Die Hochschule für Musik Karlsruhe ist derzeit in Feierlaune. Mit der Bewilligung von rund 29,5 Millionen Euro hatte die damalige Landesregierung Baden-Württembergs vor drei Jahren dem Projekt „CampusOne – Schloss Gottesaue“ zugestimmt, welches die Errichtung von zwei neuen Gebäuden sowie die Gestaltung einer großzügigen Freifläche vorsah. Jahrzehntelang an verschiedenen Orten in Karlsruhe verstreut, sollte der neue Campus die Musikstudenten nur noch um das Hauptgebäude, Schloss Gottesaue, versammeln. Nun ist das neue Areal größtenteils fertiggestellt – allein die Außenanlage wartet noch auf ihre Begrünung. Mit einem Festakt wurde CampusOne nun offiziell eingeweiht.
Seit jeher zieht das blassrote Renaissance-Schloss Gottesaue mit seinen fünf markanten Rundtürmen die Blicke beim Passieren des östlichen Stadteingangs auf sich. Die Geschichte des Gebäudes, das zu den ältesten in Karlsruhe zählt, liest sich turbulent. Dreimal wurde es wiederaufgebaut, zuletzt 1989, da es nach dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört war. Die hiesige Hochschule für Musik ist seitdem hier ansässig. Nun hat das Schloss visuelle Konkurrenz in unmittelbarer Nachbarschaft bekommen: Ein kubischer Multimediakomplex („MUT“), überwiegend von schwarz glänzender Keramik ummantelt, sticht ebenso schnell ins Auge. Er ist das großformatige Wahrzeichen des neuen CampusOne und setzt mit seiner Architektur einen deutlichen Kontrapunkt zum feudalen Renaissance-Schloss. Die Bedeutung der Abkürzung MUT ist, wie ein Querschnitt der vielen Festreden zeigt, austauschbar: Musik, Technik, Medien, Theater, Multimedia oder einfach Mut – beliebig mit „und“ kombinierbar. Herzstück des MUT-Gebäudes ist ein hoch technisierter Konzertraum mit Platz für rund 400 Personen. In Anlehnung an den Hauskomponisten taufte man ihn „Wolfgang-Rihm-Forum“ – worauf im angrenzenden so genannten Fugen-Foyer eine dem Saal zugewandte Büste des gestikulierenden Rihms verweist, gestaltet von der Künstlerin Mechthild Ehmann. Das ComputerStudio sowie das Institut LernRadio – bisher von einem nahegelegenen, ehemaligen ZASt-Gebäude beherbergt – zwei Proberäume sowie die Institute Musikwissenschaft/Musikinformatik und Neue Musik und Medien sind ebenfalls im neuen Multimediakomplex untergebracht.
Der zweite Neubau, das Unterrichtsgebäude „Fany-Solter-Haus“ im südöstlichen Schatten des Schlosses, steht architektonisch nicht isoliert, sondern ist eingebunden in den Gebäudekomplex aus Marstall, Römer- und Fuchsbau. Es erspart nicht nur den Kompositions-, Blechblas- und Schlagzeugstudenten das zeitaufwändige Pendeln zwischen der Hochschule im Osten und der westlich gelegenen Jahnstraße. Beinahe alle Studenten mussten hier zum Musiktheorieunterricht. Ähnlich weit entfernt war das Unterrichtsgebäude in der Karlsstraße.
Die Vorteile, die die neue Lehr- und Lernsituation mit sich bringt, konnten bereits seit Oktober letzten Jahres genutzt werden, als das Fany-Solter-Haus in Betrieb genommen wurde. Hinzu kommt durch die Einweihung des MUT-Gebäudes nun auch der multifunktionale Konzertsaal, welcher sämtlichen Musikstudenten eine kreative Spielwiese bietet. Die Bestuhlung kann dabei flexibel gestaltet werden. Zuschauerpodium und Orchestergraben sind absenkbar, Wandelemente akustisch wirksam verstellbar. Zudem kann das Wolfgang-Rihm-Forum als Aufnahme- und Sendesaal benutzt werden, auch sind große Opern-, Orchester- und Chorprojekte hier realisierbar – seither mietete man sich hierfür im 1000 Platz starken Saal des Karlsruher Konzerthauses ein, denn der Größte des Schlosses (Velte-Saal) ist nur für Kammermusikbesetzungen ausgelegt. Der Bühnenraum des MUT ist nun zwar kleiner als der des Konzerthauses, die Akustik jedoch umso besser. Grund ist, dass bei der Planung des Saales ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wurde – was sich während der offiziellen Einweihungsfeier und dem nachhallenden „MusikFest“ eindrucksvoll zeigte. Chor und Orchester der Hochschule unter Leitung von Mario Venzago mit Frank Düpree am Klavier nutzten mit Beethovens Chorphantasie zum Festakt die akustischen Möglichkeiten voll aus, die durchsichtige Strahlkraft, vom Raum befördert, fegte das Publikum geradezu in Richtung der rückwärtigen Wandpaneelen.
