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Potsdam/Bonn - Die Musikschulen in Deutschland wollen sich flächendeckend für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder qualifizieren. «Gerade die Musik bietet viele Chancen und Möglichkeiten der Inklusion», sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes deutscher Musikschulen, Ulrich Rademacher der Nachrichtenagentur dpa. Anlass ist die zweitägige Hauptarbeitstagung des Verbandes, die am Freitag in Potsdam beginnt.
Rund 300 Leiter von Musikschulen wollten dazu in die brandenburgische Landeshauptstadt kommen. Nach Verbandsangaben sind bundesweit knapp 930 Musikschulen dem Verband angeschlossen. Die Einrichtungen sind an etwa 4000 Orten vertreten. Gut eine Million Schüler nehmen deren Angebot wahr. Mehr als jede zweite Musikschule in Deutschland bietet nach Verbandsangaben speziellen Musikunterricht für Behinderte an, auch in Zusammenarbeit mit Sonderschulen oder Behinderteneinrichtungen. Rund 8100 behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene können so selbst Musik machen. Ihre Zahl nehme kontinuierlich zu, hieß es.
Musik bietet große Chancen für Unterricht mit Behinderten. DPA-Interview mit Ulrich Rademacher:
Frage: Was sind die aktuellen Herausforderungen für die Musikschulen?
Antwort: Das Thema Inklusion und die Diskussion um dessen Finanzierung und fachgerechte Umsetzung sind überall in den Schulen präsent. Wir möchten Inklusion weiter fassen - als generelle Haltung für unsere Musikschularbeit. Für eine Musikschule, die grundsätzlich offen ist und alle Menschen willkommen heißt, mit ihrer Sehnsucht nach musikalischer Bildung, nach Ausdrucksmöglichkeit, emotionaler Anregung und auch ihrer Sehnsucht nach Gemeinschaft durch Musik.
Menschen mit Behinderung sind auf eine besondere Weise ansprechbar mit Musik. Dies bietet besondere Chancen. Es gibt viel mehr Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens in der Musikschule als dies in der allgemeinbildenden Schule der Fall ist. Dafür wollen und müssen wir uns qualifizieren und die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. In Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen aber auch in den eigenen Programmen - wie beispielsweise bei der Ensemblearbeit.
Frage: Was ist dafür in der Praxis nötig ?
Antwort: Das fängt bei baulicher Barrierefreiheit an. Die Informationsmaterialien dürfen keine intellektuell überhöhten Produkte von Pädagogen sein. Das muss alles knackig auf den Punkt kommen - auch für die Eltern oder Betreuer. Die Materialien müssen einladen, mitzumachen. Kinder müssen zum Unterricht gebracht und abgeholt werden können. Instrumente müssen möglicherweise umgebaut werden. Musikalische Arrangements müssen so angelegt werden, dass es lösbare aber auch reizvolle und anspruchsvolle Aufgaben für alle gibt, damit ein Orchestermitglied nicht zum Statisten degradiert wird. Kurzum: Es müssen viele Rahmenbedingungen geschaffen werden, die alle - Pädagogen, Organisatoren, Bauarbeiter - herausfordern.
Frage: Wie ist die Situation bislang ?
Antwort: Es gibt schon lange Musikschulen, die sich auf Integration konzentriert haben. Dabei wurde aber der Unterschied zwischen Gesunden und Behinderten nicht generell aufgehoben. Inklusion folgt einem viel grundsätzlicheren Gedanken: Jeder ist von Anfang an mitgedacht als ganzwertiger Teil. Wir unterscheiden nicht. Aufgabe der Institutionen ist es, Lernbedingungen zu schaffen, die gemeinsames Lernen ermöglichen. Es gibt einige Musikschulen, die Vorreiter waren und die uns jetzt weiterbringen. Ich finde es faszinierend, wie wir im Verband von unseren Mitgliedsschulen, deren Erfahrung und Begeisterungsfähigkeit lernen.
ZUR PERSON: Der Musikpädagoge Prof. Ulrich Rademacher leitet seit 1989 die Westfälische Schule für Musik in Münster. Zudem lehrt der 62-Jährige das Fach Liedinterpretation an der Musikhochschule Köln.
Marion van der Kraats