Mit der Berufung von Stefan Blunier auf die Professur für Orchesterleitung Schwerpunkt Sinfonik und Jörg Achim Keller auf die Professur für Dirigieren/Ensembleleitung Jazz und verwandte Stilbereiche (am Landeszentrum für Dirigieren Baden-Württemberg) wurden alle Personalentscheidungen in Bezug auf das neue Landeszentrum für Dirigieren Baden-Württemberg der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim getroffen. Aus diesem Anlass sprach Anca Unertl mit Stefan Blunier und Cosima Sophia Osthoff (Professorin für Orchesterleitung Schwerpunkt Oper).
Lieber Herr Blunier, wie war Ihr Start in Mannheim?
Stefan Blunier: Intensiv! Ziel und Zweck unseres Dirigentenzentrums ist es ja, im Rahmen der finanziellen Vorgaben die Studierenden so oft als möglich mit einem Orchester arbeiten zu lassen. Und so war direkt als erstes Projekt die Erarbeitung meines Antrittskonzertes mit dem Hochschulorchester während einer intensiven Probenwoche in klösterlicher Abgeschiedenheit geplant, wo eine Haydn-Sinfonie und Mahlers symphonisches Erstlingswerk dort auch in einem Werkstattkonzert von meinen Studierenden dirigiert wurde. Wenn man bedenkt, dass ich meine Dirigierklasse bis eine Woche vorher noch nicht kannte, war das eine Arbeit von 0 auf 100 Punkte in kürzester Zeit. Ich war aber sehr erfreut, solche interessierten, fleißigen und talentierten Schülerinnen und Schüler vorzufinden.
Was ist das Besondere des neuen Landeszentrums?
Cosima Sophia Osthoff: Hochspannend finde ich, dass erstmals wirklich alle Bereiche der Leitung von Ensembles – vokal und instrumental, klassisch bis zeitgenössisch, Jazz, Laienmusizieren, Oper, Sinfonik und Ballett – an einem eigens gegründeten Institut gelehrt werden von ausgewiesenen Könnerinnen und Könnern ihres Fachs. Dazu kommt die Möglichkeit, die Ausbildung zu verknüpfen mit anderen Bereichen der Hochschule wie dem Institut für Musiktheater oder der Akademie des Tanzes sowie den hervorragenden Instrumentalklassen.
Blunier: Ich sehe das als eine riesengroße Chance für junge Dirigentinnen und Dirigenten. Es ist dem Medizinstudium nicht unähnlich; die angehenden Ärzte verschaffen sich mit der Allgemeinmedizin auch erst mal einen Überblick und schauen im Laufe der Zeit, in welche fachspezifische Richtung sie sich bewegen möchten. So ist es bei uns im Dirigierzentrum auch: Man wählt vorab einen Schwerpunkt, muss aber im Laufe der Semester gewisse Module belegt haben, andere Fachrichtungen besuchen und vielleicht zeigt sich da durch das Schnuppern in den anderen Metiers eine neuentdeckte Vorliebe oder Sonderbegabung, was für das spätere Berufsleben relevant sein könnte. Vor meinem Studium hätte ich auch nie gedacht, dass ich jemals Opern dirigieren würde und durch die seinerzeit gezielte Hinführung durch meinen Lehrer bin ich heute mit ebenso viel Herzblut Operndirigent wie auch Konzertdirigent. Wir Professoren haben nun die schwierige Aufgabe vor uns, diese großartige Idee des Dirigierzentrums in den nächsten Monaten konkret umzusetzen, genau auszutarieren und durchzurechnen, wie lange und wie viele Module in einem Studiengang realistisch sind im Verbund mit unserer Personalstärke und den finanziellen Mitteln, die wir vom Land zur Verfügung gestellt bekommen haben.
Wie beurteilen Sie die Chancen des Landeszentrums für Dirigieren auf internationale Ausstrahlung?
