Werner Probst ist am 28. Januar 2007 im Alter von 81 Jahren gestorben. Generationen von Studierenden nannten ihn in bestem Ruhrgebietsdeutsch „Vatta“ – auch wenn sie aus Bayern, Baden-Württemberg und Berlin zum Studium der Sonderpädagogik nach Dortmund gekommen waren. Von 1969 bis 1977 war der promovierte Musikpsychologe Werner Probst Dozent und von 1977 bis 1990 ordentlicher Professor an der früheren Pädagogischen Hochschule Ruhr und jetzigen Universität Dortmund. Die Bezeichnung seines Lehrgebiets wechselt mit dem Vokabular der politischen Correctness: Sein Lehrgebiet und sein Lebensinteresse ist es jedenfalls, Kinder und Jugendliche mit Behinderung mit Musik in Berührung zu bringen, ihnen die aktive Teilhabe am Musikleben zu ermöglichen, sie zu Produzenten und überlegten Konsumenten von Musik zu machen – und der Welt der Nichtbehinderten etwas von der Bedeutung zu zeigen, die Musik und Instrumentalspiel im Leben eines Menschen haben kann.
Das erste Arbeitsfeld von Werner Probst ist die Musikschule. Schon während des eigenen Musikstudiums und des Studiums der Psychologie in Köln ist er Lehrer und stellvertretender Direktor der Musikschule der Stadt Leverkusen, dann Gründer und Leiter der Musikschule Bochum.
Zwischen 1966 und 1969 stellt das Leben besondere Weichen – Gleis 1: Die Leiterin einer Tagesstätte für geistig Behinderte in Bochum tritt an Werner Probst mit der Bitte heran, Musik in ihre Einrichtung zu bringen. Er nimmt die Aufgabe an und erschließt sich experimentierend und forschend die musikalische Arbeit mit diesen besonderen Kindern. Gleis 2: Zeitlich parallel verfolgt Anton Reinartz, Professor an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund das Ziel, das Fach Musik in der Ausbildung für das Lehramt der Sonderpädagogik zu etablieren. Gleis 3: Werner Probsts Frau Elisabeth führt gelegentlich Gespräche mit ihrem verehrten akademischen Lehrer Michael Alt. Alt ist Professor für Musikdidaktik an der PH Ruhr und erfährt so – eher zufällig – von den musikpsychologischen Arbeiten und Interessen Werner Probsts. Als Reinartz dann Alt nach einem fachkompetenten Kollegen für das neu einzurichtende Lehrgebiet „Musik mit Behinderten“ fragt, kommt Werner Probst ins Spiel. Gleis 4: 1969 ist Werner Probst Dozent für Musikerziehung bei Behinderten an der Pädagogischen Hochschule Ruhr – und bei seinem Lebensthema angekommen.
Was Werner Probst zum „Vatta“ macht, ist seine integrierende Kraft. Nie hat er vergessen, dass seine Wurzeln in einem Handwerkerhaushalt in Leverkusen liegen, nie hat er seine berufliche Erst-Heimat Musikschule vergessen. Ersteres macht ihn unprätentiös, pragmatisch und uneitel, kurz zu einem der angenehmsten Hochschullehrer, den man sich denken kann. Letzteres führt zur Verbindung der Systeme Musikschule – Schule – Hochschule. Der Modellversuch „Instrumentalspiel mit Behinderten und von Behinderung Bedrohten – Kooperation von Musikschule und Schule“, durchgeführt von 1979 bis 1983, führt den Nachweis, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung natürlich erfolgreich Schülerinnen und Schüler der Musikschulen sein können – wenn nach angemessener Motivationsphase angemessene Situationen geschaffen und Musikschullehrer entsprechend ausgebildet werden. Der Grundansatz: Jeder Mensch ist in der Lage, Musik zu erleben und insofern musikalisch. 1979 gibt es bundesweit nur etwa 500 Schüler mit Behinderung an deutschen Musikschulen – heute, im Jahr 2007, sind es 6.700, unterrichtet von fast 500 Lehrkräften, die durch den Lehrgang „BLIMBAM“ an der Akademie Remscheid ausgebildet wurden.
Werner Probsts Überzeugungen, sein Blick auf die Menschen mit Behinderung, seine intensive Arbeit an der Öffnung der Musikschulen für diese Gruppe der Bevölkerung hat die Biographien von tausenden von Menschen verändert. Tausende von Menschen mit Behinderung, denen dies nicht in die Wiege gelegt schien, sind heute Produzenten von Musik, sie nehmen mit Freude und Interesse als aktiv Musizierende am musikalischen Leben der Gesellschaft teil. Der Alltag von tausenden von Menschen ist erfüllt von musikbezogenen Aktivitäten, gewinnt an Freude und an Sinn – weil Werner Probst sich von Skeptikern nie beeinflussen ließ. Mit den 90er-Jahren, kurz vor dem Übergang in den so genannten Ruhestand, beginnt die Zeit der Ehrungen und Auszeichnungen. 1989 wird Werner Probst der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen, 1990 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. 1999 erfolgt die Verleihung des Ehrenringes der Stadt Bochum, 2001 die Carl-Orff-Medaille des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen. Der Un-Ruhestand bringt eine aktive Zeit, erfüllt von zahlreichen Kursen und Vorträgen im In- und Ausland.
Alle, die bei ihm studierten und mit ihm gearbeitet haben, trauern heute in Anteilnahme mit der Familie um Werner Probst. Schließlich bleiben aber die Freude und der Dank darüber, ihn gekannt zu haben.