Warum nicht schon früher? Rund 15 Jahre lang musste der Wunsch nach einem vereinten Campus immer wieder bekräftigt werden. Das geschah zunächst vor allem durch die ehemalige Rektorin Fany Solter, deren Name nun den zweiten Neubau ziert. Hartmut Höll, seit 2007 Rektor der Hochschule, setzte den Antrag auf Gestaltung des neuen Campus 2010 schließlich durch. 29,5 Millionen Euro, von denen die Stadt Karlsruhe 500.000 Euro zusteuerte, flossen in das Großprojekt – die Bewilligung kam gerade noch rechtzeitig, in der heutigen politischen Situation wäre ein solches Vorhaben wohl noch schwieriger zu realisieren gewesen, als es ohnehin war, betonte Höll in einer der Ansprachen. Das Geld für die Innenausstattung, rund 600.000 Euro, steuerte die Hochschule mit Hilfe von Sponsoren selbst bei. Hausintern organisierte, schillernde Benefiz-Galas mit Sternekoch und Champagner für die finanzstarke Oberschicht, denen Marshall und Alexander, René Flemming und Anne-Sophie Mutter als Zugpferde dienten, halfen mit, Geld in die Kasse zu spielen.
Bereits zur Eröffnung des Sommersemesters Anfang April dieses Jahres war auf dem neuen Campus eine euphorische Stimmung zu spüren, die Höll in seinen Worten einfing: „Die Hochschule für Musik ist auf ,Campus-One – Schloss Gottesaue‘ angekommen und dies nach Jahrzehnten der räumlichen Trennung.“ Dadurch gewann man auch an Sicherheit, so Höll weiter: „Der Standort Karlsruhe ist ungefährdet. Die Arbeit der letzten Jahre hat sich gelohnt.“ Besonders die Profilierung der Hochschule mache sie stark. In der Tat, ihre Leitgedanken weisen sie als eine künstlerisch-wissenschaftlich ausgerichtete Institution aus, traditionsbewusst und zukunftsgerichtet zugleich. Der Schwerpunkt Neue Musik wurde bereits 1989 verankert, wodurch man auch die Kooperation mit dem damals im Aufbau begriffenen Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe begründete. 1993 wurde das ComputerStudio eingerichtet, das der Ausbildung von Studierenden dreier Institute dient: des Instituts für Musikwissenschaft/Musikinformatik, für neue Musik und Medien sowie des Instituts LernRadio. Ein Ensemble für Neue Musik, das sich aus Studenten der Musikhochschule zusammensetzt, widmet sich unter der Leitung von Gérard Buquet neben markanten Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts auch der Aufführung von Werken der Kompositionsklasse.
Karlsruhe hat einen neuen Campus, in Zeiten öffentlichen Sparwahns ein erfreuliches Ereignis, schließlich schreitet der finanzielle Raubbau an Kunst und Kultur immer mehr voran. Weniger als ein Prozent beträgt der Anteil der Kultur im baden-württembergischen Landeshaushalt und trotzdem fordert der Rechnungshof eine Kürzung der Studierendenzahl. Im Endeffekt bedeute dies eine Kürzung der Lehrdeputate, was eine Einsparung von vier Millionen bringen solle, so Höll in einer seiner Reden. Dabei sei Kunstförderung nicht Subvention, sondern Investition. Von dieser Sichtweise sei man politisch jedoch weit entfernt. Der Finanzminister Baden-Württembergs, Nils Schmid (SPD), sagte in seiner Ansprache anlässlich der Campus-Einweihung: „Kunst und Kultur sind kein überflüssiger Luxus, sie gehören zu einer lebenswerten Gesellschaft dazu und wir wollen dem auch in vollem Maße Rechnung tragen.“ Vielversprechende Worte, die ihm in dieser Dringlichkeit hoffentlich stets präsent sein werden.