Osthoff: Ich denke, dass eine solche Einrichtung durchaus international Aufmerksamkeit erregen wird, wenn sie sich etabliert hat. Die attraktive geographische Lage mit einer Vielzahl von unterschiedlichsten professionellen Ensembles in nächster Umgebung wird sicher zu zahlreichen Kooperationen führen, die zu einer breiten Professionalisierung der Studierenden beitragen kann. Interessant wäre außerdem eine internationale Verknüpfung mit anderen hochkarätigen Institutionen im In- und Ausland.
Blunier: Ich glaube eigentlich fest daran, dass wir nicht nur regional, sondern auch international einen Leuchtturm darstellen können, denn das Angebot und die Vielfältigkeit unserer Studiengänge sind wirklich einzigartig! Ich bin mir natürlich bewusst, dass eine internationale Wahrnehmung nicht von heute auf morgen passieren wird. Man kennt das von anderen innovativen kulturellen Projekten, dass es erst regional gut verankert sein muss, sich dann aber durch Medienberichte, Mundpropaganda und Erfolge recht schnell weiterverbreitet. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass die anvisierte internationale Ausstrahlung trotz eines Erfolges meist erst nach ein paar Jahren erreicht wird. Letztendlich glaube ich, dass wir immer wieder mal nachjustieren müssen, um aus unseren Erfahrungen neue kreative Konzepte zu entwickeln oder Erfolgsmodelle anders geformt weiterzuführen.
Welchen persönlichen Beitrag möchten Sie für das Dirigierzentrum leisten?
Blunier: Ich sehe das als sehr große persönliche Herausforderung, ein für die Studierenden interessantes Institut mitzugestalten und aufzubauen. Natürlich wird mein Hauptgeschäft als Leiter der Sinfonik weiterhin der Unterricht mit klassisch-romantischem Repertoire sein, aber ich betreue ja nebenher auch das Ensemble für Neue Musik namens Incontro, das pro Semester eine Projektphase nebst Konzert hat. Da kann ich meine Leidenschaft für zeitgenössische Musik gut ausleben und versuche auch sukzessive eine Verknüpfung mit meinem Lehrplan und der Arbeit meiner Studierenden zu intensivieren. Natürlich sehe ich mich in Bezug auf meine Schülerinnen und Schüler auch als deren Lebens- und Karrierecoach. Mein beruflicher Werdegang und die damit verbundene Verknüpfung mit vielen Theatern und Konzertorchestern hat gezeigt, dass es oftmals wesentlich mehr um Psychologie, Verhandlungsgeschick und um die Außenwirkung der eigenen Persönlichkeit geht, als um das pure Dirigieren der Musik. Und genau in Bezug auf diese Tücken und Fallen, die für einen jungen und impulsiven Neuling sicherlich nicht immer durchschaubar sind, möchte ich mit gezielten Kolloquien Hilfestellung leisten.
Osthoff: Im Zuge meiner Lehrtätigkeit in zwei Fachgruppen – Dirigieren und dem Institut für Musiktheater – lassen sich viele Synergien herstellen für eine umfassende Ausbildung der Studierenden. So können Studierende mit dem Schwerpunkt Oper bei Musiktheater- oder Ballettproduktionen erste Erfahrungen mit der komplexen Tätigkeit eines Theaterkapellmeisters sammeln. Dazu gehört neben dem Dirigieren auch die Vorbereitung der Sängerinnen und Sänger, Einrichtung des Notenmaterials, Betreuung der Ensembleproben, Abstimmung mit der szenischen Leitung etc.
Wie stellen Sie sich die Einbettung des Landeszentrums in die Hochschule vor?
Osthoff: Verflechtungen quer durch alle Bereiche der Hochschule sind sinnvoll und notwendig. Dazu gehören die Institutionen Hochschulchor und -orchester und Institut für Musiktheater ebenso wie der Bereich der zeitgenössischen Musik, des Jazz (auch des Jazzgesangs), des Tanzes und des sinfonischen Blasorchesters. Logistisch ist das eine enorme Herausforderung. Eine verstärkte Verschränkung der Studiengänge bedeutet einen enormen Mehraufwand an Koordination und bedarf des Kooperationswillens aller Lehrenden, besonders auch im Bereich der Pflichtfächer. Da bedarf es möglicherweise auch einer Nachjustierung der Rahmenbedingungen bei den einzelnen Modulen.