ensemble Young Berlin Soloists und dessen musikalischem Leiter Luka Hauser.
Freitag, 3. Juni, 19.30 Uhr: „Musik aus Kreisau. Für Europa.“ nennt Viviane Hagner, die renommierte Violinistin und Künstlerische Leiterin des Krzyzowa Music Festivals, selbst ehemalige Studentin und Juniorprofessorin der UdK Berlin, ihr Konzert, in dem sie gemeinsam mit einem Ensemble des Krzyzowa Music Festivals, zusammengesetzt aus vielfach ausgezeichneten Musiker*innen, Kammermusik aus verschiedenen Jahrhunderten präsentiert. Kernstück des Programmes ist Schuberts Streichquintett C-Dur op. 163, das – kurz vor dessen Tod entstanden – den musikalischen Ausdruck seines immer stärker wachsenden Weltschmerzes widerspiegelt.
Großes Finale mit Mahlers Dritter Symphonie
Auch für Gustav Mahler ist das Fühlen seit jeher im Fokus des Musizierens und dessen Erlebens, wie seine Aussage über die eigene Dritte Symphonie verdeutlicht: „Ich sage Dir, mir ist manchmal selbst unheimlich zumute bei manchen Stellen, und es kommt mir vor, als ob ich das gar nicht gemacht hätte.“ Ein passenderes Werk, um die Wochen intensiven Musizierens im Rahmen von crescendo 2022 zu beschließen, gibt es wohl nicht! Und somit setzt ein wahres Mammutprojekt den Schlusspunkt von crescendo 2022: Das Symphonieorchester der UdK Berlin spielt unter der Leitung von Steven Sloane
Mahlers Dritte Symphonie im Großen Saal der Berliner Philharmonie und lädt das Publikum mit seiner reichen Besetzung ein, im Klang zu versinken, mitzufühlen und ein vollkommenes Konzerterlebnis und den eindrucksvollen Abschluss des Musikfestivals crescendo 2022 zu bestaunen.
Über die Energie in der Musik Gustav Mahlers meint Konstantin Heidrich: „Mahler ist in seinem Streben und seiner Künstlerschaft für uns alle wie ein Fixstern, auch wie ein mit Antimaterie ausgestattetes Schwarzes Loch. Seine Musik aufzuführen verlangt sehr viel Energie aber die Katharsis ist für alle umso größer. Junge Menschen sagen wohl auch einfach mal ,tierisch geil‘ zu dieser Musik und haben damit ebenso Recht.“
Und Markus Groh träumt: „Als Pianist kann ich die Aufwallungen eines aktiven Orchestermitglieds während einer Mahler-Symphonie nur andeutungsweise erahnen, kenne aber natürlich die unglaubliche Energie eines alle gemeinsam tragenden Miteinanders bei Klavierkonzerten oder auch als früheres Chormitglied ziemlich gut. Einmal hinten in den Violinen versteckt aktiv in einer 5. Mahler-Symphonie im Adagietto mitspielend im Streicherklang zu ,baden‘, habe ich bisher nur träumen dürfen (immerhin!), aber stelle mir das in der Realität wirklich einzigartig vor. Auf solch ein einzigartiges Erlebnis für alle Beteiligten auf der Bühne und im Saal freue ich mich im Abschlusskonzert!“
crescendo 2022 – Abschlusskonzert:
Sonntag, 19. Juni 2022, 20.00 Uhr
Philharmonie Berlin, Großer SaalMarina Prudenskaya, Mezzosopran; Knaben des Staats- und Domchors Berlin (Einstudierung: Kai-Uwe Jirka); Konzertchor und Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin; Symphonieorchester der UdK Berlin; Steven Sloane, Leitung
Tickets für 30, 25 und 15 Euro (ermäßigt: 25, 20, 10 Euro) zzgl. System- und Vorverkaufsgebühren
Alle Details zu crescendo 2022 sowie Informationen zu den Tickets finden Sie unter www.udk-berlin.de/crescendo oder unter 030-3185 2591.